Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 77/2005 vom 23. August 2005
Zum Beschluss vom 23. August 2005 – 2 BvE 5/05 –
Klage der FAMILIEN-PARTEI DEUTSCHLANDS und der
Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) gegen
Bundestagsauflösung und Unterschriftenquorum ohne Erfolg
Die Organklage der FAMILIEN-PARTEI DEUTSCHLANDS (unter Beitritt der
ödp), die sich gegen die Entscheidung des Bundespräsidenten, den 15.
Deutschen Bundestag aufzulösen, sowie gegen Bestimmungen des
Bundeswahlgesetzes über die Beibringung von Unterstützungsunterschriften
richtet, ist vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts als
unzulässig verworfen worden. Durch eine etwaige verfassungswidrige
Auflösung des Parlaments könne die Antragstellerin nicht in eigenen
Rechten verletzt werden, denn Art. 68 GG diene nicht dem Schutz der im
Parlament nicht vertretenen Parteien, sondern sei darauf angelegt, zu
politischer Stabilität im Verhältnis von Bundeskanzler und Bundestag
beizutragen. Soweit sich die Antragstellerin gegen das im
Bundeswahlgesetz festgelegte Erfordernis einer bestimmten Anzahl von
Unterstützungsunterschriften und das Fehlen von Ausnahmetatbeständen im
Falle des vorzeitigen Endes der Wahlperiode wendet, sei der Antrag nicht
innerhalb der für Organklagen geltenden Sechsmonatsfrist erhoben worden
und daher verfristet. Die maßgeblichen Regelungen des Gesetzes seien in
der gegenwärtig geltenden Fassung bereits vor Jahren verkündet worden.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die Organklage ist unzulässig.
I. Soweit sich die Antragstellerin gegen die Auflösungsentscheidung
des Bundespräsidenten wehrt, ist sie nicht antragsbefugt. Art. 68
GG ist darauf angelegt, zu politischer Stabilität im Verhältnis von
Bundeskanzler und Bundestag beizutragen. Die Norm bezweckt dagegen
nicht, den im Deutschen Bundestag nicht vertretenen Parteien eine
hinreichend lange Wahlvorbereitungszeit zu gewährleisten. Sie
können folglich durch eine etwaige verfassungswidrige Auflösung des
Parlaments nicht in eigenen Rechten verletzt werden.
Die Antragstellerin kann die Auflösungsentscheidung auch nicht auf
dem Umweg der Rüge einer Verletzung ihres Rechts auf
Chancengleichheit zur verfassungsgerichtlichen Prüfung stellen. Die
Frage, ob sie durch das Erfordernis der Beibringung von
Unterstützungsunterschriften innerhalb eines verkürzten Zeitraums
in eigenen Rechten verletzt ist, beantwortet sich unabhängig von
der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Auflösungsentscheidung. Die
Auswirkungen sind für die Antragstellerin im Fall der
verfassungswidrigen wie der grundgesetzkonformen
Auflösungsentscheidung die gleichen.
II. Die beiden gegen die Vorschriften des Bundeswahlgesetzes
gerichteten (Hilfs-) Anträge wahren nicht die Sechsmonatsfrist,
innerhalb deren eine Organklage erhoben werden muss.
1. Zum einen wendet sich die Antragstellerin gegen die
Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes zu den
Unterschriftenquoren, die keine Erleichterung vom
Unterschriftenerfordernis für den Fall vorsehen, dass der
Deutsche Bundestag nach Art. 68 GG aufgelöst wird und
Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen stattfinden müssen. Der
Bundesgesetzgeber regelte bereits im Bundeswahlgesetz vom 7.
Mai 1956 das Erfordernis von Unterstützungsunterschriften für
parlamentarisch nicht vertretene Parteien. Die damals
festgelegten Vorgaben haben bis heute Gültigkeit. Die mit der
Verkündung des Gesetzes beginnende Sechsmonatsfrist zur
Erhebung der Organklage ist damit verstrichen. Auch das Gesetz
zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 11. März 2005 setzt
die Antragsfrist nicht neuerlich in Lauf. Die mit dieser
Änderung vorgenommenen Wahlkreiszuschnitte stehen erkennbar in
keinem inhaltlichen oder systematischen Wirkungszusammenhang
zu den Vorschriften über das Erfordernis von
Unterstützungsunterschriften. Schließlich setzte auch die
Verordnung über die Abkürzung von Fristen im Bundeswahlgesetz
für die Wahl zum 16. Deutschen Bundestag vom 21. Juli 2005 die
Antragsfrist nicht neuerlich in Gang, weil ihr ein gegenüber
der 60-Tage-Frist des Grundgesetzes (Art. 39 Abs. 1 Satz 4)
eigenständiger belastender Gehalt fehlt.
2. Zum anderen macht die Antragstellerin geltend, der Gesetzgeber
habe es pflichtwidrig unterlassen, für den Fall einer
Auflösung des Deutschen Bundestages Ausnahmen vom
Unterschriftenquorum zu regeln. Dabei kann offen bleiben, ob
ein gesetzgeberisches Unterlassen überhaupt im Wege einer
Organklage angreifbar ist. Jedenfalls hat die Antragstellerin
die Sechsmonatsfrist für die Einleitung eines Organstreits
nicht eingehalten. Die Frist beginnt in diesem Fall mit der
erkennbaren Weigerung des Gesetzgebers, in der von der
Antragstellerin begehrten Weise tätig zu werden. Dies ist
vorliegend mit der Einfügung verschiedener Regelungen in das
Bundeswahlgesetz durch das Gesetz vom 24. Juni 1975 und vom
15. März 1985 geschehen. Mit den vorgenommenen Änderungen hat
der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er den Besonderheiten
bei der Wahlvorbereitung im Fall der Bundestagsauflösung zwar
durch die Verkürzung von Fristen, nicht aber durch den
Verzicht auf die Unterschriftenquoren oder deren Absenkung
Rechnung tragen wollte.
Beschluss vom 23. August 2005 – 2 BvE 5/05 –
Karlsruhe, den 23. August 2005
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