Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 117/2005 vom 25. November 2005
Zum Beschluss vom 25. Oktober 2005 - 2 BvR 524/01 -
Unterschiedliche Behandlung von Vater und Mutter bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für ihr Kind nicht verfassungsgemäß
Die Verfassungsbeschwerde eines türkischen, bei seinem Vater in
Deutschland lebenden Kindes gegen die Versagung einer
Aufenthaltserlaubnis war erfolgreich. Der Zweite Senat des
Bundesverfassungsgerichts stellt fest, dass es mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1
GG (Gleichbehandlungsgebot) nicht vereinbar ist, die erleichterte
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für ein im Bundesgebiet geborenes
Kind allein an den Aufenthaltstitel der Mutter, nicht hingegen auch des
Vaters zu knüpfen. Die entsprechenden Regelungen des Ausländergesetzes
und die nunmehr geltende Nachfolgeregelung im Aufenthaltsgesetz sind
daher nicht verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber ist gehalten, den
Gleichheitsverstoß bis zum 31. Dezember 2006 zu beheben. Bis dahin
können die betroffenen Bestimmungen zugunsten von Kindern, die ein
Aufenthaltsrecht von der Mutter ableiten, weiter angewandt werden.
Entscheidungen über Anträge, die an das Aufenthaltsrecht des Vaters
anknüpfen, sind auszusetzen.
Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt:
§ 21 des Ausländergesetzes in der Fassung vom 9. Juli 1990 regelte
erstmals die Rechtsstellung von in Deutschland geborenen Kindern hier
lebender Ausländer. Ein bindender Rechtsanspruch auf erstmalige
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für das im Bundesgebiet geborene
Kind besteht danach nur dann, wenn die Mutter eine Aufenthaltserlaubnis
oder Aufenthaltsberechtigung besitzt. Ob der Vater ein entsprechendes
Aufenthaltsrecht hat, ist unerheblich. Diese Rechtslage wurde im
Hinblick auf die Voraussetzungen der erstmaligen Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis im Wesentlichen unverändert in das neue, seit dem
1. Januar 2005 geltende Aufenthaltsgesetz (§ 33 Satz 1 AufenthG)
übernommen.
Die 1999 in Deutschland geborene Beschwerdeführerin ist ebenso wie ihre
Eltern türkische Staatsangehörige. Ihr Vater lebt seit etwa 25 Jahren in
Deutschland; 1989 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis
erteilt. Die Mutter der Beschwerdeführerin reiste 1997 nach Deutschland
ein. Eine ihr zunächst erteilte Aufenthaltserlaubnis wurde 1998
zurückgenommen. Die Mutter der Beschwerdeführerin wird seither geduldet.
Im Jahr 2002 wurden die Eltern geschieden. Der Vater, bei dem die
Beschwerdeführerin lebt, hat das alleinige Sorgerecht. Ein im Juni 1999
für die Beschwerdeführerin gestellter Antrag auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis wurde abgelehnt, da die Mutter kein gesichertes
Aufenthaltsrecht habe. Die hiergegen gerichtete Klage blieb vor den
Verwaltungsgerichten ohne Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht hob die
Entscheidungen auf und verwies die Sache an das Verwaltungsgericht
Düsseldorf zurück.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Regelung stellt die im
Bundesgebiet geborenen ausländischen Kinder, deren Mutter eine
Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung hat, gegenüber
denjenigen besser, bei denen allein der Vater einen entsprechenden
ausländerrechtlichen Status hat. Darin liegt eine Bevorzugung wegen des
Geschlechts im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Diese Differenzierung
ist nicht gerechtfertigt.
§ 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG ist keine Regelung zum Schutz der Mutter-Kind-
Beziehung. Die Vorschrift beantwortet die Frage der erstmaligen
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an ein in Deutschland geborenes
Kind. Dabei verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, das Kind am rechtmäßigen
Aufenthalt eines Elternteils teilhaben zu lassen. Das Aufenthaltsrecht
der Mutter bildet erkennbar nur den ordnungsrechtlichen Anknüpfungspunkt
für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Eine Anknüpfung an das
Aufenthaltsrecht der Mutter ist aber nicht zwingend erforderlich. Eine
Gleichbehandlung beider Elternteile ist ohne weiteres möglich. Der zu
ordnende Lebenssachverhalt - der Aufenthaltsstatus des Kindes - betrifft
Vater und Mutter in gleicher Weise.
Das Aufenthaltsrecht des Kindes (auch) von dem des Vaters abzuleiten,
stößt ferner nicht auf praktische Schwierigkeiten, so dass auch von
daher die Anknüpfung an das Aufenthaltsrecht der Mutter nicht zwingend
erforderlich ist. Die Annahme, Väter, die in Deutschland ein
Aufenthaltsrecht haben, seien typischerweise nicht erreichbar, wäre
offensichtlich verfehlt. Die mögliche Erwägung, das Aufenthaltsrecht des
Kindes bedürfe schneller und einfacher Klärung und deshalb sei allein
auf die Mutter abzustellen, hat im Gesetz keinen Niederschlag gefunden
und trägt auch in der Sache nicht.
Die Ungleichbehandlung ist auch nicht auf Grund einer Abwägung mit
kollidierendem Verfassungsrecht gerechtfertigt. Das durch Art. 6 GG
gewährleistete Kindeswohl verlangt nicht, dass das Kind
aufenthaltsrechtlich ausschließlich der Mutter zugeordnet wird. Weder
Aspekte der Familieneinheit noch solche der gerade in der ersten Zeit
nach der Geburt des Kindes meist besonders intensiven Gemeinschaft
zwischen Mutter und Kind lassen sich ausschließlich dadurch
verwirklichen, dass die Interessen des Vaters ausgeklammert werden. Im
Gegenteil stehen der durch § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG vorgenommenen
Differenzierung die verfassungsgestützten Wertungen des Familienrechts,
wonach beide Elternteile gleichberechtigt sind, entgegen. Wenn der
Gesetzgeber für das erleichterte Aufenthaltsrecht des Kindes allein auf
den Aufenthaltsstatus der Mutter abhebt, vernachlässigt er sowohl die
Sorgerechtslage als auch die tatsächlichen Lebensverhältnisse der
Familien, die häufig von gemeinsamer Sorge und häufiger als früher sogar
von einer vorrangigen oder ausschließlichen Betreuung des Kindes durch
den Vater geprägt sind.
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