Politik

Artikel aus der Stuttgarter Zeitungvom 25.10.2003

Wenn entsorgte Gefühle zu roten Zahlen werden

Studien belegen: gemeinsame Sorge fördert Unterhaltszahlung

Eine Trennung oder Scheidung bedeutet für die Betroffenen nicht nur in emotionaler Hinsicht eine Lebenskrise. Allein erziehende Elternteile können dabei auch finanziell schnell ins Abseits geraten. Diese Fakten sind eine Herausforderung für betroffene Paare - und die Politik.

Von Barbara Thurner-Fromm

Seit Jahren steigt die Zahl der Ehescheidungen kontinuierlich. 2001 - neuere Daten hat das Statistische Bundesamt noch nicht vorgelegt - war wieder ein Rekordjahr: 197 500 Paare beendeten ihre Partnerschaft vor dem Familienrichter. Bei der Hälfte aller Fälle waren auch Kinder betroffen; 153 500 insgesamt. Die sozialen Folgen sind prekär: viele von ihnen finden sich später in der Sozialhilfestatistik wieder. In einer Studie im Auftrag des Familienministeriums, die im Dezember als Buch erscheint, haben die Bielefelder Soziologen Hans-Jürgen Andreß, Barbara Borgloh, Miriam Güllner und Katja Wilking die wirtschaftlichen Folgen von Scheidungen untersucht. Ihre Ergebnisse bestätigen so deutlich wie nie zuvor, dass familiäre Trennungen neben Arbeitslosigkeit, Krankheit und niedriger Bildung zu "den großen wirtschaftlichen Risikofaktoren" zählen. Scheidungen verursachen nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für den Staat hohe Kosten und stellen damit die Solidargemeinschaft vor große finanzielle und soziale Probleme.

Die Scheidungsfolgen sind geschlechtsspezifisch. Fast immer versorgen die Mütter die Kinder. Die Bielefelder Soziologen ermittelten, dass 95 Prozent der Mütter mindestens ein minderjähriges Kind beteuen, aber nur 23 Prozent der Väter. Ein Viertel der Frauen erhält aber keinen Kindesunterhalt. Zwar wurde der vielfach geäußerte Vorwurf, Väter würden "in Arbeitslosigkeit abtauchen", um sich vor Unterhaltszahlungen zu drücken, nicht bestätigt; gleichwohl geht jede dritte Mutter mit minderjährigen Kindern nach der Scheidung wieder arbeiten oder weitet ihre bestehende Erwerbstätigkeit aus. Den Frauen bleibt gar nichts anderes übrig, denn ein Jahr nach ihrer Trennung haben die Mütter durchschnittlich ein Drittel ihres früheren Einkommens verloren.

Frauen, so die Bielefelder Soziologen, "verdoppeln durch Trennung und Scheidung das Armutsrisiko". Mehr als ein Viertel aller geschiedenen Frauen ist auf staatliche Zuwendungen angewiesen; sind Kinder mit im Spiel benötigt sogar ein Drittel finanzielle Hilfe. Trotzdem zieht es vor allem sie von ihren Partnern weg; zwei Drittel ergreifen die Initiative zur Scheidung.

Wenig Mut wird die Bielefelder Studie denjenigen Männern machen, die sich trauen, aus dem traditionellen Rollenbild auszubrechen und als Hausmänner tätig zu sein. Sie erleiden das gleiche Schicksal wie Hausfrauen: erhebliche Einkommensverluste. Ein Hauptgrund für die prekäre soziale Situation nach Trennungen ist die beklagenswert schlechte Zahlungsmoral. Nur zehn bis 20 Prozent der Männer sind finanziell tatsächlich nicht in der Lage, Unterhalt zu bezahlen, im Osten Deutschlands ist der Anteil durch die hohe Arbeitslosigkeit höher. 80 Prozent könnten also im Prinzip zahlen, doch zwei Drittel der Frauen, die Anspruch auf Unterhalt hätten, sehen davon nie etwas. Allerdings können sich die Frauen in diesem Zusammenhang nicht länger einbilden, sie seien der bessere Teil der Menschheit, denn den (wenigen) unterhaltsberechtigten Männern geht es noch schlechter: 90 Prozent bekommen nichts.

Gerade im Hinblick auf ausbleibende Unterhaltszahlungen und die daraus folgenden sozialen Probleme ist eine weitere Untersuchung interessant. Der Nürnberger Familienrechtler Roland Proksch hat im Auftrag des Bundesjustizministeriums eine große Zahl von Familienrichtern, Anwälten sowie 7600 geschiedene Eltern über ihre Situation und die ihrer Kinder befragt. Eine seiner zentralen Erkenntnisse: es gibt besonders bei den Scheidungsfällen erhebliche Konflikte, bei denen einem Elternteil das alleinige Sorgerecht zugesprochen wird. "Die Entsorgung eines Elternteils" fördere Spannungen, "denn wird die gemeinsame Sorge erhalten, gibt es keine Verlierer", hat Proksch festgestellt.

Können sich die ehemaligen Partner aber auf ein gemeinsames Sorgerecht verständigen, entfallen nicht nur kostentreibende und nervenzerfetzende Prozesse, sondern auch Schikanen und Boykottmaßnahmen wie das Verbot, die Kinder zu sehen, oder im Gegenzug der verweigerte Scheck. Ein gemeinsames Sorgerecht hat also nicht nur einen hohen symbolischen und psychologischen Wert, sondern auch einen ganz praktischen Nutzen. Proksch wies nach, dass vor allem das gemeinsame Sorgerecht zu zuverlässigen Unterhaltszahlungen an die Kinder führt.

Ein ganz wesentlicher Pluspunkt kommt hinzu: Die Kinder haben regelmäßige Besuchskontakte zu beiden Eltern, der ohnedies hohe emotionale Scheidungsstress für Kinder werde abgebaut, und selbst Eltern, die ursprünglich dagegen waren, stellten später "positive Effekte" fest. Als alarmierend bezeichnet dagegen Proksch, "dass über 40 Prozent der besuchsberechtigten Mütter und Väter ohne Sorgerecht nur selten oder gar keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben". Bei einem Viertel seien die Kontakte völlig abgebrochen. "Die Kontaktabbrüche mehren sich regelmäßig Jahr für Jahr um fast zehn Prozent", warnt Proksch.

Dass es einen direkten Draht von geschiedenen Vätern zu ihren Kindern gibt, nämlich den über regelmäßige Unterhaltszahlungen, bestätigt auch die "Väterstudie" des Bremer Sozialwissenschaftlers Gerhard Amendt. Er beklagt allerdings, dass die Forderung nach "neuen Vätern", die sich nicht nur um den Brotwerwerb kümmern, sondern auch ihre emotionale Seite im Familienleben einbringen, nach einer Trennung nicht mehr gelte. Dann, so Amendt, sei nicht mehr die Bereitschaft gefragt, den emotionalen Kontakt zu den Kindern aufrechtzuerhalten, sondern vor allem Geld. Männer mit hohem Einkommen erhalten demnach um 20 Prozent häufiger das gemeinsame Sorgerecht als Männer mit geringeren Einkommen.

Amendt zieht daraus den Schuss, dass sich die Expartnerinnen weniger daran orientieren, ob ein Vater sich um seine Kinder kümmert, sondern mehr an der Höhe seiner Zahlungen. Sein Schluss: wer Geld hat, darf die Kinder sehen, wer keines hat, hat Pech gehabt! Angesichts der sozialen Deklassierung, die geschiedenen Müttern droht, ist eine solch materiell-rationale Sicht auf die Dinge durchaus denkbar.

Die Ergebnisse der Studien geben freilich nicht nur Anlass, individuelles Verhalten kritisch zu hinterfragen. Sie bieten auch Handlungsempfehlungen. Um Mütter aus der Sozialhilfe zu holen und ihnen Erwerbsmöglichkeiten zu bieten, sind dringend flexible Angebote zur Kinderbetreuung nötig. Weil Hausfrauen (und -männer), die lange aus dem Beruf ausgestiegen waren, nach einer Trennung nur schwer beruflich wieder Fuß fassen, sollte nach Meinung der Bielefelder Wissenschaftler das Steuersystem Anreize zu einem eigenständiges Einkommen setzen. Auch mehr Beratungsangebote seien nötig. Vor allem aber setzen Fachleute auf Streitschlichtung und das gemeinsame Sorgerecht.

25.10.2003
 

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