Fast 800 000 Kinder wachsen in NRW ohne Vater oder Mutter auf
Fischer zur Lage in NRW / Betreuungshilfen

Frage: Bereits jedes 5. Kind wächst ohne Vater oder Mutter auf. Was macht NRW, um allein Erziehenden die Vereinbarung von Familie und Beruf zu erleichtern? *

Fischer: Gerade allein Erziehende sind auf zuverlässige Kinderbetreuungsangebote und familiengerechte Arbeitszeiten angewiesen. NRW leistet Beachtliches: Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ist erfüllt. Es wurden weitere 10 000 Plätze für unter 3-jährige Kinder und Hortkinder gefördert. Bis 2005 werden wir die Zahl der Betreuungsplätze um mindestens 200 000 auf über 600 000 steigern. Wir werden das mit Kombilösungen in Tagesstätten, Jugendeinrichtungen und Schulen tun. Insgesamt werden wir für die Schaffung zusätzlicher Ganztagsplätze in fünf Jahren 243 Millionen Mark ausgeben. Auch mit dem neuen Bundeserziehungsgeldgesetz und dem Teilzeitgesetz sind die Rahmenbedingungen für familiengerechte Arbeitszeiten wesentlich verbessert worden. Darüber hinaus sind Kooperationen mit Unternehmen gefragt: Ich sehe Handlungsfelder bei familienfreundlichen Arbeitszeiten und betrieblicher Kinderbetreuung.

Frage: Ist die Zahl der mit einem Elternteil aufwachsenden Kindern in NRW in den letzten Jahren gestiegen?

Fischer: Ja, und zwar von 716 000 Kindern im Jahr 1996 auf 776 000 Kinder im Jahr 2000.

Frage: Jeder dritte unterhaltpflichtige Vater kommt seiner Zahlungspflicht nicht oder nur unregelmäßig nach. Wie lässt sich der Druck auf die "Rabenväter" erhöhen? Ist die Sperrung des Führerscheins ein geeignetes Sanktionsmittel?

Fischer: Das neue Kinderunterhaltsrecht hat Verbesserungen gebracht: Familiengerichte dürfen bei Arbeitgebern, Lebens-, Kranken- und Rentenversicherungen sowie bei Finanzämtern Auskunft über Verdienst und Vermögen der Unterhaltspflichtigen verlangen. Außerdem sind die Kommunen an der Finanzierung des Unterhaltsvorschusses inzwischen beteiligt. Damit ist auch die Motivation, Rückforderungsansprüche gegenüber säumigen Vätern zügiger abzuwickeln, gestiegen. Die Sperrung des Führerscheins als Sanktionsmittel sehe ich sehr kritisch. So könnte der Verlust des Führerscheins dazu führen, dass Unterhaltspflichtige an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gehindert werden und damit nicht ihren Unterhaltsverpflichtungen nachkommen können.

Frage: Väter klagen, dass sie nach einer Scheidung kaum eine Chance haben, das Sorgerecht für die Kinder zu behalten. Reichen die Mitsprachemöglichkeiten für Kinder aus, wenn sich die Eltern scheiden lassen?

Fischer: Diese Klage ist nicht berechtigt. Das neue Kindschaftsrecht geht davon aus, dass das gemeinsame Sorgerecht bei Trennung und Scheidung bestehen bleibt. Nur auf Antrag eines Elternteils kann einem von beiden die Sorge allein übertragen werden. Ausschlaggebend ist in jedem Fall das Kindeswohl. Im übrigen haben Kinder vom Gesetz vorgesehene Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte.

Frage: Der Verband der Alleinerziehenden beklagt Benachteiligungen im Steuer- und Rentenrecht gegenüber der "klassischen Familie". Sehen Sie Handlungsbedarf?

Fischer: Nicht unbedingt im Rentenrecht: Die kindbezogene Höherbewertung von Beitragszeiten wird unabhängig vom Familienstand erbracht. Sie kommt insbesondere auch allein Erziehenden zu Gute, die nach den bisherigen Regelungen der Rente nach Mindesteinkommen oft nicht begünstigt wurden. Problematisch sind die steuerrechtlichen Regelungen: Der Entwurf eines 2. Gesetzes zur Familienförderung sieht Verbesserungen im Familienleistungsausgleich vor - einschließlich der steuerlichen Absetzbarkeit von Betreuungsplätzen. Ich möchte aber vermeiden, dass durch die geplante Abschmelzung des Haushaltsfreibetrags allein Erziehende nicht im gleichen Maße wie verheiratete Eltern von den geplanten Verbesserungen des Familienleistungsausgleichs profitieren können. Dies gilt um so mehr, als sie nicht die Vorteile des Ehegattensplittings in Anspruch nehmen können. Diese Erwägungen haben wir in das Bundesratsverfahren eingebracht. Ich hoffe, dass sie vom Bundestag im Gesetzgebungsverfahren noch einmal sorgfältig geprüft werden. Eine Reform des Ehegattensplittings zugunsten einer Familienförderung mit Kindern halte ich für notwendig. Wir müssen die Unterstützung auf die konzentrieren, die mit Kindern zusammenleben.

Frage: Bis zu 30 Prozent der allein erziehenden Mütter sind auf staatliche Finanzhilfen angewiesen und können ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten. Muss die Sozialhilfe für diese Gruppe erhöht werden?

Fischer: Allein Erziehende erhalten im Vergleich zu Verheirateten bereits höhere Sozialhilfeleistungen in Form von Mehrbedarfszuschlägen. Hilfen für alleine erziehende Sozialhilfeempfängerinnen sollten nicht schwerpunktmäßig auf die Erhöhung von Sozialhilfeleistungen ausgerichtet sein. Wichtiger scheint mir eine genaue Analyse der Situation der betroffenen Mutter, um insbesondere für die Kinder zielgerichtete Hilfen anbieten zu können. Die Klärung von Fragen zustehender Unterhaltsleistungen, Verbesserung von Erwerbsmöglichkeiten und geeigneter Kinderbetreuung sollte hierbei im Vordergrund stehen.

Mit NRW-Familienministerin Birgit Fischer (SPD) sprach Wilfried Goebels.
 

15.06.2001
Westfalenpost
http://www.westfalenpost.de/free/wp.artikel-000.html?region=National&id=1704083
 

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* Die Frage des Repoters ist falsch formuliert.
Besser wäre die Frage: "Was können wir tun, um den Kinder Vater und Mutter zu erhalten?"
Thomas