"Papa Gnädig" anstatt "Richter Gnadenlos"

Von Thomas Pertz

Lingen So leicht ist Volker Laue nicht aus der Ruhe zu bringen. Das signalisiert schon seine Körpersprache. Die Hände liegen gefaltet auf dem Bauch, während der 60-Jährige im behaglichen Wohnzimmer seines Hauses im Lingener Wohnpark Gauerbach ins Erzählen kommt. Volker Laue war bis vor kurzem Richter am Amtsgericht in Lingen. Seine ausgeglichene Art kam ihm dort sehr zugute, wenn er zum Beispiel als Familienrichter zwischen heftig zankenden Ehepaaren vermitteln musste.

Der Jurist, verheiratet und Vater von zwei Töchtern, war bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand am 1. November (2001) insgesamt 25 Jahre am Amtsgericht in Lingen tätig. Laue arbeitete im ehrwürdigen Danckelmannschen Palais, dem Sitz des Gerichtes in der Burgstraße, bzw. dessen Neubau als Jugendrichter, Zivilrichter und Familienrichter. Zuletzt war er Vorsitzender einer kleinen Strafvollstreckungskammer beim Amtsgericht und zuständig für die beiden Lingener Vollzugsanstalten an der Kaiserstraße und in Damaschke. Dabei hatte der Jurist zu überprüfen, ob ein Straftäter nach Ablauf von zwei Dritteln der Strafzeit vorzeitig auf Bewährung entlassen werden kann.

Eigentlich hatte Volker Laue Anwalt werden wollen, sich dann aber doch für die Richterlaufbahn entschieden. Dies kam wohl auch eher seinem Naturell entgegen, sich nicht nur auf die eine Seite zu schlagen, sondern für beide Parteien eine juristisch tragfähige Lösung zu finden. "Obwohl sie als Richter manchmal ganz arm dran sind", erzählt er. Zwar seien Anwälte durchaus kooperativ, müssten aber schließlich auch die Interessen ihrer Mandanten wahren. "Da hatte ich schon öfter das Gefühl, dass der Sachverhalt anders war, als er beschrieben wurde".

Als Familienrichter blickte Laue häufiger in menschliche Abgründe, wenn es um Unterhaltsfragen ging, oder um das Umgangsrecht, also um die Frage, wann das gemeinsame Kind vom geschiedenen Partner besucht werden darf. "Detailprobleme", die es zu lösen gilt, waren manchmal nicht größer als ein Esslöffel. Bei einer sogenannten "Hausratsteilung", die der Richter hautnah miterlebte, bestimmte die Ehefrau durch Kopfnicken oder -schütteln, welcher Topf und Löffel das Haus des Expartners verlassen durfte. "Ich hab' es sogar erlebt, dass sich Ehepaare im Gerichtssaal siezten", beschreibt Laue auch die verbalen Folgen solcher Zerwürfnisse.

Der behutsame Richter hatte in diesen Fällen immer die Schwächsten im Blick, und das waren die Kinder. Laue suchte diese, wenn es um ungeklärte Besuchsfragen ging, zu Hause auf, um ihnen den Gang zum Gericht zu ersparen. Der Jurist arbeitete auch eng mit dem Lingener Jugendamt zusammen, um möglichst das Beste für die Kinder zu erreichen. Während seiner beruflichen Tätigkeit war Laue eng mit dem Jugendhilfeausschuss der Stadt Lingen verbunden, dessen beratendes Mitglied er war.

Sehr unangenehm seien für ihn die Unterhaltsfälle gewesen, berichtet der Jurist. "Im offenen Vollzug in Damaschke befindet sich eine Reihe von Personen, die den Unterhalt an ihre geschiedenen Frauen oder an ihre gemeinsamen Kinder bewusst nicht gezahlt haben", erläutert der 60-Jährige. Es sei für ihn eine überaus beklemmende Erkenntnis gewesen, wie schwierig die finanzielle Lebensbasis doch werde, wenn man getrennt sei.

Irgendwann wurde Laue "das Gezänk der Eheleute einfach zuviel". Vom 1. Januar 1992 bis zuletzt war er ausschließlich Vorsitzender der kleinen Strafvollstreckungskammer und hatte es nun mit Inhaftierten zu tun, die auf eine vorzeitige Entlassung aus der Strafanstalt hofften. Der Jurist suchte das Gespräch und keine vorschnellen Entscheidungen. Wenn der Richter Häftlinge anhören musste, dann ließ er diese nicht zur Burgstraße kommen, was vor allem für die Bediensteten der JVA an der Kaiserstraße mit erheblichem organisatorischem Aufwand verbunden gewesen wäre. Vielmehr fuhr Laue selbst zur Kaiserstraße oder nach Damaschke.

Auch wenn der Richter oft genug eine Ablehnung aussprach, wenn eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung nicht zu rechtfertigen war, erwarb sich Laue einen guten Ruf bei den Betroffenen. "Papa Gnädig statt Richter Gnadenlos", hieß es etwa unter den Inhaftierten im Offenen Vollzug in Damaschke. An der Kaiserstraße war der Richter ebenfalls nicht als Hardliner bekannt. Er blieb auch dort seiner Linie treu, den Menschen zu sehen, auch im Schwerverbrecher. Als im letzten Jahr ein Häftling in der Anstalt an der Kaiserstraße auf das Dach stieg, verlangte dieser ausdrücklich nach Laue, um über seine Haftsituation zu sprechen. Dem Richter gelang es schließlich, dass der Mann in die Zelle zurückkehrte.

Enttäuschungen blieben dem Richter dennoch nicht erspart. Als Beispiel nennt er drogenabhängige Inhaftierte, die nach Verbüßen von zwei Dritteln der Strafe mit dem festen Vorsatz - zumindest nach außen hin - zu ihm kamen, eine Therapie antreten zu wollen. "Wenn man dann später hört, dass schon kurz nach der Entlassung die Therapie abgebrochen wurde, hat man schon das Gefühl, über den Tisch gezogen worden zu sein", erzählt er.

Solche Dinge waren natürlich immer auch Themen im Kollegenkreis. In Lingen ist es schon lange ein offenes Geheimnis, dass das Amtsgericht in der Burgstraße zu einer bestimmten Tageszeit nur äußerst spärlich besetzt ist. Zwischen 10 und 10.30 Uhr sitzen die Richter und Anwälte schräg gegenüber im Kolpinghaus. "Da wird im gemütlichen Kreis gefachsimpelt", berichtet Laue von diesen Runden, die er auch als Pensionär nicht missen muss. "So ein bis zwei Mal in der Woche werde ich wohl dorthin gehen", hat Laue die feste Absicht, den Kontakt zum Kollegenkreis nicht abreißen zu lassen.

Langeweile kennt der Lingener aber auch so nicht. Er fotografiert gerne, wie die Bilder im Wohnzimmer zeigen. Volker und Heidemarie Laue sind Australienfans, waren schon mehrfach auf dem fünften Kontinent. Eine "ruhige Kugel" zu schieben ist auch im wörtlichen Sinne nicht die Sache des 60-Jährigen. In der "Lachenden Justitia", dem Kegelclub des Amtsgerichtes, ist Laue aktives Mitglied.
 

22.12.2001
Neue Osnabrücker Zeitung
www.neue-oz.de/information/noz_print/kreis_emsland/papagnaedig.html


eine richtig schöne Weihnachtsgeschichte
Thomas