Die UN-Kinderrechtekonvention

Denkschrift der Bundesrepublik Deutschland zu dem Übereinkommen
Vorbemerkungen zu den einzelnen Bestimmungen

Zum allgemeinen Verständnis des Übereinkommens ist auf folgendes hinzuweisen:

I. Begründung von Staatsverpflichtungen

Nach Artikel 4 Abs. 1 sind die Vertragsstaaten gehalten, zur Verwirklichung der in dem Übereinkommen anerkannten Rechte „alle geeigneten Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zu ergreifen". Einer solchen allgemeinen Verpflichtung bedarf es, weil das Übereinkommen sich durch die Ratifizierung in dem betreffenden Vertragsstaat nicht von selbst verwirklicht. Das Übereinkommen begründet lediglich Staatenverpflichtungen, wonach die Vertragsstaaten das Übereinkommen und die in ihm anerkannten Kindesrechte in ihrem innerstaatlichen Recht umsetzen müssen. Das Übereinkommen bietet aber keine Grundlage für die rechtliche Geltendmachung unmittelbar auf einzelne Übereinkommensartikel gestützter individueller Rechtsansprüche. Solche Ansprüche können vielmehr nur geltend gemacht werden, soweit das innerstaatliche Recht - Das freilich im Einklang mit dem Übereinkommen stehen muß - dies vorsieht. Die Bundesregierung wird bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde eine Erklärung abgeben, die das klarstellt. Mit ihr soll auch verdeutlicht werden, daß das innerstaatliche Recht im Einklang mit dem Übereinkommen steht. Auf die im Anhang zur Denkschrift wiedergegebene Erklärung wird dazu verwiesen.

II. Zum Begriff der „Rechte des Kindes"

Wenn das Übereinkommen von den „Rechten des Kindes" spricht, so will es damit nicht sagen, daß das Kind über dieses „Recht" in jedem Fall aus eigenen autonomen Willen eine Verfügung treffen oder daß es dieses Recht durch einen Vertreter stets einklagen könnte. Dem stünde bereits der Umstand entgegen, daß sich zahlreiche der im Übereinkommen verankerten Kindesrechte ihrer Unbestimmtheit wegen als klageweise durchsetzbare Individualansprüche nicht eignen und darum auch nicht so verstanden werden können. Der Sprachgebrauch des Übereinkommens folgt insoweit demjenigen des Artikels 24 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. Nach dieser Bestimmung - auf die das Übereinkommen in Absatz 8 der Präambel ausdrücklichen Bezug nimmt - hat jedes Kind ein „Recht auf diejenigen Schutzmaßnahmen durch seine Familie, die Gesellschaft und den Staat, die seine Rechtsstellung als Minderjähriger erfordert". Das vorliegende Übereinkommen präzisiert zu einem wesentlichen Teil, was unter den gebotenen Schutzmaßnahmen zu verstehen ist. Pauschal als „Recht" wird das Verhältnis des Kindes zu diesen Schutzmaßnahmen umschrieben, weil sie dem Wohl des Kindes dienen und weil sie ihm darum gebühren. Es ist Sache des Vertragsstaates, und des innerstaatlichen Rechts, zu bestimmen, inwieweit Schutzmaßnahmen, die nach dem Übereinkommen zum Wohle des Kindes zu treffen sind, von dem Kind oder seinem gesetzlichen Vertreter durch gerichtliche Klage sollen erzwungen werden können.

III. Verhältnis zum Elternrecht

Das Übereinkommen verfolgt - obgleich manche Bestimmungen auf den ersten Blick diesen Eindruck vermitteln könnten - nicht das Anliegen, Kinder und Jugendliche, die unter der Obhut ihrer Eltern oder anderer personensorgeberechtigter Personen stehen, zu emanzipieren und für den vom Übereinkommen erfaßten Regelungsbereich Erwachsenen gleichzustellen. Wäre das der Fall, würden sich ernsthafte Zweifel ergeben, ob das Übereinkommen mit dem in Artikel 6 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich als Grundrecht verbürgten Elternrecht vereinbar wäre. Indessen ist auch das elterliche Sorgerecht - und das damit verbundene Recht, das minderjährige Kind zu erziehen - eine durch Artikel 24 Abs. 1 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte legitimierte Schutzmaßnahme der staatlichen Gesetzgebung, auf die das Kind ein Recht hat und die durch das vorliegende Übereinkommen nicht in Frage gestellt werden soll. Vielmehr ergibt sich aus Artikel 5 des Übereinkommens deutlich, daß das Übereinkommen es als selbstverständlich voraussetzt, daß Kinder und Jugendliche bei der Wahrnehmung ihrer Rechte Beschränkungen unterliegen, die sich aus dem Erziehungsrecht der Eltern oder anderer personensorgeberechtigter Personen ergeben. Allerdings haben die Entwurfsverfasser von einer umfassenden Beschreibung der Rechte erziehungsberechtigter Personen im vorliegenden Übereinkommen abgesehen. Dies berührt indessen nicht auf der Absicht, das elterliche Erziehungsrecht zu verkürzen, sondern lediglich auf der Erwägung, daß ein Übereinkommen über die Rechte des Kindes nicht der geeignete Rahmen ist, um Rechte der Eltern zu garantieren. Die Bundesregierung wird, um dies klarzustellen, in der Erklärung, die bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde abgegeben wird, darauf hinweisen, daß die innerstaatlichen Vorschriften über die gesetzliche Vertretung des Kindes bei der Wahrnehmung seiner Rechte unberührt bleiben. Auf die Anlage zur Denkschrift wird Bezug genommen.

IV. Vereinbarkeit des Übereinkommens mit dem innerstaatlichen Recht

Bei der zu den einzelnen Übereinkommensbestimmungen nachfolgend zu erörternden Fragen nach ihrer Vereinbarkeit mit dem innerstaatlichen Recht wird vom Recht der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen, weil dieses nach Artikel 8 des Einigungsvertrags vom 31. August 1990 (BGBI II S. 889) seit dem 3. Oktober 1990 grundsätzlich auch im Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik gilt. Soweit ausnahmsweise nach dem Einigungsvertrag, insbesondere nach dessen Anlage II, das DDR-Recht fortgilt, wird darauf eingegangen, soweit dazu Veranlassung besteht.