Familienrechtsreform in Frankreich
Die französische Nationalversammlung
hat den französischen code civil (bürgerliches Gesetzbuch) in
wesentlichen Teilen, die das Familienrecht betreffen, geändert und
damit eine seit vielen Jahren anhaltende Reformtätigkeit abgeschlossen.
Mit dem Gesetz vom 8. Januar 1993 hat die Französische Republik ihren
code civil nicht nur an die Kinderrechtekonvention angepaßt, sondern
auch der alten Forderung der gleichen Rechte und Pflichten gegenüber
den Kindern auch bei Scheidung Anerkennung verschafft sowie die Gleichstellung
der ehelichen und der nichtehelichen Kinder vollendet, indem vom Prinzip
der gemeinsamen elterlichen Verantwortung von Eltern (geschieden, getrennt
lebend oder unverheiratet) nur noch im Einzelfall auf Anordnung eines Familienrichters
abgewichen werden kann, wenn das Wohl der Kinder es erforderlich macht.
Die Kinder haben unabhängig vom Alter
ein Recht auf Anhörung in allen sie betreffenden Verfahren und ihr
Recht auf lebendige Beziehungen zu beiden Eltern wird durch großzügige
Umgangsregelungen mit dem Elternteil gesichert, bei dem sie nicht ihren
festen Wohnsitz haben. Verletzung von gerichtlich bestimmten Umgangsregelungen
durch einen Elternteil wird als strafrechtlicher Tatbestand (!) verfolgt
und mit einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe von FFr 100.000
bestraft. Verletzt ein alleinsorgeberechtigter Elternteil seine Pflicht,
jede Änderung des Wohnsitzes der Kinder innerhalb eines Monats per
Einschreiben mit Rückschein dem anderen Elternteil mitzuteilen, wird
dies ebenfalls als strafbarer Tatbestand verfolgt und mit 6 Monaten Gefängnis
und einer Geldstrafe von FFr 50.000 geahndet. Damit wird die hohe Bedeutung
fortdauernder Bindung der Kinder an beide Eltern den kooperationsunwilligen
Elternteilen in unmißverständlicher Weise klar gemacht.
Schon das Reformgesetz von 1987 (la loi
Malhuret) enthielt Anpassungen an den UN-Zivilpakt. Die Diskussionen um
das Familienrecht verstärkten sich ganz dramatisch mit der Ratifizierung
der UN-Kinderrechtekonvention durch die Republik im Jahre 1990. Diese Konvention
hat in ganz erstaunlicher Weise die Diskussionen um das Familienrecht in
Frankreich beflügelt und die kindzentrierte Betrachtung ungemein befördert.
Darüberhinaus hat sie auch die älteren Menschenrechtsdokumente
erneut ins Bewußtsein gehoben. Durch das Gesetz vom 8.1.93 gilt zukünftig
in Frankreich folgendes:
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1. Zuordnung der elterlichen Verantwortung
bei einem nichtehelichen Kinde:
erkennen die nicht miteinander verheirateten
Eltern eines Kindes dieses innerhalb eines Jahres nach der Geburt als ihr
Kind an und leben sie zu diesem Zeitpunkt der Anerkennung zusammen, üben
sie die gemeinsame elterliche Verantwortung aus; ist die Abstammung nur
bezüglich eines Elternteiles festgestellt, trägt dieser Elternteil
die alleinige elterliche Verantwortung.
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2. Gemeinsame elterliche Verantwortung bei
Trennung oder Scheidung als Regelfall, von dem nur auf begründete
Anordnung des Gerichtes bei Vorliegen schwerwiegender Gründe abgewichen
werden kann. Bei Uneinigkeit der Eltern über den ständigen Wohnsitz
des Kindes kann das Gericht diesen unter Belassung der gemeinsamen elterlichen
Verantwortung festlegen.
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3. Umgang mit dem Elternteil, bei dem das
Kind nicht ständig lebt: bei Uneinigkeit der Eltern bzw. bei Übertragung
der elterlichen Verantwortung auf einen Elternteil wird der Umgang vom
Gericht bestimmt. Verhinderung des gerichtlich bestimmten Umganges durch
den verantwortlichen Elternteil ist ein Straftatbestand. Der Elternteil,
der nicht an der elterlichen Verantwortung teil hat, hat das Recht, mit
seinem Kinde zu korrespondieren und von diesem Antwort zu erhalten, ohne
die geringste Einmischung von seiten des anderen Elternteiles.
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4. Umgang des Kindes mit den Großeltern
und anderen Verwandten: die Großseltern haben ein bei Gericht einklagbares
Recht auf Umgang mit ihren Enkeln. Das gleiche gilt für die Urgroßeltern.
Sollten die Eltern den Umgang verwehren und die Großeltern sich wegen
Umganges an das Gericht wenden, kann das Gericht nur bei Vorliegen schwerwiegender
Gründe den Umgang aussetzen.
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5. Das Recht des Kindes auf Anhörung
durch das Gericht: das neue Gesetz gibt dem Kinde das Recht in allen Verfahren,
die es betreffen, vom Gericht gehört zu werden. Wenn das Kind diesen
Wunsch äußert, kann seine Anhörung nur unterbleiben, wenn
das Gericht dies begründen kann. Die Anhörung macht das Kind
nicht zur Prozeßpartei, aber wenn seine Interessen in einem Gegensatz
zu denen seiner gesetzlichen Vertreter zu stehen scheinen, dann kann das
Gericht einen Vertreter im Verfahren für das Kind bestimmen.
V.i.S.d.P. Prof. Dr. M. Reeken