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aktuelle informationen 2005 Heft 3

Anonyme Vaterschaftstests

von Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz, Berlin

Sehr geehrte Frau Rechtsanwältin Maltry, meine sehr geehrten Damen, herzlichen Dank für Ihre Einladung zu einem Gedankenaustausch über das Thema "Vaterschaftstests" im Kreise des Deutschen Juristinnenbunds. Auch wenn es in der Presse um das Thema etwas ruhiger geworden ist, ist es für uns weiterhin hoch aktuell und weiterhin sehr umstritten.

Der djb hat zu dem Thema bereits eindeutig Stellung genommen: Ein heimlicher Vaterschaftstest verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausformung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Frau Diwell hat ergänzend ausgeführt, dass das Verbot heimlicher Tests dem Schutz von Kindern, Frauen und Männern in allen ihren rechtlichen und persönlichen Beziehungen dient.

Diese Einschätzung wird auch in anderen betroffenen Fachkreisen von vielen Experten geteilt. So hat zum Beispiel der Bundesbeauftragte für den Datenschutz in seinen jährlichen Berichten mehrfach ein Verbot heimlicher Vaterschaftstests gefordert. Erst kürzlich hat sich auch der Vorsitzende des Ethikrates, Herr Professor Spiros Simitis, gegen heimliche Vaterschaftstests ausgesprochen. Er sagte, dass jeder heimliche Vaterschaftstest eine maßlose Missachtung der Würde des Kindes sei.

Leider spiegelt diese Position zu einem großen Teil nicht die Stimmung in der breiten Öffentlichkeit wider, wie mir die wütenden Appelle von Vätern in den vergangenen Monaten vor Augen geführt haben. Die Darstellung in den Medien - meist unter dem Aufmacher "Kuckuckskinder" - ist zum Glück wieder etwas sachlicher geworden. In Umfragen spricht sich jedoch immer noch eine Mehrheit für heimliche Vaterschaftstests aus - zuletzt waren nach einer Umfrage des Institut Allensbach 65 % der Befragten für heimliche Tests. Das Thema Vaterschaftstests ist facettenreich. In der Diskussion darüber wirbeln viele verschiedene Fragen durcheinander: Sollen heimliche Tests verboten werden? Wenn ja, soll das strafbar sein? Was ist mit den Müttern, die den Männern sogenannte "Kuckuckskinder" unterschieben? Welche Rechte haben Väter - und welche die Kinder und die Mütter? Was für Folgen soll ein offener Test haben? Was ist, wenn ein Test gemacht wird und das Ergebnis ist negativ - bricht dann die Familie regelmäßig auseinander? Welche Bedeutung hat das negative Testergebnis für ein Vaterschaftsanfechtungsverfahren? Es geht um existentielle Fragestellungen - nicht nur im privaten Bereich, sondern auch im Hinblick auf familienpolitische Richtungsentscheidungen.

Auslöser für die sehr emotional geführte Debatte in der Öffentlichkeit war meine Ankündigung Ende des vergangenen Jahres, dass wir ein Gendiagnostikgesetz verabschieden und darin auch ein Verbot heimlicher Abstammungsgutachten aufnehmen wollen. Was viele nicht wissen ist, dass die "heimlichen Vaterschaftstests" in den betroffenen Fachkreisen schon viel länger ein Thema sind. So hat sich die Arbeitsgemeinschaft der Sachverständigen für Abstammungsgutachten bereits im Jahr 2001 an die Politik gewandt und gesetzgeberischen Handlungsbedarf angemahnt. Die Arbeitsgemeinschaft schilderte, dass private Genlabors verstärkt die Erstellung von Abstammungsgutachten anböten. In der Regel würden verunsicherte Väter ohne Wissen des Kindes und der Kindesmutter Haare oder Windeln sowie eine eigene Speichelprobe dem Labor zur Verfügung stellen.

Die Hinweise stießen auf "fruchtbaren Boden". Die Bundesregierung begann zu diesem Zeitpunkt mit ihren Überlegungen für ein umfassendes Gesetz zur Regelung genetischer Untersuchungen an Menschen, sei es im Bereich der Medizin, der Versicherung und im Arbeitsleben. Ein Jahr später, im April 2002, beschlossen die Bundesregierung und die SPD-Fraktion jeweils für sich "Eckpunkte für ein Gentestgesetz" - so der damals beabsichtigte Titel des Gesetzes. Bereits diese Eckpunkte befassten sich auch mit den Gentests zur Klärung der Abstammung. Es wurde darin vorgesehen, sie in den Regelungsbereich des neuen Gesetzes aufzunehmen, um Vaterschaftstests ohne Einwilligung der betroffenen Personen entgegenzuwirken. In der Folgezeit gewann das Thema Vaterschaftstest durch die aggressive Werbung der privaten Labore an Brisanz. Sie haben vielleicht schon einmal so ein Plakat gesehen: "Sind das Ihre Augen?" wird da gefragt, und dann folgt die Nummer des Labors. Diese Werbung in U-Bahnen oder sogar auf Toilettenpapier in Herrentoiletten hat in der Vergangenheit leider zu einem regelrechten Testboom geführt. Nach eigenen Schätzungen der Labors werden gegenwärtig jährlich rund 20.000 private genetische Vaterschaftstests in Auftrag gegeben.


Der technische Fortschritt hatte den Weg dafür bereitet:

Eine Vaterschaft kann man durch den Vergleich des Erbgutes von Kind und vermeintlichem Vater feststellen. Es wird hierbei auf den sogenannten nicht codierenden Teil der DNA zurückgegriffen. Rückschlüsse auf Erbanlagen oder Persönlichkeitsmerkmale der betroffenen Person sind bei diesem Verfahren nach derzeitiger Kenntnis nicht möglich.

Um die DNA zu isolieren, braucht man heute nur noch ganz geringe Mengen körpereigenen Materials. Ein Haar, ein benutztes Glas oder eine gebrauchte Windel reichen somit für einen Test aus. Dies hört sich einfach an; es erscheint nahezu gefahrlos. Der Gesetzgeber ist aber dringend gefordert, auch in diesem Bereich die verfassungsmäßig garantierten Persönlichkeitsrechte der Betroffenen wirksam zu schützen. Schließlich tun wir das auf traditionellen Feldern wie beim Post- oder Fernmeldegeheimnis schon seit langem.

Im Vordergrund steht dabei das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, also die Befugnis jedes Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen. Ob ein Kind von einem bestimmten Mann abstammt, darf daher grundsätzlich nicht ohne oder gegen den Willen des Mannes und des Kindes überprüft werden. Sie haben insoweit auch ein Recht auf "Nichtwissen", das respektiert werden muss. Die Rechte eines minderjährigen Kindes werden dabei von seinem gesetzlichen Vertreter ausgeübt.

Diesem Schutzanliegen wollen wir mit einem Gendiagnostikgesetz nachkommen. Hierfür wurde eine Koalitionsarbeitsgruppe eingesetzt, die mit Unterstützung der Fachministerien an einem Gesetzentwurf gearbeitet hat. Wir werden mit dem Gesetz in der nächsten Legislaturperiode eine umfassende gesetzliche Regelung genetischer Untersuchungen an Menschen treffen. Der Anwendungsbereich des Gesetzes soll viele verschiedene genetische Untersuchungen umfassen: Diese Spannbreite wird leider von der Presse oft vernachlässigt. Sie verdeutlicht aber, wie weit die moderne Gendiagnostik bereits unser Leben beeinflusst. Für genetische Untersuchungen zur Klärung der Abstammung ist nach dem gegenwärtigen Stand der Arbeiten Folgendes vorgesehen: Sie sollen nur mit Einwilligung der Personen zulässig sein, von denen genetische Proben untersucht werden. Je nach Gegenstand der Untersuchung ist daher die Einwilligung des Vaters und des Kindes oder auch der Mutter notwendig. Werden nur Proben von Vater und Kind untersucht, besteht kein Einwilligungserfordernis der Mutter. Ist das Kind minderjährig, kann jedoch ihre Einwilligung als gesetzliche Vertreterin des Kindes erforderlich sein.

Ziel dieser Regelung ist ein ausdrücklicher Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Personen, insbesondere auch des Kindes. Dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hier nicht hinter dem Recht des (rechtlichen) Vaters zurückstehen muss, sich Gewissheit über seine Vaterschaft zu verschaffen, hat der BGH in seinem Urteil vom 12. Januar bestätigt. Er hat festgestellt, dass heimliche Gentests rechtswidrig und damit im gerichtlichen Verfahren nicht verwertbar sind. Unsere Absicht ist es, diese Feststellung in "Gesetzesform" zu gießen. Ich halte es für richtig, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung so auch gesetzlich zu schützen und für die Praxis ein eindeutiges und klares Verbot heimlicher Vaterschaftstests einzuführen. Sowohl der Auftraggeber der Untersuchung als auch die Labore müssen dafür sorgen, dass die erforderlichen Einwilligungen vorliegen. Über die Frage, welche Sanktion an eine Verletzung des Verbots geknüpft wird, mag man diskutieren.

Ich will Ihnen aber auch die Argumente der Gegenseite nicht vorenthalten: Manche sprechen angesichts unseres Gesetzesvorhabens von, so wörtlich, "nachsichtiger Psychologisierung der betrügenden Ehefrau" oder der "Privilegierung weiblichen Verhaltens, das - jenseits der Benutzung von Männern als Dukatenesel - die Väterlichkeit gering schätzt und letztlich sogar für beliebig erklärt" (Zitat Ende). Auch der Begriff "Schlampenschutzgesetz" ist gefallen.

Solchen Äußerungen will ich Eines klar entgegen setzen: Der Wunsch eines Mannes, seine Vaterschaft zu klären, ist zweifelsohne nachvollziehbar und schutzwürdig. Jeder Mann hat ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, ob er tatsächlich der Vater des ihm rechtlich zugeordneten Kindes ist. Dieses Recht wird durch unser geplantes Verbot heimlicher Tests jedoch nicht unzumutbar eingeschränkt. Ein Mann kann offen vorgehen und das Kind bzw. seinen gesetzlichen Vertreter bitten, der Einholung eines Gentests zuzustimmen. Wird die Einwilligung verweigert, kann sich der Mann - jedenfalls solange die Zweijahresfrist für die Anfechtung noch nicht abgelaufen ist - die gewünschte Klarheit auf gerichtlichem Wege verschaffen.

Gentests sollen und dürfen aber nicht ohne Einwilligung der Betroffenen durchgeführt werden. Das zu verhindern, ist unser vordringliches Anliegen. Eine andere Frage ist, ob man es dem an seiner Vaterschaft zweifelnden Mann erleichtern kann, die erforderlichen Einwilligungen zu erhalten. Auf diese Frage werde ich später noch zurückkommen.

Stets vor Augen führen muss man sich die Vielfalt der hier betroffenen Rechtspositionen und Interessen: Es gibt das Recht des Mannes auf Kenntnis der Vaterschaft, es gibt die Privat- und Intimsphäre aller Betroffenen und es gibt - ganz wichtig - das Recht des Kindes auf ungestörte Entwicklung seiner Persönlichkeit und sein Interesse, ungestört in gewohnten sozialen Bindungen aufwachsen zu können sowie den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der "sozialen" Familie und der gewachsenen Familienbeziehungen. Denn eine Familie besteht nicht nur aus biologischen Eltern und ihren Kindern - gerade heute haben wir viele verschiedene Formen von Familien.

Der Gesetzgeber muss all diese Interessen berücksichtigen und in möglichst weitem Umfang zum Ausgleich bringen. Dabei ergibt sich insbesondere folgendes Abhängigkeitsverhältnis: Eine Stärkung des Rechts des Vaters auf Kenntnis seiner Vaterschaft und des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung führt zwangsläufig zu Einbußen beim Schutz der sozialen Familie.

Ziel kann es daher immer nur sein, einen möglichst weitgehenden Interessenausgleich zu erreichen. Einen vollständigen Ausgleich, einen "Königsweg" gibt es nicht. Die Überlegungen, die dazu bisher in Bundestag und Bundesrat angestellt worden sind, gehen in folgende Richtung:

Wenn wir ein Verbot heimlicher Vaterschaftstests im Gesetz verankern, müssen wir auf der anderen Seite den Männern einen rechtmäßigen Vaterschaftstest erleichtern. Das heißt: Sie sollen ihre Vaterschaft unter erleichterten Bedingungen überprüfen lassen können. Das Stichwort in diesem Zusammenhang ist die Einführung eines neuen, "niederschwelligen" Verfahrens. Dabei ist eines noch sehr wichtig: Nach allem, was gesagt wird, geht es den meisten Männern vor allem um Gewissheit. Sie wollen in erster Linie ihre Zweifel beseitigen. Deshalb darf ein solches Verfahren nicht - wie beim gerichtlichen Anfechtungsverfahren - dazu führen, dass sich der rechtliche Vater vom Kind lossagen muss. Dies gilt umso mehr, als es sich nach unseren Informationen in über 80 % der Testfälle bei dem rechtlichen Vater auch um den biologischen Vater handelt.

Es werden verschiedene Modelle diskutiert: Manche wollen weit in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen und den nach dem BGB anfechtungsberechtigten Personen auch den heimlichen Test gestatten - so Baden-Württemberg. Andere plädieren für ein isoliertes, "rechtsfolgenloses" Feststellungsverfahren bei Gericht - das ist der Vorschlag der FDP.

Ich möchte die Modelle gar nicht im Einzelnen bewerten. Vor dem geschilderten verfassungsrechtlichen Hintergrund und dem Wunsch nach offenem Umgang mit der Problematik möchte ich jedoch für unseren Weg werben. Er ist in den vergangenen Wochen auch mit Experten des Familienrechts und den Rechts- und Familienpolitikern der Regierungsfraktionen erörtert worden: Uns erscheint es sachgerecht, dem Vater einen niederschwelligen Anspruch gegen Mutter und Kind zu geben, in die Vornahme einer privaten Abstammungsuntersuchung einzuwilligen. Nur wenn der Anspruch nicht erfüllt wird, muss er gerichtlich durchgesetzt werden. Dadurch besteht die Chance, in vielen Fällen ein gerichtliches Verfahren zu vermeiden.

Flankierend wollen wir für alle Beteiligten Beratungsangebote zur Verfügung stellen. Diese Beratung kann insbesondere dem an seiner Vaterschaft zweifelnden Mann helfen, die Auswirkungen des Abstammungsgutachtens für seine Familie umfassend abzuschätzen. Entscheidet er sich gleichwohl für das Gutachten, kann die Beratung dazu beitragen, dass der Anspruch auf Einwilligung möglichst schonend für die Vater-Kind-Beziehung und die Paarbeziehung geltend gemacht wird. Zum Schutz des Kindes soll zudem eine Härteklausel vorgesehen werden, die den Anspruch ausschließt, wenn das Gutachten mit einer außergewöhnlichen Belastung für das Kind verbunden wäre. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, auch das Anfechtungsverfahren zu modifizieren. Sollen die Substantiierungsanforderungen für die Anfechtungsklage gesenkt werden? Oder - noch schwieriger: Soll sich ein Mann, der aufgrund eines privaten Tests weiß, dass er nicht der biologische Vater ist, auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist aus seiner rechtlichen Vaterrolle lösen können? Generell oder nur unter bestimmten Umständen?

Mit diesen Überlegungen sind wir bei den eingangs angesprochenen existentiellen Fragestellungen - weg von der reinen Juristerei - angelangt. Wir müssen uns fragen, welchen Schutz wir der Familie, und zwar nicht nur der biologischen, sondern auch der sozialen Familie heute geben wollen: Die Gesellschaft wandelt sich, auf der einen Seite steht der ungeheure technische Fortschritt, auf der anderen Seite das Auseinanderbrechen tradierter Familienstrukturen. Das sind Fragen, die noch nicht zu Ende diskutiert sind, und deshalb freue ich mich nun auch auf das Gespräch mit Ihnen.