Sächsische Zeitung (Magazin/ Familie und Partnerschaft), 30.11.2002

Familie

Nicht ohne meine Kinder

Scheidungsväter stehen im Verdacht, sich schnell aus dem Staub zu machen. Doch sie sind besser als ihr Ruf.

Anja Krumpholz-Reichel

Als Rudis Ehe in die Brüche ging, war er selbst noch gar nicht richtig erwachsen, wie der 40-jährige Graphiker heute zugibt. Fluchtartig verließ er
damals Deutschland, um sich im Süden Europas eine neue Existenz aufzubauen. Der Sohn blieb bei der Mutter. Nach 15 Jahren völligen Kontaktabbruchs schloss Rudi nun seinen mittlerweile volljährigen Sohn am Flughafen in die Arme. Der Kampf um seine fünfjährige Tochter hat Gerhard derart zermürbt, dass er seinen Beruf als Installateur nur noch an guten Tagen ausüben kann. Immer wieder sagt die Kindsmutter "sein" Wochenende mit der Tochter unter fadenscheinigen Gründen ab. Bald wird sie mit ihrem neuen Freund sowieso aufs Land ziehen.

Wer will schon als Wochenendpapa enden?

Norbert, Computerfachmann im Verlagswesen, hat gerade ein interessantes Jobangebot in einer anderen Stadt ausgeschlagen. Er kann sich nicht vorstellen, als Wochenendpapa zu enden. Mit seinem jetzigen Chef ist alles optimal geregelt. Norbert nimmt sich Arbeit mit nach Hause, damit seine große Tochter bei ihm Hausaufgaben machen kann. Die Jüngere fährt er regelmäßig zur Tennisstunde. Doch die Kinder motzen schon: Immerzu müssen sie ihre Taschen packen, um zwischen ihren Eltern hin und her zu pendeln. Norbert hat Angst, auf lange Sicht den engen Kontakt zu verlieren.

Tresengeschichten, hundertfach erzählt. Kann man den verzweifelten Männern hinter ihren Bieren Glauben schenken? Scheidungsväter haben nicht eben einen guten Ruf. Sie stehen im Verdacht, sich bei Schwierigkeiten möglichst schnell aus der Schusslinie zu bringen. Sie verlieben sich in jüngere Frauen, gründen neue Familien und stellen die Unterhaltszahlungen ein. Oder man sagt ihnen nach, sie würden erst dann auf Big Daddy machen, wenn es längst zu spät ist. Um die Kinder als Druckmittel gegen ihre Exfrauen zu benutzen. Wochenendväter verwöhnen allenfalls und erziehen nicht, sagen die Mütter. Der Alltagsstress bliebe nach wie vor an ihnen hängen. Was ist dran am Ego-Mann, der sich allenfalls dann für seine Kinder Zeit nimmt, wenn seine eigenen Schäfchen bereits im Trockenen stehen? Der nur dann für den Nachwuchs aufkommt, wenn der Ferrari bezahlt ist?

Kennt man die Ergebnisse der Begleitforschung zur Reform des Kindschaftsrechtes, die der Nürnberger Jurist Professor Roland Proksch im Auftrag der Bundesregierung durchgeführt hat, dann relativiert sich zumindest das Vorurteil von der durchgängig schlechten Zahlungsmoral der Väter. 93,5 Prozent der Väter, die sich mit der Ex das Sorgerecht teilen, gaben an, Kindesunterhalt zu leisten - und 86,7 Prozent der Mütter bestätigten das. Bei den Vätern, deren Exgattinnen das alleinige Sorgerecht haben, sieht die Sache allerdings etwas anders aus: Rund 88 Prozent dieser Männer gaben an zu zahlen, aber nur 67 Prozent der Frauen quittierten den Geldeingang.

Überhaupt scheint das Wohl und Wehe des Rosenkrieges stark von der jeweiligen Regelung des Sorgerechts abzuhängen. "Bei der gemeinsamen Sorge fühlen sich beide Eltern stark und gleichberechtigt. Das hat hohen Symbolcharakter und führt überwiegend zur Entspannung", erklärt Proksch die psychologische Dimension des neuen Kindschaftsrechts, das eine gemeinsame Sorge vorschreibt - außer ein Elternteil erhebt Einwand. Mittlerweile leben 75 Prozent aller Scheidungseltern die gemeinsame elterliche Sorge.

Gemeinsames Sorgerecht verhindert Ausgrenzung

Ein Segen, meint Proksch, denn: "Die alleinige Sorge produziert Gewinner und Verlierer, weil sich ein Elternteil häufig ausgegrenzt fühlt." In der Akte "Kramer gegen Kramer" möchte niemand verlieren - auch die Väter nicht. In einer Studie der Universität Bremen, in der mehr als 3 800 Scheidungsväter via Internet befragt wurden, sprachen sich 85 Prozent der Betroffenen für ein gemeinsames Sorgerecht aus. "Die meisten Männer möchten auch nach der Trennung von den Frauen Väter für ihre Kinder bleiben", sagt Gerhard Amendt, Leiter der Studie. Doch die Realität sieht leider anders aus: In Amendts Befragung gaben zwar die Hälfte der Trennungspapas einen häufigen Kontakt zu ihren Kindern an, bei einem Drittel allerdings war die Beziehung abgebrochen. Und das ist nicht nur schade für den Nachwuchs:

Denn Scheidungsväter, die es nicht schaffen, ihren Kindern auch nach einer Trennung nah zu sein, geht es oft richtig schlecht. In manchen Fällen wächst sich die Krise zur existenziellen Bedrohung aus. Ohnmächtig und handlungsunfähig fühlen sich viele Männer im Trennungsgeschehen zur Passivität verurteilt. Gesundheitlich angeschlagen melden sie sich krank. Für elf Prozent bedeutete die private Krise gar einen tiefen beruflichen Einschnitt: Ihnen wurde gekündigt. Häufiger als vielleicht erwartet, suchten die Männer professionellen Rat, so Amendts Zahlen. Knapp 30 Prozent der Befragten, die Probleme mit der Situation äußerten, begaben sich in therapeutische Behandlung. Entscheidend für das männliche Befinden sei dabei nicht, wie es um die Beziehung zur ehemaligen Partnerin steht, sondern allein, wie stark der Vater sich in seiner Väterlichkeit beeinträchtigt fühlt, so betont Amendt.

Trainiert durch den gemeinsamen Abwasch

Ob jemand auch nach einer Trennung seine Vaterrolle mit Leben ausfüllen kann, sei nicht zuletzt schichtabhängig: "Männer in niedrigen Einkommens- und Bildungsverhältnissen laufen am ehesten Gefahr, den Kontakt zu ihren Kindern zu verlieren." Im Wissen, ihren Kindern wenig bieten zu können und dazu ungeübt in Diskussionen und Auseinandersetzungen ziehen sich diese Männer ohnmächtig zurück. Auch der Grad der Gleichberechtigung in der nun kaputten Ehe wirkt sich auf die Trennungsbewältigung von Männern aus:

"Je weniger starr die Rollenaufteilung in der Beziehung zwischen den Partnern war, desto besser ist die Chance der Väter, die Krise gut zu meistern und mit ihren Kindern weiterhin Beziehung zu erleben", fasst Amendt zusammen. Am allerbesten meistern die Männer die neue Situation, die schon während der Beziehung die Organisation des Alltags mitgetragen haben - vom Abwasch bis zum Schwimmbad-Besuch nur mit Papa.

Ein zweifelhaftes Licht werfen beide Studien übrigens auf die Frauen. Die Zahlen der Proksch-Studie belegen: Sind Mütter unterhaltspflichtig, dann ist es mit ihrer Zahlungsmoral nicht allzu weit her: 57 Prozent der unterhaltspflichtigen Mütter mit gemeinsamem Sorgerecht und 65 Prozent der unterhaltspflichtigen Mütter, bei denen der Vater das alleinige Sorgerecht hat, gaben an, gegenwärtig keinen Kindesunterhalt zu leisten. "Dies könnte unter anderem daran liegen, dass Mütter durchschnittlich geringere Einkommen beziehen als Väter", mutmaßt Proksch.

Die Bremer Wissenschaftler zogen ein anderes Tabuthema ans Tageslicht. Sie fragten die Männer, ob es in der Trennungsphase zu Handgreiflichkeiten zwischen den Partnern gekommen sei. 203 von 700 anonym dazu befragten Männern bejahten, allerdings nicht schuldbewusst, sondern kleinlaut: In 60 Prozent aller Fälle, so die männlichen Befragten, seien die Handgreiflichkeiten von der Partnerin ausgegangen. Eine neue Version bierseliger Kneipengeschichten?
 

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Glückliches Familienleben: Was, wenn es nicht lange hält? Die meisten Männer möchten auch nach der Trennung von den Frauen Väter für ihre Kinder bleiben. Szene aus dem Kinofilm "Väter". Foto: dpa