Bundesministerin Bergmann: Alleinerziehen
ist eine weit verbreitete Familienform

Fachtagung “Alleinerziehen in Deutschland – Ressourcen und Risiken einer Lebensform” in Berlin

Mehr als 1, 8 Millionen Alleinerziehende mit über 2, 6 Millionen Kindern unter 18 Jahren leben derzeit in Deutschland. Das Alleinerziehen hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten von einer sozialen Randerscheinung zu einer weit verbreiteten Lebensform entwickelt.

Zu diesem Thema veranstaltet das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend heute in Berlin die Fachtagung “Alleinerziehen in Deutschland – Ressourcen und Risiken einer Lebensform”. Über 170 Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft, Jugendforschung und Justiz beschäftigen sich auf der Tagung mit der Situation von Alleinerziehenden. Dabei werden familienrechtliche, wirtschaftliche und sozialpsychologische Aspekte beleuchtet und bislang vorherrschende Klischees über Alleinerziehende thematisiert.

Anlässlich einer Pressekonferenz im Rahmen der Tagung erklärt die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Christine Bergmann:

“Etwa 15 Prozent aller Familien in Deutschland sind Einelternfamilien. 85 Prozent aller Alleinerziehenden sind Frauen. Alleinerziehen ist inzwischen eine etablierte Familienform und in allen sozialen Schichten zu finden. Alleinerziehen bedeutet oft ein wirtschaftliches Risiko. Aber gleichzeitig entscheiden sich immer mehr Menschen freiwillig für diese Lebensform.
Alleinerziehen hat sich zu einer neuen Option entwickelt - insbesondere für junge Paare, die später oftmals heiraten. In manchen Bezirken Berlins wird z.B. die Mehrheit der Kinder nichtehelich geboren.

Besonders in den Großstädten entwickelt sich das Alleinerziehen zu einer neuen Familien-Normalität. Vielfach leben die Partner in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen. Alleinerziehen heißt immer seltener, allein und ohne Partner zu sein. Alleinerziehen bedeutet zunehmend eine nichteheliche Eltern-Kind-Konstellation. Dies ist eine grundsätzliche Veränderung. Aber nach wie vor führen auch unfreiwillige Notlagen zum Alleinerziehen. So ist Alleinerziehen oftmals Folge von Trennung und Scheidung.

Das Klischee von vernachlässigten und in der Entwicklung beeinträchtigten bzw. verhaltensgestörten Kindern von Alleinerziehenden stimmt nicht. Dieses Klischee ist aber besonders gefährlich, weil es - insbesondere auch im Schulalltag - nicht selten zu Diskriminierungen und ungerechten Beurteilungen führt. Sicherlich ist es richtig, dass dort, wo dauerhaft eine Vaterfigur fehlt, viele spezifische Belastungssituationen für Mutter und Kind entstehen. Aber andererseits berichtet die Mehrzahl von befragten Alleinerziehenden Positives über die Auswirkung dieser Familienkonstellation auf das Kind.

Alleinerziehen bedeutet nicht notwendigerweise Armut, wie oft angenommen wird. Zwar beziehen über 25 Prozent der Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern Sozialhilfe. Dies sind überwiegend jüngere Mütter mit Kindern unter sechs Jahren, die ohne Partner leben. Aber gleichzeitig verfügen in Westdeutschland fast 50 Prozent aller Alleinerziehenden mit Kindern über 18 Jahren über Immobilienbesitz. Bei Alleinerziehenden mit Kindern zwischen 6 und 17 Jahren sind es über 30 Prozent. In den neuen Bundesländern liegen diese Werte erheblich niedriger, nämlich bei 16 bzw. 10 Prozent

Der beste Weg, Armut zu vermeiden, ist auch für Alleinerziehende die Erwerbsarbeit. Aber gerade für Alleinerziehende stellt dies Probleme dar. Um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern, haben wir das Erziehungsgeldgesetz novelliert. Es wird 2001 in Kraft treten und bringt auch für Alleinerziehende wesentliche Verbesserungen. Erstmalig besteht ein Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit während des Erziehungsurlaubs. Dieser Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit bis zu 30 Wochenstunden ist ein großer Schritt zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Für die Alleinerziehenden wird sich vorteilhaft auswirken, dass die Einkommensgrenzen für den Bezug von Erziehungsgeld erstmals seit 1986 angehoben werden. Bei Alleinerziehenden mit einem Kind steigt die Einkommensgrenze um 11,4 Prozent; bei verheirateten Paaren um 9,5 Prozent.

Für Alleinerziehende ist die Kinderbetreuung besonders wichtig. Insbesondere in den alten Bundesländern sind die Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren und für Kinder im Schulalter nicht ausreichend. Kaum angeboten werden Ganztagsschulen. In den neuen Bundesländern sieht es anders aus; hier gibt es fast flächendeckend ein bedarfsgerechtes Angebot. Es ist ein wichtiges Ziel unserer Familienpolitik, im Hinblick auf die Betreuung von Kindern ein Stück voranzukommen, das können wir aber nur gemeinsam mit den Ländern und den Kommunen. Wir brauchen in den Kommunen eine stärkere Lobby für die Bedürfnisse von Familien, für mehr Kinderbetreuungseinrichtungen.

Die Gleichstellung aller Familienformen ist ein besonderes Anliegen dieser Bundesregierung.
Familienpolitik bedeutet heute, sich an der Vielfalt der Lebensformen zu orientieren und diese zu respektieren. Noch nie zuvor gab es so viele unterschiedliche Familienformen in unserer Gesellschaft wie heute. Sie alle prägen den Familienalltag in unserem Land.”

26.03.2001