Systemorientierte Begutachtung am Familiengericht

- Aufgaben des Psychologischen Sachverständigen nach der Kindschaftsrechtsreform -

von

Uwe Jopt & Günter Rexilius
 
 
 

I. Psychologischer Sachverstand im Familienrecht

Mit Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes (KindRG) im Juli 1998 ist das Familienrecht entschieden psychologischer geworden. Seitdem geht es nicht länger um die Regelung eines Rechtstitels (Sorgerecht). Oberstes Ziel staatlichen Handelns ist es jetzt, auf den Abbau der trennungsbedingten Spannungen und Konflikte bei den Eltern hin zu wirken.  Dahinter steht die neue Überzeugung des Gesetzgebers, dass der größte Beitrag zur Kindeswohlsicherung nach Trennung darin besteht, Kindern zur Erhaltung ihrer emotionalen Beziehungen zu Mutter und Vater, trotz deren Scheidung als Paar, zu verhelfen. Das jedoch setzt voraus, dass zunächst beide aufeinander zu gehen, um im Interesse des Kindes zu versuchen, alle aus der gescheiterten Paarbeziehung resultierenden Spannungen bestmöglich von ihm fern zu halten.

Für dieses Ziel gibt das neue Gesetz erstmals die - bis dahin für unverzichtbar gehaltene - Kontrollfunktion des Staates auf und unterstellt nunmehr, dass Eltern grundsätzlich doch in der Lage sind, die durch ihre Trennung ausgelösten Probleme um ihr Kind - bei wem soll es zukünftig wohnen und wie soll der Umgang gestaltet werden? – selbst zu lösen, gegebenenfalls unter Anleitung Dritter (Jugendamt, Beratungsstelle). Das Gericht ist nur noch dann gefragt, wenn eine Einigung trotz aller Bemühungen nicht zustande kommt.

Eine derartige Lösung war vor der Reform von vornherein ausgeschlossen. Ganz selbstverständlich ging man bis zum Sommer 1998 davon aus, dass ihre unterschiedlichen Interessen es Eltern grundsätzlich unmöglich machen würden, von sich aus den weiteren Weg für die Nachtrennungszeit ihres Kindes finden zu können (s. Coester, 1991; vgl. auch den Beitrag von Jopt in diesem Band). Folgerichtig löste jede Scheidung automatisch eine Regulierungsroutine aus, die in der Regel aus einem delegativen Zusammenspiel zwischen Gericht - als staatlichem Hüter über das verfassungsrechtlich garantierte Kindeswohl (Art. 6 GG) - und Jugendhilfe - als kinderkundiger Fachbehörde - bestand.

Dabei beschränkte sich das Amt darauf, den Eltern, einzeln oder gemeinsam, Gespräche zur Erarbeitung eines „einvernehmlichen Konzepts für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge“ anzubieten (§17 (2) KJHG). War dieser Versuch erfolgreich, übernahm das Gericht den erarbeiteten Vorschlag. Scheiterten die Gespräche jedoch - weil ein Elternteil das Hilfeangebot ablehnte, oder weil man sich nicht einigen konnte, wurde häufig ein Psychologischer Sachverständiger (SV) hinzugezogen, um die nunmehr notwendig gewordene gerichtliche Entscheidung fachlich abzusichern. Damit wurde zwar die Person des Entscheidungshelfers ausgetauscht, am Grundprinzip der Delegation änderte sich jedoch nichts. Der Wechsel war lediglich notwendig geworden, weil kein Jugendamt Eltern zum Gespräch zwingen kann, so lange kein ernsthafter Verdacht einer Kindeswohlgefährdung besteht (dann wäre es von Amts wegen beteiligt).

Allerdings gingen die Verfahrensbeteiligten unausgesprochen davon aus, dass der neue Ratgeber SV über größere Sachkunde verfügen würde, als sein behördlicher Vorgänger. Das unterstellte in der Regel sogar die Jugendhilfe selbst. Andernfalls wären weder ihr häufiger „Ruf nach dem Gutachter“, noch ihre Bereitschaft, sich für die Dauer seiner Ermittlungen völlig zurück zu nehmen und abzuwarten, zu verstehen. Bewiesen wurde dieser Kompetenzvorschuss allerdings nie, und es gibt gute Gründe anzunehmen, dass dies so selbstverständlich auch nicht zutrifft (s. Jopt, 1992). In sofern handelte es sich hier mehr um Wunschdenken, das sich allerdings bis heute in den Köpfen der Professionellen hartnäckig hält.

Mit dem KindRG hat sich das Delegationskonzept jedoch vom Konzept her gründlich verändert (vgl. Jopt, 1996). Wie die Begleitforschung zur Umsetzung des Gesetzes zeigt, regeln seitdem über 60 Prozent aller Eltern ihr Kinderproblem selbst und entscheiden sich bei Trennung für den sorgerechtlichen Nichteingriff (gemeinsames Sorgerecht) (vgl. Proksch, 2000). Meist haben sie sich hierzu nach Gesprächen mit Anwälten, Jugendamt oder auch Gericht entschlossen; immer mehr Paare wählen diesen Weg aber auch allein.

Zwar wäre es falsch, die durch ein gemeinsames Sorgerecht zum Ausdruck gebrachte juristische Einvernehmlichkeit automatisch mit einem Konsens auch auf Elternebene - auf den allein es aus Kindersicht ankommt - gleichzusetzen. Im Gegenteil – auch zwischen diesen Paaren können trotzdem ganz erhebliche Spannungen bestehen - bis hin, dass Eltern sich schweigend ausweichen (Hildmann, 1999) oder ebenso geringschätzig behandeln, wie es von hoch strittigen Paaren bekannt ist (Gründel, 1995; Bode, 1999). Was zeigt, dass ein Rechtstitel eben in erster Linie rechtliche (und damit machtbezogene) und keine emotionalen Beziehungen regelt. Doch wie die noch nicht abgeschlossene Begleitstudie ebenfalls zeigt, bestehen unter dem Mantel gemeinsamer Sorge in jedem Fall signifikant mehr Kontakte zum nicht betreuendem Elternteil, als dann, wenn er vom Sorgerecht ausgeschlossen ist. Dieses Ergebnis kann vor dem Hintergrund eines der bedenklichsten Befunde der deutschen Scheidungsforschung, wonach die alte Regelung zur Folge hatte, dass nur ein Jahr nach Scheidung bei fast der Hälfte der Kinder jeder Kontakt zu diesem Elternteil, meist war es der Vater, abgebrochen war, nicht hoch genug eingeschätzt werden (vgl. Napp-Peters, 1995; Balloff & Walter, 1990).

In Anbetracht der vielen Fälle schwer belasteter Umgangskontakte sollte allerdings nicht übersehen werden, dass es nur wenige Kinder schaffen, u. U. ein Leben lang in „paralleler Elternschaft“ zwischen unversöhnlichen und feindseligen Eltern hin und her zu pendeln (Furstenberg & Cherlin, 1995). Deshalb ist zu erwarten, dass es auch zukünftig, im Rahmen der gemeinsamen Sorge, immer wieder zu Kontaktabbrüchen kommen wird. Dabei drängt sich leicht der Eindruck auf, dass dafür allein die Kinder selbst seien verantwortlich seien. Schliesslich sind sie es, die durch nichts zu bewegen sind, mit dem anderen Elternteil in Kontakt zu treten. Inzwischen wird die Befürchtung, dass diese Form kindlichen Umgangsboykotts weiter zunimmt und bald an die Stelle klassischer Sorgerechtsstreitigkeiten – wie sie nach dem alten Kindschaftsrecht häufig vorprogrammiert waren – tritt, immer deutlicher durch die Praxis bestätigt. Bereits heute gelten weit mehr als die Hälfte aller gerichtlichen Gutachtenaufträge diesem Problem.

In diesen Fällen, wie auch dann, wenn zumindest ein Elternteil darauf beharrt, das Sorgerecht allein auszuüben (§ 1671 BGB), scheint sich auf den ersten Blick allerdings durch die Kindschaftsrechtsreform nichts verändert zu haben: sofern es den Eltern auch mit Unterstützung durch Jugendhilfe oder Beratungsstelle nicht gelang, ihr Kinderproblem zu lösen, ist weiterhin der SV gefragt. Dabei entsteht jetzt jedoch eine paradoxe Situation, die es in dieser Form bisher nicht gab. Denn das traditionelle Verständnis des Sachverständigen als Entscheidungshelfer ist mit dem neuen Auftrag des Familiengerichts, Eltern zu befrieden und zum Konsens zu führen, nicht länger vereinbar. Seit 1998 verpflichtet der Gesetzgeber das Gericht, „so früh wie möglich und in jeder Lage des Verfahrens auf ein Einvernehmen der Parteien hin(zu)wirken“ (§ 52 FGG), indem es entweder den Eltern Möglichkeiten zur Beratungshilfe aufzeigt, oder – bei Umgangsstörungen - sogar selbst zwischen ihnen „vermittelt“ (§52 a I FGG) - und dies so lange, wie die Chancen für eine einvernehmliche Regelung nicht endgültig ausgeschlossen sind.

Dieser Widerspruch zwischen klassischer Gutachterrolle und Zielsetzung des KindRG nebst seinen spezifischen Aufgabenzuweisungen an Gericht und Jugendhilfe (§ 17 KJHG verpflichtet die Jugendhilfe bereits seit über 10 Jahren, mit den Eltern eine konsensfähige Lösung zu erarbeiten) fällt den meisten Gutachtern allerdings bisher kaum auf. Immer noch setzen die meisten ihren Auftrag so um, als habe sich im Familienrecht nie etwas geändert: Den Gerichten werden in, oft umfangreichen, schriftlichen Gutachten Vorschläge unterbreitet, welchem Elternteil das Sorgerecht übertragen werden sollte, oder wie lange, wie oft und wo ein Kind mit seinem getrennten Elternteil „Umgang“ pflegen darf (vgl. Salzgeber, 2001; Balloff, 1998; Kluck, 1996; Kühne, 1996; Rohmann, 19?). Dabei berufen sich die Sachverständigen zur Rechtfertigung – in der Vergangenheit vom Grundsatz her noch nachvollziehbar – auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO), die jeden Gutachter, auch den psychologischen, verpflichtet, als spezialisierter Zulieferer entscheidungsrelevanter Informationen für das Gericht ausschließlich dessen Gehilfe zu sein (vgl. Salzgeber, 2001; Jessnitzer, 1988; Böhm, 1985).

Mit den Worten eines OLG-Richters, der darüber wacht, dass es hierbei zu keiner Grenzüberschreitung kommt: „Die von Psychologen und auch von Juristen vertretene Auffassung, der psychologische Gutachter sei nicht nur berechtigt, sondern im Hinblick auf eine am Kindeswohl orientierte Regelung verpflichtet, über die bloße feststellende Tätigkeit hinaus, die Eltern durch spezielle Strategien zu einverständlichen Konfliktlösungen zu motivieren und zu befähigen, findet in dieser Form keine Grundlage im Gesetz“ (Finke, 1996, S. 160). Dieser Ansicht sind allerdings nicht alle Juristen. Schon vor der Reform wurde darauf hingewiesen, dass der Beitrag der Psychologie weder in der Suchhilfe nach dem vermeintlich „geeigneteren“ Elternteil, noch in der – wissenschaftlich überhaupt nicht zu begründenden – subjektiven und damit willkürlichen Festsetzung von Umgangszeiten, die im Einzelfall durchaus homöopathische Dimensionen annehmen konnten, bestehen darf, da gerade diese Disziplin ihre zentrale Aufgabe darin sieht, Eltern-Kind-Beziehungen nicht zu zerstören oder zu beschränken, sondern zu erhalten.

So klagte beispielsweise der von Berufs wegen mit Gutachtern vertraute Familienrichter Dickmeis, die Psychologie im Familienrecht (sprich: der Sachverständige) habe sich „als für die gerichtlichen Zwecke ‚verführbar‘ erwiesen, sie wird ihren eigenen Prinzipien untreu“. (1995, S. 38). Und der ehemalige Leiter des Frankfurter Jugendamts, Matthias Mann, ebenfalls Jurist und kein Psychologe (!), forderte: „Die Aufgabe der Psychologie wäre hierbei zuvörderst die Unterstützung der Jugendhilfe durch prozessbegleitende, systemisch-dynamisch orientierte Diagnostik und Therapie und nur nachrangig – nach Scheitern aller Moderationsversuche – die Hilfestellung für die Justiz.“ (1995, S. 314):

Jahre zuvor bereits hatte auch der langjährige Vorsitzende des Deutschen Familiengerichtstags, Siegfried Willutzki, mit fast häretischen Worten auf den Punkt gebracht, was eigentlich längst von den Psychologen selbst hätte kommen müssen: „Das beste psychologische Gutachten wird stets dasjenige sein, das die richterliche Entscheidung überflüssig macht, weil es die Betroffenen zu einem gemeinsamen Vorschlag bringt, der von ihnen wirklich gemeinsam getragen wird.“ (1988, S. 53)

Zwar gab es immer schon auch einzelne Psychologen, die die Kluft zwischen fachlichem Anspruch und rechtlicher Zulässigkeit im Familienrecht erkannt hatten, wie den Göttinger Gutachter Böddeker: „Fast jeder möchte sicherlich Berater sein, d.h. mit seinen Befunden im Dienst des Klienten arbeiten. Dies ist an sich die sinnvolle Form psychodiagnostischen Vorgehens, wenn der Psychologe seine eigenen Befunde in Handlungsanweisungen umsetzen kann. Sein Auftrag lautet aber Begutachtung der Familie und nicht Beratung der Familie“ (1985, S. 518)

Durch ihre vorschnelle Kapitulation vor einer Verfahrensordnung, die allerdings selbst von Juristen unterschiedlich interpretiert wird, reduzierte sich jedoch der rechtliche Spielraum für einen Gutachter, der Eltern über gemeinsame Gespräche zum Konsens führen wollte, bis zur Reform praktisch auf Null, von wenigen Einzelgängern abgesehen (s. Jopt, 1997; Bergmann, 1997; Bergmann & Rexilius, 2000). So lange ihr Auftrag ausschließlich darin bestand, die Gerichte bei der Suche nach der „richtigen“ Entscheidung zu unterstützen, gab es für einen gestaltend intervenierenden Sachverständigen keinen Platz. Insofern besteht heute durch das KindRG eine Schieflage im Familienrecht, die es in der Zukunft erforderlich macht, seine – aus psychologischer Sicht richtigen - Zielvorstellungen mit den Vorschriften der ZPO in Einklang zu bringen. Es kann auf Dauer nicht angehen, dass der Gesetzgeber von Jugendhilfe und Familiengericht erwartet, zum Konfliktabbau bei Eltern als Voraussetzung einer einvernehmlichen Lösung beizutragen, während der Gerichtshelfer SV Vorschriften unterliegt, die es je nach Interpretation der ZPO möglich machen, ihm jede Unterstützung bei dieser Aufgabe ausdrücklich zu verbieten.

Zwar sind die Gerichte auch zukünftig verpflichtet, im Bedarfsfall über Sorge- und Umgangsrechte für Kinder rechtsverbindliche Entscheidungen zu fällen, dies jedoch nur dann, wenn fest steht, dass die Eltern selbst dazu nicht in der Lage sind. Doch wenn somit schon der Auftraggeber dem hierarchischen Zwang „Vermittlung ‚vor’ Entscheidung“ unterliegt, dann ist nicht nachzuvollziehen, weshalb dies für seinen Gehilfen nicht genau so gelten soll; weshalb nicht auch er zur Einhaltung dieser methodischen Abfolge verpflichtet ist, statt sich weiterhin an Ausführungsbestimmungen gebunden zu fühlen, die ursprünglich einmal für die Abwicklung sorgerechtlicher Amtsverfahren – mit dem Primat staatlicher Autorität gegenüber elterlicher Selbstbestimmung – konzipiert worden waren.

Die sinnvollste juristische Lösung zur Herstellung des notwendigen Gleichschritts zwischen Gericht und SV bestünde darin, die allgemeinen Vorschriften über den Sachverständigenbeweis (§§ 404 ff. ZPO) zu differenzieren und an die speziellen Erfordernisse im Familienrecht anzupassen, sodass ein familienrechtlicher Sachverständiger nicht länger genauso ausschliesslich als fachkundiger Lieferant entscheidungsrelevanter Informationen für das Gericht verstanden werden müsste, wie jeder andere Gutachter in Sachen Glaubhaftigkeit, Schuldfähigkeit, Unfallschäden, usw. auch. Doch die Möglichkeit, eine Art Sonderstatus zu schaffen, der es dem SV erlaubt, diagnostische Erkenntnisse nicht nur ans Gericht weiter zu geben, sondern zugleich für kindgerechte Veränderungen der familialen Beziehungen zu nutzen, ist vorerst vertan, nachdem der Gesetzgeber die Reform der Zivilprozessordnung gerade abgeschlossen hat (s. Schwonberg, 2001). Damit scheidet der einfachste Weg vorerst aus.

Daraus folgt aber nicht, dass es aus rechtlicher Sicht weiterhin verboten sei, die Funktion des SV auszuweiten. Abgesehen davon, dass ein solches Verbot selbst unter Juristen fraglich ist, sind durch das KindRG erstmals ganz neue Ausgangsbedingungen geschaffen worden, die den früheren Widerspruch zwischen inhaltlichem Auftrag des Gerichts und gesetzlichem des Gutachters weitgehend auflösen. Unverändert bleibt lediglich der verfassungsrechtliche Grundsatz, wonach Entscheidungen – auch im Rahmen einer Begutachtung - ausschließlich von Richtern getroffen werden dürfen (Art. 92 GG; Cuvenhaus, 2001).

Ansonsten geht es in der Diskussion zukünftiger Gutachtertätigkeit allein um die inhaltliche Frage nach der für eine Befriedung von Eltern angemessenen Methodik. Die wiederum kann jedoch nicht von Juristen beantwortet werden (wenngleich Anregungen zur Rolle der Psychologie im Familienrecht bisher auch häufiger von ihnen, als von den Psychologen selbst kamen), hier sind vor allem die Vertreter des Faches gefragt, um dessen gerichtlichen Hilfsdienste es geht. Dabei gilt als Grundsatz: Psychologische Sachverständige sollen (müssen) die Methoden und Techniken einsetzen, die dem Erkenntnisstand des Faches entsprechen bzw. sich daraus ableiten lassen.

In diesem Sinne zählt heute zu den gesicherten Erkenntnissen der Scheidungsforschung, dass eine Familie sich durch Trennung nicht auflöst, sondern lediglich bestimmte Merkmale verändert (Fthenakis, 1986, 1995a); dass der zentrale Wunsch von Trennungskindern darauf gerichtet ist, die Eltern mögen ihre Spannungen und Feindseligkeiten abbauen (Fassel, 1994; Figdor, 1998; Fthenakis, 1995b); dass die Trennung von Paar- und Elterebene zwar theoretisch richtig und rational leicht zu fordern ist, ihre Umsetzung jedoch fast einer Quadratur des Kreises gleich kommt (Jopt, 1992, 1998). Insofern lässt sich aus fachpsychologischer Sicht problemlos begründen, dass spätestens nach der Reform auch bei Gutachtern endlich konsensorientierte Methoden zum Einsatz kommen müssen. Eine Forderung, die schon seit langem den (heimlichen) Erwartungen einzelner Familienrichter entsprach (Werst & Hemminger, o.J.).

Daraus ergibt sich: Sachverständige müssen zunächst versuchen, die Eltern - unter Einbeziehung kindlicher Wünsche und Bedürfnisse - in einen Dialog zu führen. Die entsprechende Methode ist das Elterngespräch. Sein Ziel besteht darin, die Erwachsenen auf einen einvernehmlichen Weg zur Ausgestaltung der Zukunft ihrer Kinder zu einigen. Doch das ist aus vielerlei Gründen immer wieder Schwerstarbeit, nicht selten erfolglose. Sofern dies gelingt, ist aus psychologischer Sicht die Begutachtung beendet. Scheitert der Versuch jedoch, müssen andere Wege beschritten werden, wobei jetzt auch Elemente traditioneller Begutachtung wieder ins Spiel kommen. Unabdingbare Voraussetzung für diesen Wechsel ist jedoch, dass auch alle anderen Möglichkeiten, doch noch zum Konsens zu finden, erfolglos geblieben sind, sodass nur noch die Fremdentscheidung durch das Gericht übrig bleibt.

Viele Gutachter sehen zwar auch den eigentlichen Bedarf gesprächspsychologischer Interventionen im Dienst elterlicher Konfliktminimierung, trotzdem stehen sie diesem Weg jedoch skeptisch, viele auch ablehnend gegenüber (vgl. Salzgeber, 2001, S. 366; Rohmann, 19?). Diese Zurückhaltung scheint jedoch weniger aus unterschiedlichen Ansichten darüber zu resultieren, welche Form sachverständiger Hilfe im Familienrecht sinnvoll und wünschenswert sei, sondern in erster Linie Folge uneinheitlicher Auffassungen vom rechtlich Erlaubten zu sein. Offensichtlich ist die Mehrzahl der forensischen Psychologen durch die erheblichen Meinungsunterschiede bei den Juristen selbst (s. die Positionen von Finke oder Böhm gegenüber Willutzki, Dickmeis oder Mann; aber auch die Beiträge der Familienrichter Bergmann, Cuvenhaus und Bode in diesem Band) so irritiert, dass sie kein Risiko eingehen will und deshalb an dem festhält, was traditionell von Anfang an Standard war und sich somit in der Vergangenheit zumindest im Rahmen familiengerichtlicher Verfahrensroutinen „bewährt“ hat.

D. h., dass sich Psychologen selbst zwar relativ einig sind, wie ein psychologisch sinnvoller Umgang mit Trennungsfamilien aussehen sollte. Was vor allem die – justizunabhängigen - Mitarbeiter von Beratungsstellen bestätigen, deren übereinstimmendes Ziel u. a. darin besteht, Eltern die Schädlichkeit ihrer Konflikte für das Kind aufzuzeigen, ihnen ihre fortbestehende Verantwortung bewusst zu machen und bei der Suche nach einer von beiden getragenen Lösung behilflich zu sein (z. B. Buchholz-Graf, Caspary, Keimeleder & Straus, 1998; vgl. auch den Beitrag von Fink u. a. in diesem Band). Doch das gilt nur so lange, wie sie sich innerhalb ihrer eigenen Disziplin bewegen. Sobald es darauf ankommt, Psychologie und Justiz zu verknüpfen – daraus besteht die Schnittmenge für Gutachter – scheiden sich die Geister aber auch hier. Wenn fachintern entwickelte Interventionskonzepte mit rechtlichen Rahmenbedingungen in Einklang gebracht werden müssen, ist der Konsens rasch wieder verschwunden. Dann dominiert ein Gutachterverständnis, das sich den juristischen Vorgaben bereitwillig unterwirft, sodass es zwischen den juristischen Vertretern der „herrschenden Meinung“ und dem Rollenverständnis der meisten Gutachter keinen Unterschied mehr gibt.

Der entscheidende Grund für diesen Gleichklang im Rechtsraum besteht darin, dass die „Traditionalisten“ auf dem Feld der Begutachtung (z. B. Salzgeber, 2001; Balloff, 1994; früher Lempp, 1982, oder Arntzen, 1980) keine Not haben, eine Aufgabendelegation hinzunehmen, auf deren umgekehrte Richtung sie eigentlich von Anfang an hätten bestehen müssen: statt als kinder- und familienkundige Experten aufzuzeigen, wie zum Wohle der Kinder Recht und Rechtsprechung den psychologischen Erfordernissen von Trennungsfamilien angepasst werden müssten, lassen sie bis heute zu, dass – genau umgekehrt - (meinungsprägende) psychologische Laien (Juristen) ihnen vorgeben, was das psychologisch Notwendige sei (vgl. Jopt, 1987, 1988, 1992; Rexilius, 2000). Dadurch haben sie sich auf die Wahrnehmung einer Rolle eingelassen, die weder dem eigentlichen Bedarf der betroffenen Kinder entspricht, noch mit den heutigen Erwartungen des Gesetzgebers an die verfahrensbeteiligten Professionen (Gericht, Jugendhilfe) im Einklang steht.

Mit der Kindschaftsrechtsreform sollte diese vorschnelle Bereitschaft, sich das fachliche Vorgehen von Laien vorschreiben zu lassen, deshalb endgültig zu Ende sein. Seitdem sind die Psychologischen Sachverständigen ihren Berufskollegen in den Beratungsstellen im Hinblick auf das Ziel ihrer Arbeit ein großes Stück näher gerückt. Insofern ist der Konsequenz, die Fthenakis (1998) - der wohl einflussreichste psychologische Protagonist im Kindschaftsrecht – für die zukünftige Rolle des SV ableitete, nur zuzustimmen: „Es bietet sich derzeit die Chance, den Sachverständigen mit jener längst fälligen, auf strittige Scheidungsfamilien spezialisierten Form der Begleitung und Beratung zu betrauen, anstatt ihn weiterhin mit der Suche nach dem (angeblich) kompetenteren Elternteil zu beschäftigen.“ (S. 88)

Im familiengerichtlichen Alltag scheint sich das formalrechtliche Dilemma zwischen Not und Verbot allerdings ohnehin längst in schleichender Auflösung zu befinden. Denn immer häufiger trifft man an den Amtsgerichten auf eine Art Richterrecht, wonach geradezu erwartet – auf keinen Fall ausgeschlossen – wird, dass Sachverständige zunächst versuchen, mit den Eltern eine einvernehmliche Regelung zu erarbeiten. Eine Hoffnung, die für einige Richter schon vor Jahren der einzige Grund war, einen SV einzuschalten (vgl. Werst & Hemminger, o. J.).

Doch so sinnvoll ein solches Vorgehen für die Kinder auch ist, eine vermeintliche Rechtsbeugung – das ist es irrtümlicherweise in den Augen vieler Juristen und Psychologen immer noch - kann letztlich nicht der geeignete Weg sein, um den beziehungspsychologischen Intentionen des KindRG auch auf dem Feld der Begutachtung Rechnung zu tragen. Doch mag diese Unterstellung für die Vergangenheit auch nicht falsch gewesen sein, seit dem 1. Juli 1998 steht ein systemisch orientierter, auf Elternbefriedung und Konsens abzielender Gutachteransatz nicht länger außerhalb geltenden Rechts, im Gegenteil: im Sinne des KindRG ist er geradezu zwingend, wenn keine absurde Schere zwischen der Aufgabenwahrnehmung des Gerichts und der seines Gehilfen entstehen soll. Deshalb hängt es auch nicht länger von der persönlichen Weitsicht des einzelnen Richters ab, ob ein Sachverständiger familienbefriedend, d. h. systemisch, arbeiten darf.

Anders lautende Einschätzungen haben heute keine rechtsverbindliche Bedeutung mehr. Daran ändert auch die Entscheidung des BGH nichts, der jede Gutachterintervention, die über die reine Lieferung von Informationen ans Gericht hinaus geht, für unzulässig erklärte, weil er (fälschlich) davon ausging, dass Trennungsberatung und Therapie im Prinzip dasselbe seien.  Tatsächlich fehlt es der Befriedungsarbeit mit Eltern jedoch an zentralen Grundvoraussetzungen für Therapie, weshalb sie mit ihr nichts gemeinsam hat (s. von Schlippe & Schweitzer, 1996).
 
Um den hier propagierten – vielen traditionellen Gutachtern unbekannten –neuen Arbeitsansatz zu veranschaulichen, soll anschließend näher dargestellt werden, was genau sich hinter dem Wandel von der auftragsorientierten zur lösungsorientierten Begutachtung verbirgt, was mit systemischer Begutachtung gemeint ist, und wie sie konkret aussieht. Damit verbunden ist die Hoffnung, viele Gutachterkollegen und solche, die es werden wollen, für eine einschlägige Zusatzqualifikation zu motivieren, damit sie Trennungsfamilien effektiver als bisher helfen können, zum Wohl der Kinder den prinzipiell schwierigen Weg zur Nachtrennungsfamilie zu beschreiten.
 
 

II. Psychologische Begutachtung

Um die Veränderungen im Selbstverständnis und in der praktischen Arbeit psychologischer Sachverständiger besser verstehen zu können, wie sie sich auf dem Hintergrund sowohl der Gesetzgebung, als auch der Entwicklung psychologischer Theorie und Methodik entwickelt haben (vgl. dazu auch Schade & Friedrich, 1998), sollen zunächst kurz die Akzente des traditionellen Gutachterwesen dargestellt werden. Anschließend werden die Schwerpunkte für den praktischen Umgang systemisch arbeitender Sachverständiger vorgestellt. Dabei handelt es sich nicht um ein Handbuch für die Praxis, sondern lediglich um einige Koordinaten zur Orientierung für diese neue Form sachverständiger Tätigkeit.
 

1. Traditionelles Vorgehen

1.1 Gutachtertätigkeit allgemein

Traditionelle Begutachtung orientiert sich an einem nomothetischen Wissenschaftsmodell , an einem Kanon objektiver wissenschaftlicher Verfahrensregeln. Diese stützen sich vor allem auf mathematisch-statistisch fundierte methodische Grundlagen - zumeist in Gestalt psychodiagnostischer Verfahren - und auf eine streng geregelte Subjekt-Objekt-Beziehung zwischen Gutachter und zu beurteilenden Familienangehörigen, wobei seine Rolle als neutral, objektiv und die Verfahrensregeln bestimmend definiert ist. Ihr Ergebnis, die Begutachtung von Eltern und Kindern, zeichnet von diesen ein starres, fragmentiertes Bild.
 

1.2 Aufgabenstellung

Die Aufgabenstellung, die der Gutachter übernimmt, wird durch die gerichtliche Fragestellung vorgegeben. Familienpsychologische Gutachter sehen ihre Aufgaben darin, sich zu Sorgerechtsfragen bei getrennten Eltern zu äußern, dem Gericht Vorschläge zur Ausgestaltung des Umgangsrechts zu unterbreiten, die Erziehungsfähigkeit von Eltern zu untersuchen, oder deren Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder zu hinterfragen. Eine explizit psychologische Aufgabenstellung ist dabei in der Regel nicht erkennbar.

Die gutachterliche Leistung besteht überwiegend darin, dem Gericht – meist in schriftlicher Form – eine Entscheidungshilfe zur Regelung von Sorge- oder Umgangsrecht an die Hand zu geben (vgl. Salzgeber 2001). Damit ist ihr Auftrag erfüllt. Dies gilt nicht nur für solche Gutachter, die bereits seit Jahren nach traditionellem Muster arbeiten, sondern auch für jene, die aufgrund fehlender Zusatzausbildung im Studium darauf angewiesen sind, das vorherrschende methodische Repertoire unkritisch übernehmen müssen.

Dabei stellt insbesondere eine Fachliteratur, die überwiegend der traditionellen Begutachtung verpflichtet ist (etwa Salzgeber, 2001; Balloff, 1998; Kluck, 1996; Westhoff & Kluck,1994), das Standardprogramm zur forensischen Ausbildung während und nach dem Studium dar. Gefestigt wird diese Position durch die Mehrzahl von Juristen, die sich sowohl als Richter, wie als Anwälte (Oenning, 1996; Finger, 1998; Heumann, 2001) eine andere Vorgehensweise gar nicht vorstellen können, sodass Auftraggeber wie Anreger psychologischer Gutachten die psychologische Arbeitsweise weitgehend bestimmen.

Gutachterliche Empfehlungen, die auf diesem Hintergrund abgeben werden, haben mit dem Kindeswohl in einem psychologisch fundierten Sinne wenig zu tun. Wenn Eltern, weil sie zu stark von ihrer partnerschaftlichen Eigenproblematik gefesselt sind, nicht mit Hilfe psychologischen Sachverstands zu Dialog und Übernahme von Selbstverantwortung finden, bleibt ihr Kind im Trennungsprozess als klarer Verlierer zurück. Gerichtliche Endentscheidungen, denen diese Gutacher zuarbeiten, spiegeln lediglich fachlichen Pragmatismus – bestenfalls beenden sie einen (juristischen) Prozess; für den (psychologischen) Prozess zukünftiger Lebensgestaltung stellen sie jedoch meist nur eine nicht unerhebliche zusätzliche Belastung dar.
 

1.3 Methodik

Traditionelle gutachterliche Methodik greift auf das klassische psychologische Diagnoseinventar zurück. Es handelt sich häufig um Tests bzw. ganze Testbatterien, mit deren Hilfe ein Zustandsbild von Familienmitgliedern und ihrem Verhalten, ihrer Persönlichkeit, ihres Entwicklungsstandes, oder ihrer Intelligenz gewonnen werden soll. Dabei versteht sich der Gutachter im wesentlichen als Registrator, der – einer Kamera vergleichbar – festhält, was die Trennungsfamilie ihm offenbart: welche Meinungen, Einstellungen, Ängste, Wünsche und Beziehungsmuster bei Erwachsenen wie Kindern vorhanden sind, und wie sich das Verhältnis zwischen ihnen anschaulich darstellt. Nach klassisch-diagnostischer Vorstellung reichen diese Beobachtungen und Befunde weitgehend aus, um den gerichtlichen Auftrag zu erfüllen.

Statusdiagnostik, deren Absicht sich in der Messung intra- und interindividueller Unterschiede erschöpft, stellt jedoch eine instrumentelle Einengung auf eine, wenngleich im Einzelfall auch umfangreiche Erhebung allein objektiver Daten dar und kommt damit einer methodische Selbstbeschränkung gleich, die der eigentlichen Problematik nicht annähernd gerecht wird. Das wird vor allem dann deutlich, wenn, vom festgestellten Status quo ausgehend, Prognosen über zukünftiges Verhalten, zukünftige Einstellungen, usw., gemacht werden. Der hier zu Grunde liegende Prognosebegriff ist reduktionistisch und lebensfern, weil er Entwicklungsmöglichkeiten, -potentiale und -chancen ausklammert: Es wird lediglich ein Ist-Zustand festgestellt und in die Zukunft verlängert, was seiner Zementierung gleichkommt.

Ein solches methodisches Konzept wird dem Gegenstand „Trennungsfamilie“ nicht gerecht: Trennungs- und Scheidungsprozesse sind nicht normierbar, für ihr Verständnis, für ihre fachliche Untersuchung und Beurteilung genügt kein vorformulierter methodischer Rahmen, sie entziehen sich allen statistischen Parametern und jedem Versuch einer Standardisierung.
 

1.4 Beziehungen zur Trennungsfamilie

Die Beziehungen zwischen Gutachter und Betroffenen sind per Definition Subjekt-Objekt-Beziehungen. Die methodische Forderung nach Objektivität verlangt, dass solche Beziehungen von Neutralität und Distanz bestimmt sein müssen, dass Fachleute sich auf die Rolle reiner Beobachter, d. h. von Registratoren, zu beschränken und sich jeder Intervention, jeder methodisch nicht klar und eindeutig definierten Annäherung zu enthalten haben.

Da jedoch grundsätzlich keine Interaktion möglich ist, ohne zugleich auf Situation und beteiligte Personen einzuwirken, prägt die scheinbare Neutralität dieser Gutachter ihre Beziehung zu den Betroffenen auf eine paradoxe Weise, ihre methodischen Ansprüche führen sie in ein Beziehungs-Dilemma: Nicht nur die sozialpsychologischen und methodenkritischen Untersuchungen zu Versuchsleitereinflüssen, auch jede praktische Erfahrung macht schnell deutlich, dass der Anspruch der Objektivität, der neutralisierenden Distanz, nicht einzuhalten ist, dass jede Interaktion immer zugleich auch Intervention ist.

Weil traditionelle Gutachter diese Tatsache nicht wahrhaben wollen, bewirken sie mit ihren – von ihnen selbst nicht gesehenen - Interventionen Veränderungen, ohne Kontrolle über die Wirkungen zu haben, die sie damit auslösen. Hinter ihrem Rücken setzt sich die Realität durch: sie sind selbst verstrickt in das soziale System, das zu begutachten ihr Auftrag ist. Doch wo selbstgewisse oder selbstreflexive Kontrolle fehlt, entstehen zwangsläufig Vorurteile, parteiische Bewertungen und voreingenommene Empfehlungen, die die Gültigkeit des Untersuchungsergebnisses In Frage stellen.
 

1.5 Folgen für die Beteiligten

Entscheidend für die Einschätzung einer psychologischen Arbeit, Grundlage zur Beurteilung ihres fachlichen Nutzens, sind letztlich die Konsequenzen, die Untersuchungen, Argumentationsmuster, Schlussfolgerungen und gerichtliche Empfehlungen für die Verfahrensbeteiligten haben. Diese Auswirkungen können deshalb im Rahmen eines Vergleichs zwischen traditionellem und lösungsorientiertem Gutachtermodell als „subjektive Gütekriterien“ zur Bewertung seiner Tätigkeit gelten.

Traditionelle Gutachter bezeichnen ihre eigene Arbeit dann als erfolgreich, wenn es ihnen gelungen ist, ein möglichst präzises Persönlichkeitsbild der Betroffenen gezeichnet, ihre Charakterstrukturen treffend beschrieben, Verhaltensmuster gründlich analysiert und Meinungen wie Einstellungen auf Seiten aller Beteiligten differenziert erfasst zu haben, d. h., wenn ihnen alle Klassifizierungen und Bewertungen möglichst widerspruchsfrei gelungen sind. Ihr wichtigster Erfolg besteht letztlich darin, in Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung eine klare Empfehlung zu geben, die sich als Entscheidungsgrundlage nutzen lässt. Wenn sie also dem Richter vorschlagen können, wie Sorge- oder/und Umgangsrecht zukünftig geregelt werden sollten.

Für Familien- oder Vormundschaftsrichter wiederum ist das Ergebnis dieser Arbeitsweise in der Regel dann gut, wenn sie sich in ihrer Entscheidung darauf beschränken können, die Empfehlungen des Experten zu übernehmen. Ihre juristischen Erwartungen sind befriedigt, wenn das Gutachten es ihnen ermöglicht, eine psychologische Vorentscheidung in juristische Form zu bringen. Ihnen genügt es meist, wenn die fachlichen Überlegungen und Begründungen zumindest vordergründig plausibel erscheinen, sodass in der Regel gründlicheres Nachfragen oder die inhaltliche Auseinandersetzung mit den gutachterlichen Ausführungen entfällt.  Vor diesem Hintergrund blieben Richter oder Anwälte, die ein anderes Verständnis von der Zusammenarbeit mit Gutachtern haben, bisher die Ausnahme, jedenfalls im Schrifttum (z. B. Bergmann, 1997; Koeppel, 1998).

Für Eltern stellt sich die Ergebnisfrage allerdings differenzierter. Als qualitativ hochwertig beurteilt nur derjenige das Gutachten, der vom Sachverständigen als Gewinner im Sorgerechts- oder Umgangsstreit vorgeschlagen bzw. dem die Erziehungsfähigkeit attestiert wurde und für den deshalb der Tag der gerichtlichen Entscheidung ein Feiertag ist. Für den anderen Elternteil erweist sich ein solches Gutachten jedoch als Debakel, als existentieller Einbruch. Er wird durch den Gutachter zum Verlierer gestempelt, resigniert nicht selten und geht den Kindern anschließend als Elternteil verloren.

Das Ergebnis für Kinder wiederum ist zwiespältig. Jede Entscheidung auf Basis des Gutachtens ist für sie von beträchtlicher Ambivalenz: Einerseits wünschen sie sich Ruhe, Klarheit, weniger Angst und Stress in Folge der elterlichen Trennung, was ein Gerichtsbeschluss in gewisser Weise auch bewirkt. Auf der anderen Seite bleibt der seelische Druck, der in der Regel noch wächst, wenn der Verlust eines Elternteils droht und damit jede Hoffnung auf Erhalt beider Eltern schwindet.
 

1.6 Bedeutung des Kindeswohls

Das Kindeswohl bleibt in der klassischen Begutachtung eine unbestimmte, fiktive Größe ohne klare psychologische und pädagogische Definition. Über das, was Kindeswohl ist, herrscht nach wie vor Unklarheit. Der Hinweis von Jopt (1992) auf die Absurdität, dass ausgerechnet der zentrale Begriff fachlichen Handelns im familien- und vormundschaftsrechtlichen Raum diffus und schillernd geblieben ist, sowie Vorschläge zur Diskussion und Begriffsklärung, sind ohne erkennbare Resonanz geblieben. Traditionelle Begutachtung, Regelfall an deutschen Familiengerichten, macht sich über ihren eigentlichen Gegenstand eher wenig Gedanken.

Dazu passt, dass das Dogma, Ruhe und klare Verhältnisse seien oberste Gebote für eine gedeihliche Entwicklung von Kindern, noch immer weit verbreitet ist. Eine Folge dieses, sowohl aus trennungsdynamischer- wie aus entwicklungspsychologischer Sicht falschen Postulats war lange Zeit der Anspruch, bei jeder Scheidung zum Wohle des Kindes nach dem geeigneteren Elternteil suchen zu müssen (z. B. Goldstein, Freud & Solnit, 1974; Lempp, 1982). Kindlichen Entwicklungsbedürfnissen, die sich auf eine derart eindimensionale Betrachtungsweise nicht reduzieren lassen, wird diese Vorstellung von Kindeswohl allerdings nicht gerecht.
 
 

2. Grundlagen systemischer Begutachtung

2.1 Rollenverständnis des Sachverständigen

Der entscheidende Unterschied zwischen traditionellen und systemisch-lösungsorientierten Sachverständigen betrifft den Standort, den sie gegenüber der Trennungsfamilie einnehmen. Herkömmlicherweise gehen Gutachter davon aus, mit ihrem methodischen Instrumentarium (Exploration, Tests, Interaktionsbeobachtung) im wesentlichen die realen Verhältnisse innerhalb einer Trennungsfamilie mit ihren konfliktdynamischen und emotionalen Besonderheiten (s. S. ?, Abb. 3) – der Momentaufnahme mit einer Kamera vergleichbar - sichtbar zu machen. Ihre Begutachtung läuft auf Beobachtungen hinaus, auf deren Grundlage sie dem Gericht Vorschläge unterbreiten, welche Maßnahmen zur bestmöglichen Wahrung des Kindeswohls aus psychologischer Sicht erforderlich oder sinnvoll erscheinen (vgl. Abb. 1a).
 

- hier Abb. 1a einfügen -
 

Demgegenüber hat ein systemisches Rollenverständnis erhebliche Konsequenzen für die Beurteilung und Gewichtung dessen, was registriert wird. Beispielsweise lässt sich die lautstark vorgetragene Willensäußerung eines Kindes ganz anders verstehen, wenn mitbedacht wird, dass es Auftrag und persönliche Meinung des Sachverständigen kennt und zugleich weiß, dass dessen Votum von erheblicher Bedeutung für die Gerichtsentscheidung sein wird. So gesehen, ist der Sachverständige für die Dauer seiner Arbeit ein Mitglied des Familiensystems, ohne im eigentlichen Sinne dazu zu gehören.

Am hilfreichsten erweist sich diese Vorstellung dort, wo es um die „Diagnose“ vorhandener Potenziale zur Bearbeitung des Paarkonflikts und zur Wiederherstellung elterlicher Verantwortung geht. Denn auf diese Weise lässt sich für die Bewältigung einer der wichtigsten Aufgaben von Sachverständigen die eigene Rolle wesentlich effektiver nutzen, als nach dem „Kameramodell“, ohne dass dem Gericht dadurch in unzulässiger Weise vorgegriffen würde.
 

- hier Abb. 1b einfügen -
 

2.2 Aufgabenstellung

2.2.1 Allgemeine Überlegungen

Die Aufgabenstellungen systemischer Sachverständiger orientieren sich einerseits, juristisch gesehen, am familiengerichtlichen Auftrag, andererseits, psychologisch gesehen, an der Trennungsdynamik der konkreten Familie. Im Sinne ihres Selbstverständnisses bewegen sie sich auf das Familiensystem zu, d. h. ihre Untersuchungen sollen gezielt dazu beitragen, möglichst langfristig genau die Bedingungen in der Trennungsfamilie zu schaffen, die am ehesten geeignet erscheinen, das Kindeswohl langfristig zu sichern.

Ihre Aufgabe ist so komplex, wie der Trennungs- und Scheidungsprozess selbst. Um dem Kindeswohl - also dem Schutz kindlicher Bedürfnisse, Interessen, Lebens- und Entwicklungsnotwendigkeiten - gerecht zu werden, müssen sie sich in das familiäre System hinein begeben, um als Dramaturgen, als Mitbeteiligte, vorübergehend die Fäden des „Systemspiels Trennungsdynamik“ in die Hand zu nehmen. In diesem Sinne sind sie für den Zeitraum ihrer Tätigkeit in einen Gesprächs- und Handlungskreislauf eingebunden, an dem Eltern, Kinder, Anwälte, Jugendamtsmitarbeiter, ggf. neue Partner, Großeltern und noch weitere Verwandte beteiligt sind (vgl. Abb. 1b).
 

2.2.2 Trennungsprojekt

Gegenstand fachlicher Arbeit sind Trennungs- oder Nachscheidungsfamilien, deren Entwicklungsmöglichkeiten abhängig sind von der Qualität der elterlichen Beziehung zum Untersuchungszeitpunkt. Dabei stellt sich der aus Kindersicht wünschenswerte bzw. notwendige Umgang der Eltern miteinander allerdings nur selten unmittelbar und ohne Unterstützung von außen ein. Deshalb besteht die Chance eines sachverständigen Eintritts in den Trennungsprozess darin, diese Hilfestellung zu leisten, also mit den Eltern gemeinsam eine Neudefinition ihrer Rollen und Pflichten sowie – ggf. zusammen mit den Kindern - des zukünftigen Familiensystems zu versuchen.

So gesehen, ermutigt der Sachverständige Eltern zur Auseinandersetzung sowohl mit der gescheiterten Paarbeziehung, als auch im Hinblick auf die zukünftige Gestaltung der Elternschaft. Um die Nachtrennungsfamilie möglichst stabil und sicher werden zu lassen, bringt er seine Erfahrungen und seine Fachkompetenz ein und klärt sie über das charakteristische Muster von Trennungsverläufen bei Erwachsenen und über die speziellen Nöte und Bedürfnisse von Trennungskindern umfassend auf. Ziel dieser Interventionen ist es, sie zu befähigen, mit den Trennungsfolgen, einschließlich ihrer eigenen seelischen Belastungen, weniger destruktiv umzugehen, d. h. ihre sozialen und psychischen Kompetenzen zum Wohl der Kinder, aber auch im Interesse eigener psychischer Gesundheit zu erweitern.

Aus dem – häufig bereits durch die Fragestellung des Gerichts vorgegebenen – Suchauftrag (nach dem besseren Elternteil oder der „richtigen“ Umgangsregelung) wird auf diese Weise ein Gestaltungsauftrag (vgl. Jopt, 1987, 1992). D. h., dass der Psychologische Sachverständige – als Experte, der besser als die durch ihre Trennung wahrnehmungsgeschädigten Eltern weiß, unter welchen tatsächlichen seelischen Belastungen ihr Kind steht – ihnen aufzeigt, wie sie dazu beitragen können, bei ihren Kindern jenen Anteil seelischer Trennungsfolgen zu minimieren, der allein aus ihren Konflikten resultiert.
 

2.2.3 Befähigung der Eltern

So gesehen, wird die Gestaltung elterlicher Zusammenarbeit zum obersten Ziel der Arbeit. Dafür können durchaus auch mehrere gemeinsame Gespräche notwendig sein, bis beide Eltern – häufig liegt die Schwierigkeit zur Zusammenarbeit auch nur bei einem – begriffen haben, dass sie ihre Blockadehaltung im Interesse des Kindes nicht länger aufrecht erhalten dürfen. Die zentrale Aufgabe sachverständiger Intervention besteht somit darin, das Trennungspaar zu befähigen, zumindest kognitiv zwischen Partnerschaft und Elternschaft zu unterscheiden. Diese Differenzierung stellt eine unabdingbare Voraussetzung dar, um überhaupt erkennen zu können, dass bei einer Trennung die Bedürfnisse der Kinder mit denen der Erwachsenen so gut wie nie konform gehen:

Fast alle Kinder wünschen sich, wenn schon eine Wiederherstellung ihrer Familie nicht möglich ist, zumindest liebevolle, vertrauensvolle und innige Beziehungen zu beiden Eltern. Doch damit nicht genug. Wirklich „gut“ geht es ihnen nur dann, wenn sich zugleich auch die Erwachsenen selbst achtungsvoll und ohne Abwertungen begegnen, sodass sie als Kinder sinnlich spüren, nicht nur isoliert Mutter und Vater, sondern tatsächlich weiterhin auch Eltern zu haben. Um diesem Ausdruck fundamentaler kindlicher Entwicklungsbedürfnisse Rechnung zu tragen, versuchen deshalb systemisch orientierte Sachverständige, das durch die Trennung stark belastete und beeinträchtigte Elternsystem dazu zu befähigen, den psychischen Konstanzbedürfnissen der Kinder wieder Rechnung zu tragen. Sichergestellt wird diese emotionale Bindungskontinuität in erster Linie durch die anhaltende Zusammenarbeit der Trennungseltern.
 

2.2.4 Konfliktmanagement

Am Anfang dominiert meist - wie in jeder anderen problematischen Beratungssituation auch – eine Krisenintervention, um die Basis zu schaffen, dass Eltern überhaupt wieder miteinander reden und sich auszutauschen. Über den gesamten Zeitraum ihrer Arbeit hin bleibt Konfliktmanagement ein beherrschendes Thema, nötig, um den ganzen Komplex an Meinungsverschiedenheiten, Missverständnissen und Streitanlässen wenigsten so weit aufzuarbeiten, dass sich Perspektiven für eine konstruktive Zusammenarbeit entwickeln können. Dafür müssen die, momentan meist spärlichen, Ressourcen zur elterlichen Kooperation freigelegt und von Blockaden befreit werden.

Systemische Sachverständige streben mithin eine Beruhigung der familiären Konfliktkonstellation, sowie ein stabiles emotionalen Beziehungsnetz zwischen Kind und Eltern an. Da Eltern ohne Streit allenfalls dann denkbar sind, wenn das Paar auch emotional „geschieden“ ist – was bei strittigen Trennungen per se ausgeschlossen erscheint –, gehen sie in ihrer Arbeit in der Regel so vor, dass Konflikte zwischen beiden nicht ausgesperrt, sondern im Rahmen des gemeinsamen Gesprächs (oft erstmals) ausdrücklich thematisiert werden. Nur unter der Voraussetzung, dass es genug Raum für Erklärungen, Fragen, Klagen und Anklagen gibt, besteht die Chance, die wechselseitigen Täterbilder und Schuldzuschreibungen als trennungstypisch zu erkennen und zu begreifen, dass durch Aufrechterhaltung von Feindseligkeit und Unversöhnlichkeit nicht nur die eigene, sondern vor allem die seelische Gesundheit der Kinder erheblich geschädigt wird (vgl. Jopt 1992, 1998).

Auf diese Weise kann Eltern bewußt werden, dass Meinungsverschiedenheiten, die weder ausgetauscht noch diskutiert wurden, nicht einfach verschwinden, sondern anschließend an vielen Stellen dysfunktional weiter wirken – sei es im Rahmen des Umgangs miteinander oder mit den Kindern, sei es in der Aggressivität anwaltlicher Schriftsätze, oder in rüden Auftritten im Gerichtssaal. Alle diese Kränkungen, Verletzungen, Enttäuschungen und Abwertungen im Laufe des Trennungsprozesses bewirken letztlich nur, dass die Konflikte bei ausdrücklichem Streitverbot oder Gesprächsabbruch nicht aufhören, sondern lediglich auf andere Weise fortgesetzt werden. Umgekehrt, kann ein solcher Umgang mit Konflikten, die zwar (noch) nicht gelöst, aber doch handhabbar gemacht wurden, Trennungseltern erkennen lassen, dass es nicht sinnvoll ist, den Rechtsstreit um ihre Kinder fortzusetzen, weil nur eine einvernehmliche Lösung allen - Kindern wie Eltern - innere Ruhe und Entspannung bringt.
 

2.2.5 Gegenseitige Akzeptanz

Zu ihren Bemühungen, die Kooperationsfähigkeit der Eltern zu fördern, gehört auch das Thema Akzeptanz. Psychologische Sachverständige müssen den Eltern vermitteln, dass sie beide gleichberechtigt, gleichwertig und damit auch gleichermaßen wichtig für das Wohlergehen und die Entwicklung ihrer Kinder sind. Sie erklären ihnen, dass unterschiedliche Vorstellungen von Erziehung und Umgang mit kindlicher Entwicklung kein Grund für Streit oder Abwertung sind, sondern Ausdruck unterschiedlicher Persönlichkeiten, je eigener Lebensgeschichten, und dass dies keinen Nachteil für ihre Kinder darstellt, sondern, im Gegenteil, eine Bereicherung, da jede kindliche Entwicklung gerade von der Unterschiedlichkeit und Widersprüchlichkeit elterlicher Anregungen profitiert. Im Rahmen sachverständiger Arbeit kann es deshalb nicht darum gehen, als Basis zur Bewertungen ihrer Person oder ihres Verhaltens Persönlichkeitsmerkmale von Eltern zu erheben.

Gleiches gilt für die sogenannte Erziehungseignung. Es gibt keine zwei Eltern – ob getrennt lebend oder nicht –, die ihre Kinder umfassend gleich erziehen. Die meisten Ansichten über Erziehung sind von der eigenen Lebensgeschichte, von persönlichen Wertungen, Überzeugungen oder auch ideologischen Verzerrungen mitgeprägt. Von deren subjektiver Eigenart können weder Eltern noch Fachleute ableiten, dass der Unterschied - etwa zwischen einer toleranten und auf Förderung der Selbständigkeit abzielenden Erziehung des einen und der eher auf Risikominimierung bedachten Lenkung und vorsichtigen Begleitung des anderen - zum Ausschluss oder auch nur zur Degradierung eines Elternteils führen müsse, weil sein Erziehungsstil für das kindliche Wohlergehen weniger bedeutsam sei.

Doch es geht nicht nur um die Vermittlung von Toleranz dafür, dass Eltern sich gegenseitig in ihren individuellen Besonderheiten als Erzieher respektieren. Zugleich wird ihnen auch verdeutlicht, wie wichtig es ist, bestimmte Regeln, die aus fachlicher Sicht für Erziehung und Wohlergehen der Kinder unerlässlich sind, gemeinsam vorzugeben und einzuhalten. Dieses Regelwerk ist notwendig, um ihnen in einer schwierigen Lebenssituation eine klare Orientierung zu ermöglichen, um ihnen noch mehr Verwirrung in ihren Gefühlen und Gedanken zu ersparen, aber auch um zu verhindern, dass sie ihre Eltern gegeneinander ausspielen.

Eltern sollte zudem nahegelegt werden, sich den Kindern gegenüber, unabhängig von ihren persönlichen Gründen, auf eine gemeinsame Version der Trennung zu verständigen und sie ihnen mit der gleichzeitigen Versicherung zu vermitteln, dass sie ihnen trotzdem weiterhin Eltern bleiben werden, gemeinsam für sie Verantwortung tragen und sich um sie kümmern wollen. Aus beziehungspsychologischen Gründen gelingt diese Übereinstimmung zwar oft nicht, doch wenn, dann nimmt sie viel seelischen Ballast von den Kinder und vermittelt ihnen ein Gefühl der Befreiung.
 

2.2.6 Aufklärung der Eltern

Aus systemisch-lösungsorientierter Sicht besteht eine der wichtigsten Aufgaben psychologischer Sachverständiger in der gründlichen Information und Aufklärung von Eltern. Information über die spezielle Konfliktdynamik des Trennungsprozesses (sie betrifft die Erwachsenen); Information in bezug auf die psychologischen Bedürfnisse und über die „Überlebensstrategien“ von Trennungskindern; Aufklärung schließlich über die ganz konkrete Situation der eigenen Kinder, wie sie sich aus sachverständiger Sicht darstellt. In die fachliche Arbeit fließen Arbeitsinhalte ein, die über die spezifische Problematik der jeweils betroffenen Familie und über ein fachlich - also theoretisch und methodisch - fundiertes Agieren hinausreichen.

Psychologische Sachverständige sind Aufklärer in einem produktiven Sinne, indem sie ihr Fachwissen, ihre methodischen Kenntnisse und ihre Erfahrungen nutzen, um Erkenntnisse und Wissen der Eltern zu fördern. Auf diese Weise befähigen sie sie, eventuell zukünftig mit sich selbst und ihrer Umwelt anders als bisher umzugehen: besser zuzuhören, Gefühle zu äußern, aber sie auch zu kontrollieren, Lösungen zu suchen, statt Konflikte zu schüren, Mitmenschen ernst zu nehmen und in ihrer Eigenart zu akzeptieren, usw. Schliesslich versuchen sie, mit den Eltern die soziale Dimension ihres Verhaltens in bezug auf kindliche Lernprozesse auszuloten und zu verändern: Ihr Umgang mit einer prekären Konfliktsituation ist modellhaft für das soziale Lernen der Kinder, die Eltern demonstrieren ihnen, ob Konflikte zur Eskalation führen müssen oder dazu dienen können, neue Wege der Konfliktregulierung und der Vereinbarung zu finden. Aufgeklärte Eltern können den sozialen Lernprozess ihrer Kinder unterstützen und müssen ihn nicht behindern.

Psychologische Sachverständige können den Trennungseltern verdeutlichen, dass sich aus zahlreichen psychologischen Gründen viele ihrer eigenen Bedürfnisse von denen ihrer Kinder beträchtlich unterscheiden. Ziel dieser Differenzierung ist es, ihnen wieder Zugang zu ihrer, im Trennungsverlauf häufig verloren gegangenen, Empathie, ihrem Einfühlungsvermögen in die seelische Erlebniswelt des Kindes, zu verschaffen. Zur aufklärenden fachlichen Intervention gehört weiter, dass den Eltern Mut gemacht und es als legitim und für einen psychohygienischen Umgang mit sich selbst als notwendig erläutert wird, wenn sie, bei allem Bemühen um eine gemeinsame Elternschaft, sich auch Raum für ihren eigenen Schmerz lassen, sich Phasen des Rückzugs und der Abgrenzung gestatten, in denen sie nur mit sich selbst, ihren eigenen Gedanken und Gefühlen beschäftigt sind.

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass das staatliche Wächteramt schon immer zunächst die Aufklärung von Eltern im Blick hat, damit sie ihr kindeswohlschädliches Verhalten abstellen und wieder zu verantwortungsvoller Erziehung in der Lage sind (§ 1666a BGB). Dieser Grundsatz gilt mittelbar auch für Sachverständige im Familienrecht, da sie als Gehilfen für das Familiengericht keine andere Aufgabenstellung haben können als Richter. Dazu passt die Erkenntnis, dass eine familiengerichtliche Entscheidung um so eher von beiden Eltern akzeptiert wird, je mehr sich Sachverständige im Rahmen ihrer Begutachtung bemühten, die Eltern umfassend zu informieren und aufzuklären (Behrend, 2000).
 

2.2.7 Zielperspektive

An dieser Stelle wird der Paradigmenwechsel am deutlichsten. Während traditionelle Gutachter sich in erster Linie als Fachleute verstehen, die Daten über eine Familie sammeln, um anschließend daraus Schlüsse zu ziehen und Empfehlungen für den Richter abzuleiten, sehen sich systemisch-lösungsorientierte Sachverständige vor allem als Aufklärer und Gestalter, die die Eltern dahin führen wollen, ihre Verantwortlichkeitsressourcen zu mobilisieren, um das Schicksal ihres Kindes wieder selbst in die Hand nehmen.

Damit wollen sie erreichen, dass sich nach einer Trennung die künftige Sorge für die Kinder nicht auf das Korsett eines rechtlichen Begriffs reduziert, sondern als fortbestehende gemeinsame Elternverantwortung verstanden und entsprechend praktiziert wird. Ihrem Ziel, der Erarbeitung eines einvernehmlichen Konzepts zukünftiger Betreuung und Beziehungsgestaltung, liegt die Überzeugung zugrunde, dass der wichtigste Beitrag zur Kindeswohlsicherung nach Trennung darin besteht, den Eltern behilflich zu sein, für sich und ihre Kinder ein Projekt Nachscheidungsfamilie ins Leben zu rufen.
 

2.2.8. Fazit

Natürlich kann sich ein Verständnis der Sachverständigenrolle, wie es hier vertreten wird, nur dreieinhalb Jahre nach Reform des Kindschaftsrechts noch nicht flächendeckend durchgesetzt haben, dafür sind die grundlegenden Veränderungen viel zu groß. Fundamentale Wandlungen in Einstellung und professioneller Anwendung – in der Wissenschaft als Paradigmenwechsel bezeichnet – benötigen immer eine Anlaufzeit. Das war 1991 bei der Ablösung des Jugendwohlfahrtsgesetzes durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz nicht anders. Die dadurch notwendig gewordene Umorientierung bei den Jugendämtern ist selbst heute noch nicht überall abgeschlossen.

Doch gerade das vorliegende Buch mit seinen zahlreichen Beiträgen von Juristen und anderen Professionellen aus dem Kindschaftsrecht zeigt, dass der hier skizzierte Wandel im Aufgabenverständnis Psychologischer Sachverständiger kein Fantasieprodukt ist. Auch jetzt ist es lediglich eine Frage der Zeit, bis die alten eingeschliffenen Denk- und Handlungsmuster allenorts ausgetauscht worden sind. Zögerlichkeit oder selbst Widerstand aus den Reihen traditioneller Gutachter – unterstützt von Juristen – widersprechen dem nicht (vgl. Jopt, 1988).

Denn sobald die Muster und Routinen traditioneller Begutachtung (noch) nicht eingeschliffenen sind, entsteht sofort ein ganz anderes Bild. Studierenden der Psychologie, die noch keinerlei Erfahrung mit der Sachverständigentätigkeit haben (sie gehört nicht zum Ausbildungskanon), fällt es – im Vergleich zu berufserfahrenen Praktikern – in der Regel von Beginn an eher leicht, sich einem systemisch-lösungsorientierten Verständnis zu öffnen. Das dürfte damit zu tun haben, dass für die meisten angehenden Psychologen der fachliche Umgang mit Trennungsfamilien in erster Linie mit gestaltenden Einflussnahmen auf das Familiensystem assoziiert ist und nicht mit der Diagnostik von Persönlichkeitsmerkmalen und Eltern-Kind-Beziehungen.

Dass sich nach der Reform des Kindschaftsrechts das traditionelle Gutachterverständnis ändern muss, bestätigte allerdings erst jüngst auch eine Reihe praktizierender Sachverständiger selbst. Denn auf dem 14. Deutschen Familiengerichtstag (DFGT) vom 12.-15. September 2001 in Brühl verabschiedete der Arbeitskreis 23 einstimmig:

1. § 52 FGG beinhaltet die allgemeine Forderung des Gesetzgebers, dass der Richter in einem jeden die Person eines Kindes betreffenden Verfahren vermitteln soll. Vermitteln bedeutet den Aufbau, die Stärkung oder Wiederherstellung der Fähigkeit der Eltern zur kompetenten Wahrnehmung ihrer elterlichen Verantwortung.

2. Für die Wahrnehmung dieses Vermittlungsauftrages ist das Gericht befugt, einen Sachverständigen hinzuzuziehen. Das kann auch beinhalten, den Sachverständigen mit eigenen Vermittlungsbemühungen zu beauftragen. Je früher der Sachverständige hinzugezogen wird, desto höher ist in der Regel die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Vermittlung.

3. Die Vermittlungstätigkeit des Sachverständigen erfordert eine den Umständen des Einzelfalls angemessene Diagnose und auf dieser Grundlage eine prozess- und lösungsorientierte Intervention. Hierzu gehört auch Information und Beratung der Eltern über die situationsspezifischen Bedürfnisse der Kinder.

4. Erforderlich ist eine Abkehr vom primär entscheidungszentrierten Rollenverständnis bei Richtern, Rechtsanwälten, Jugendamtsmitarbeitern und Sachverständigen, hin zu einer vermittlungsorientierten Zusammenarbeit.

Das lässt hoffen. Die hier beschriebenen Anforderungen erfordern allerdings, dass rasch eine Aus- und Fortbildung zum systemisch orientierten Sachverständigen, am besten in Verbindung mit der parallelen Schulung von Richtern und Sachverständigen, angeboten wird.
 
 

2.3 Methodik

2.3.1 Allgemeines

Das systemische, prozess- und lösungsorientierte Vorgehen ist zunächst durch das charakterisiert, was unterlassen wird: Weitgehender Verzicht auf psychodiagnostische Tests, auf Eigenschaftsdiagnostik, auf Objektivität im testtheoretischen und methodischen Sinne, auf Be-Gutachtung von Menschen. Der wesentliche Unterschied liegt in dem, was im Vergleich zum traditionellen Ansatz getan wird: die Erstellung einer lösungsorientierten Situations-, Problem- und Entwicklungsanalyse. Dazu werden eine gründliche, themenbezogene Anamnese der Beteiligten, eine Exploration des Kindes, ein möglichst umfassender Einblick in die bestehende Situation, ihre Bedingungen und ihre Dynamik und ggf. auch Zusammentreffen des Kindes mit einem Elternteil erhoben bzw. beobachtet. Hinzu kommen ergänzende Explorationen zu Einzelfragen, bei Bedarf auch mit Dritten, soweit sie zum Verständnis oder zur Veränderung der Lage beitragen können.
 

2.3.2 Diagnostik

Systemisch-lösungsorientierte Tätigkeit ist methodisch, zusammengefasst betrachtet, eine Kombination aus Diagnostik, Beratung und Intervention. Ziele sind die Veränderung von Einstellung und Verhalten auf Seiten der Beteiligten, sowie ihrer Beziehungen untereinander. Dafür wird in die bestehende Trennungsdynamik gestaltend eingegriffen. Das Arbeitskonzept lehnt sich an das einer qualifizierten Beratungsarbeit an: mit beiden Eltern wird zunächst einzeln, dann gemeinsam gesprochen. Bei Bedarf werden zusätzliche Gespräche mit den Kindern eingebunden, die in zwischenzeitlichen oder abschließenden Familiengesprächen münden können.

Dieses entwicklungs- und wachstumsorientierte methodische Konzept ist nicht-normativ, und unterscheidet sich damit prinzipiell von dem, das traditioneller Begutachtung zugrunde liegt. Wenn systemisch orientierte Sachverständige im engeren Sinne Psychodiagnostik betreiben, greifen sie in erster Linie auf Möglichkeiten systemischer Diagnostik zurück, die das menschliche Miteinander als strukturelle Koppelung zwischen verschiedenen Systemen und Subsystemen sieht.  Dabei verlaufen die Interaktionsprozesse in der Trennungsfamilie auf verschiedenen Ebenen, die es heraus zu arbeiten gilt:
 

§ Wie sind die vorherrschenden Kommunikationsmuster zwischen Eltern, zwischen ihnen und den Kindern, zwischen den Geschwistern?

§ Was sind die wechselseitigen Erwartungen?

§ Welche Veränderungen haben stattgefundenen und welche erscheinen möglich?

§ Wo liegen Chancen zur gemeinsamen Entwicklung einzelner Subsysteme?

Dabei geht es nicht darum, Unterschiede zwischen den Persönlichkeiten der Eltern aufzuzeigen (wohl jedoch im Verhalten (!), das mehr oder weniger dysfunktional für das Kind sein kann). Systemisch orientierte Diagnostik beinhaltet statt dessen die Erstellung eines möglichst differenzierten Bildes von Ausmaß und Ursachen bestehender Störungen in Kommunikation und Interaktion zwischen den Eltern bzw. innerhalb der Trennungsfamilie, wobei auch die unterschiedlichen Anteile, die beide daran haben können, aufgezeigt werden.

Schließlich kann ein Sachverständiger auch sein persönliches Eingebundensein in das familiäre System, seine vorüber gehende Zugehörigkeit zu ihm, diagnostisch nutzen. Als Bestandteil des Systems hat er die Möglichkeit, die Trennungsdynamik gewissermaßen aus der Binnenperspektive kennen zu lernen und von innen her auf sie Einfluss zu nehmen - als Dramaturg oder als Moderator, d. h. aus einer trotzdem verbleibenden Distanz gegenüber den eigentlichen Familienangehörigen.
 

2.3.3 Gemeinsame Gespräche

Spannungen zwischen Eltern – und auch zwischen Eltern und Kindern – lassen sich nur dann beseitigen, wenn die Betroffenen miteinander reden. Das ist nicht nur ein Grundgedanke des KindRG, sondern eine sozialpsychologische Binsenweisheit und die wichtigste Arbeitsgrundlage für Sachverständige, die Elternstreit abbauen wollen. Deshalb forderte Jopt (1987) bereits lange vor der Reform, das Gespräch mit beiden Eltern ins Zentrum gutachterlicher Methodik zu stellen, als das Herzstück sachverständiger Intervention überhaupt.

Damit ist nicht gemeint, dass das gutachterliche Methodenrepertoire einfach um ein neues Element Elterngespräch zu erweitern sei. Vielmehr sollte dem Dialog zwischen beiden – mag er sich noch so mühsam gestalten und immer wieder auf die Paarebene abdriften – die entscheidende Schlüsselrolle zukommen, um Eltern – ganz im Sinne des Gesetzgebers - zum Konsens zu führen. In systemischer Gutachtersicht bildet das gemeinsame Gespräch somit den methodischen Kern sachverständiger Tätigkeit im Familienrecht. Die damit verbundene Form von Diagnostik ist Grundlage einer Prozessdiagnostik, in deren Verlauf überprüft wird, inwieweit die geplanten Veränderungen im Umgang mit dem Kind gelungen sind.
 

2.3.4 Erprobung und Zukunft

Durch Elterntrennung ausgelöste Veränderungen haben aus kindlicher Sicht weitreichende innere und äußere Folgen (vgl. Fassel, 1994; Figdor, 1998). Dies gilt in erster Linie für den zukünftig Umgangsberechtigten, dem gegenüber die kindliche Beziehung auf einmal Regularien unterliegt, die es in dieser Form bisher niemals gab. Aber auch in bezug auf den betreuenden Elternteil erweist sich die Vorstellung, dort bliebe alles beim alten, als trügerisch. Massive anhaltende Spannungen zwischen den Eltern erschweren dem Kind die Bewältigung der neuen Situation zusätzlich.

Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, Kindern – eigentlich auch ihren Eltern – zunächst die Möglichkeit zu geben, für eine befristete Zeit anschauliche Erfahrungen mit den unterschiedlichen Alltagen an der Seite von Mutter oder Vater machen zu können, bevor sie sich länger festlegen (oder festgelegt werden). Solche Erprobungsphasen dürfen nicht als Experimente mit Kindern missverstanden werden, sondern stellen eine kontrollierte Hilfestellung für sie dar. Sie unterstützen das Kind, nicht auf eine Entscheidung fixiert zu werden, die irgendwann nicht mehr stimmt, ohne damit zum früheren Zeitpunkt falsch gewesen zu sein. Irgendwann „passt“ sie möglicherweise einfach nicht mehr. Entwicklungsdynamisch gesehen ist es lebensfern, wenn eine einmal getroffene Sorgerechtsentscheidung in der Regel bis zur Volljährigkeit des Kindes gelten soll und nur unter extremen Voraussetzungen wieder geändert werden kann (§ 1696 BGB).

Um der wirklichen Prozesshaftigkeit kindlichen Lebens - den zahllosen Sprüngen, dem Wechselspiel von Hinwendung und Distanz, der mit den Jahren ansteigenden Autonomie und Selbstverantwortung - Rechnung zu tragen, ist es darüber hinaus für Kinder wie Eltern von großer Bedeutung, in zukünftigen Krisenphasen auf die Nachtrennungsfamilie insgesamt zurückgreifen zu können und nicht gezwungen zu sein, erneut ein Gericht bemühen zu müssen. Deshalb bleiben systemisch orientierte Sachverständige auch nach Beendigung ihres familiengerichtlichen Auftrags weiterhin Ansprechpartner für Eltern und Kind, um mit Rat und Hilfe zur Stelle zu sein, sobald die Erwachsenen selbst erneut keine Einigung finden. Dies ist ein wesentliches Merkmal der Sachverständigenrolle, das der traditionelle Ansatz so nicht kennt (vgl. Jopt, 1997).
 

2.3.5 Beteiligung der Kinder

Ein letztes methodisches Element der Arbeit bezieht sich auf die Beteiligung der Kinder. Auf den ersten Blick erscheint dies nicht neu, da ihre Einbeziehung, meist verbunden mit der Applizierung diverser Testverfahren zur Bindungsdiagnostik, geradezu als Markenzeichen kompetenter gutachterlicher Arbeit gilt. Systemisch-lösungsorientiert gesehen geht es jedoch nicht darum, kindliche Prioritäten gegenüber Vater oder Mutter herauszufinden. Diese Vorstellung passt weder zu seiner Entwicklungsdynamik, noch zum KindRG, wonach das Interesse von Trennungskindern in der Regel auf Erhalt ihrer Beziehungen zu beiden Eltern gerichtet ist (§§ 1626, 1684 BGB).

Selbstverständlicher, und damit nicht extra überprüfungsnotwendiger Ausgangspunkt ist deshalb die Überzeugung, dass alle zu begutachtenden Eltern in aller Regel ihre Kinder gleichermaßen lieben, unabhängig von u. U. beträchtlichen Unterschieden im Erziehungsverhalten oder auch im Umgang mit ihnen. Solche Unterschiede sind ein charakteristischer Bestandteil des familialen Lebens und finden sich deshalb keineswegs nur bei Trennung. So lange die Familie unter einem Dach vereint war, wurde allerdings von keinem daraus abgeleitet, dass deshalb die Liebe zu den Kindern ungleich stark sein müsse. Solche Differenzierungen entstehen erst mit der Trennung.

Die Einbeziehung von Kindern dient letztlich zwei Zielen. Zum einen soll durch Exploration und Interaktionsbeobachtung ein Eindruck davon gewonnen werden, ob und wie weit das Kind bereits von einem Elternteil oder auch beiden instrumentalisiert wurde; zum anderen, wo es sich selbst innerhalb der Dynamik der Trennungsfamilie plaziert. Entsprechende Schlüsse lassen sich etwa daraus ableiten, wie es über seine Eltern spricht, wie es sich ihnen gegenüber verhält, und wie realistisch und nachvollziehbar seine Ängste und Befürchtungen sind, die im Zusammenhang mit Umgangskontakten auftreten können.

Wo immer Kinder durch die Unfähigkeit ihrer Eltern zur Streitbeilegung instrumentalisiert, d. h. durch einen Elternteil vereinnahmt und damit aus ihrem emotionalen Gleichgewicht beiden gegenüber gebracht wurden, begehen Eltern einen der schwerwiegendsten Fehler, im Trennungsverlauf wie danach. Gerade in der Trennungskrise ist das Verhältnis zu ihnen hochgradig von äußeren Umständen – z. B. von der Umgangspraxis, vom Stand gerichtlicher Auseinandersetzungen, von wechselseitigen Verlustängsten – abhängig, die häufig zu Verhaltensweisen führen, die kein Elternteil unter anderen, weniger belastenden Umständen je zeigen würde. Deshalb kommt es entscheidend darauf an, bei bestehender Instrumentalisierung den Eltern in aller Deutlichkeit aufzuzeigen, welche extremen seelischen Belastungen für ihr Kind hieraus resultieren.

Trotzdem soll die Wahl des zukünftigen Lebensmittelpunkts und die Art der Umgangsregelung aber auch nicht am Kind vorbei getroffen werden. Häufig verweigern Kinder zwar ganz bewusst jede direkte Stellungnahme, sofern sie sich konkret für den Verbleib bei einem Elternteil äußern sollen. Ihre Zurückhaltung bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass sie dazu keine Meinung hätten. Meistens schweigen Kinder, weil sie begriffen haben, dass sie mit jeder persönlichen Präferenz zwangsläufig den anderen Elternteil kränken würden. Da sie das jedoch auf keinen Fall wollen, äußern sie sich einfach nicht. Deshalb wird in der systemisch-lösungsorientierten Arbeit bewusst vermieden, ein Kind in die Rolle des „Züngleins an der Waage“ zu drängen. Davon ausgehend, dass es beide Eltern liebt und ihm beide gleichermaßen wichtig sind, könnten zwar durchaus Wünsche in bezug auf den künftigen Lebensmittelpunkt bestehen und auch geäußert werden; dies setzte jedoch voraus, dass sie von beiden Eltern auch akzeptiert würden und sein Outing damit nicht länger bedrohlich wäre.

Doch da das nur selten der Fall ist, muss das Kind so in die Gespräche einbezogen werden, dass es sich relativ frei äußern kann, ohne Angst haben zu müssen, einen Elternteil zu brüskieren. . Der so explorierte „Kindeswille“ ist wesentlich verlässlicher, als jeder Rückschluss durch Interpretation von Testbefunden, weil er das Kind aktiv beteiligt, es ernst nimmt und ihm zugleich keine Angst macht, nicht mehr loyal zu sein. Zusätzliche Testbefunde würden weder Sachverständigem noch Eltern weitere Erkenntnisse vermitteln. Auf die Testung von Trennungskindern kann somit aus systemischer Sicht ersatzlos verzichtet werden.
 
Sollten die Elterngespräche scheitern, wird das Familiengericht den Wunsch des Kindes zwar zur Kenntnis nehmen, möglicherweise aber nicht erfüllen können. In jedem Fall gehört es zur Aufgabe des Sachverständigen, dem Kind Eindruck und Gefühl zu nehmen, es sei Entscheidungsträger und verrate somit einen Elternteil. Er muss deshalb unmissverständlich deutlich machen, dass die anstehende Entscheidung nicht beim Kind, sondern ausschließlich beim Gericht liegt.
 

2.4 Beziehungen zur Trennungsfamilie

Sowohl aus den inhaltlichen Grundlagen, wie aus dem methodischen Konzept ergeben sich definitive Grundsätze für den Umgang systemischer Sachverständiger mit der Trennungsfamilie. Dabei steht, als „goldene Regel“, ganz oben an, dass beide Eltern sich uneingeschränkt ernst genommen und verstanden fühlen müssen - in ihrer persönlichen Eigenart, in ihrer Betroffenheit, mit ihrer Vorstellung vom zukünftigen Umgang mit den Kindern und mit ihrer subjektiven Wahrheit zur Beziehungs- und zur Trennungsgeschichte. Eltern haben ein Recht auf ihre Gefühle (auch die negativen gegenüber dem anderen) und auf ihre subjektiven Wahrheiten in bezug auf den Partner, die aus beziehungspsychologischen Gründen fast immer das Negativ zu den Erklärungen und Begründungen des Partners sein müssen (vgl. Jopt, 1992).

Nur wenn es dem Gutachter gelingt, die seelisch und sozial vorherrschenden Bedingungen auf beiden Seiten zu erfassen und nachzuvollziehen, besteht überhaupt die Chance, die Eltern mit seinen Überlegungen und Vorschlägen zu erreichen und zum Mitmachen zu bewegen. Auf diese Weise kann es gelingen, ihre Selbstachtung wieder aufbauen und sie schließlich zu einer gemeinsamen Lösung zu führen. Ist dies der Fall, so erklären sie das Verfahren gegenüber dem Gericht entweder für erledigt, was eine ausführliche Stellungnahme des Gutachters erübrigt (vgl. Anlage?). Oder der Richter segnet in einem abschließenden Termin nur noch ab, was beide Eltern gemeinsam wollen.

Nicht weniger bedeutsam ist schließlich aber auch die andere, fordernde Seite in der Beziehung zu den Betroffenen. Sachverständige, die intervenieren und beraten, haben nicht zuletzt die Aufgabe, auch Ansprüche an die Eltern zu stellen. Dazu gehört etwa die Forderung, Reste an Kränkungen und Verletzungen aus der Partnerschaft, nicht abgeschlossene Leidensprozesse, die sämtliche Befriedungsbemühungen immer wieder bis zur Vereitelung beeinträchtigen können, aktiv anzugehen, indem sich ein Elternteil um fachliche Hilfe - Beratung, Psychotherapie - bemüht, statt damit die Beziehung zum Expartner und damit immer zugleich auch zum Kind zu belasten.

Ernstnehmen bedeutet also nicht Verzicht auf jegliche Kritik oder auf Vorschläge zur Veränderung von Verhalten und Einstellungen, beides ist vielmehr die Grundlage. Es macht den Eltern deutlich, dass sie vom Gutachter akzeptiert und nicht belehrt werden; dass sie zwar ein Recht auf Besonderheit ihrer Persönlichkeit haben, aber keines auf die Praktizierung von Erziehungsmethoden oder Umgangsgestaltungen, die aus fachlicher Sicht der Entwicklung ihres Kindes, dazu zählt auch die Qualität seiner Beziehung zum anderen Elternteil, nachweislich schadet. Deshalb gehört es auch zur Rolle des Sachverständigen, Eltern bei Bedarf dort Grenzen für ihr Verhalten aufzuzeigen, wo sie gegenüber anderen Menschen - dem früheren Partner, den Kindern, anderen Verwandten oder auch dem Gutachter - verletzend, abwertend, respektlos oder auch gewalttätig, körperlich oder seelisch, auftreten. Bis hin zur Ankündigung, einer faktischen Kindeswohlgefährdung nicht lange nur zuzusehen, sofern sie vom Verursacher nicht zügig abgestellt wird.
 

2.5 Ergebnisse für die Beteiligten

Die Ergebnisse systemisch orientierter Sachverständigenarbeit unterscheiden sich von denen traditionell arbeitender Kollegen nicht nur oberflächlich, sondern grundsätzlich. Denn während dort gute Arbeit geleistet wurde, wenn der Gutachter dem Gericht einen verwertbaren Entscheidungsvorschlag vorlegt, erlebt der andere nur dann Erfolg, wenn er die Eltern befähigen konnte, sich aus einer für alle belastenden, destruktiven und unfruchtbaren Konstellation zu befreien und im Interesse ihres Kindes den Weg zum Aufbau eines gemeinsamen Projekts Nachscheidungsfamilie zu beschreiten.

Aber auch die Eltern könnten die positiven Ergebnisse ihrer Anstrengungen schnell spüren und schätzen lernen, sofern ihnen bewusst wird, dass sie danach von weiterem Gerichtsstress befreit sind, dass der Beziehungsstress wegfällt oder sich doch erheblich verringert hat, und dass sie in Erziehung und Verantwortung für ihre Kinder erstmals entlastet werden.

Für die Familien- oder Vormundschaftsrichter wiederum erweist sich die mit dem Gutachter erarbeitete Einigung schon deshalb als deutlicher Gewinn, weil sie, statt ein Urteil fällen und begründen zu müssen, den Elternvorschlag abschließend nur noch rechtlich fixieren müssen. Jedenfalls dann, wenn der Streit beendet werden konnte - was zwar häufig, aber keineswegs immer gelingt.

Am stärksten profitieren jedoch die Kinder von einem positiven Ergebnis des Sachverständigen: Sie erleben - oft erstmals seit Jahren - Angstfreiheit, können innerlich entspannen, zu ihrer Fröhlichkeit zurückfinden. Wer jemals ihre Reaktionen miterlebt hat, wenn sie erstmals wieder nach Monaten, manchmal auch nach Jahren, ihre Eltern an einem Tisch sitzen und miteinander reden sehen, der weiß, was die hier vertretene Sachverständigentätigkeit manchmal bewirken kann.
 

2.6 Kindeswohl

Vor dem Hintergrund seines Wissens um Trennungsprozess, Trennungsdynamik und ihre Folgen für jeden einzelnen Beteiligten wird für einen lösungsorientierten Sachverständigen der unbestimmte Rechtsbegriff Kindeswohl zum zentralen Anker seiner fachlichen Bemühungen. Er verliert seine bisherige Diffusität im Kontext konservativer forensischer Psychologie und verdichtet sich zu einem integralen Bestandteil des Trennungsgeschehen. Denn vor dem Hintergrund seines fachlichen Wissens ist ihm bewusst, dass das kindliche Wohlergehen hochgradig an die Trennungsdynamik der Eltern gebunden ist. Es ist nur dann gesichert, wenn es beiden gelingt, trotz aller Spannungen als getrenntes Paar ihrer elterlichen Verantwortung gerecht zu werden und auf dieser Ebene zusammenzuarbeiten.

Das Kindeswohl, übergreifende Leitgröße aller familienrechtlichen Bemühungen, wird mithin nicht als Zustand oder als eine Art Eigenschaftsmerkmal gesehen, das Kindern anhaftet oder fehlt, sondern als Name für die Qualität von Beziehungsverhältnissen zwischen Kind und Eltern – im Rahmen des Trennungsprozesses, wie in bezug auf die spätere Nachtrennungsfamilie. Kindeswohl im Rahmen von Trennung ist somit vor allem eine Systemqualität (für Fälle nach § 1666 BGB gilt das allerdings nur bedingt).
 

2.7 Inverventionsdiagnostik

Rösner & Schade (1989) forderten bereits lange vor der Reform, die vorherrschende Eigenschaftsdiagnostik – die vor allem Personmerkmale, Bindungsintensität, Kindeswille, Erziehungsfähigkeit, usw., untersucht – durch eine Interventionsdiagnostik zu ergänzen, in deren Verlauf sich der Gutachter darum bemühen sollte, die Zustimmung beider Eltern für das von ihm zuvor entwickelte Lösungskonzept zu gewinnen. In Folge dieser Anregung erklärten verschiedene Vertreter des traditionellen Gutachtenansatzes die Ausschließlichkeit reiner Statusdiagnostik, also der Analyse des bestehenden familialen Status quo, für unzureichend und schlugen als Ergänzung eine „intervenierende Begutachtung“ vor (Salzgeber & Höfling, 1991, 1992). Damit war beispielsweise gemeint, dass der Gutachter im Einvernehmen mit den Eltern zunächst Möglichkeiten zur Umsetzung des Umgangsrechts praktisch erproben sollte, anstatt dem Gericht von vorn herein nur vorzuschlagen, welche Regelungen er für sinnvoll hielt.

Im gleichen Sinne vertraten Balloff & Walter (1991) die Auffassung, dass zur Begutachtung zukünftig auch ein „modifikationsorientierter Prozess“ mit dem Ziel einer Konfliktminderung gehören solle (s. auch Balloff, 1994). Dazu zählten beispielsweise „gemeinsame, lösungsorientierte Gespräche mit den Eltern im strittigen Sorgerechtsverfahren, die begleitete Kontaktaufnahme des Kindes mit dem anderen Elternteil bei Streitigkeiten um das Umgangsrecht oder erste Schritte zur Reintegration des Kindes nach einem Aufenthalt in der Pflegefamilie oder im Kinderheim in das Elternhaus“ (Balloff, 1998, 212).

Diese Erweiterung oder Ergänzung reiner Statusdiagnostik hat inzwischen ihren festen Platz innerhalb der forensischen Psychologie, zumindest im Rahmen der Theorie. Im Gegensatz zur ursprünglichen Forderung von Jopt (1987) wird das Elterngespräch im interventionsdiagnostischen Ansatz allerdings nicht als fokales methodisches Instrument gesehen, sondern lediglich als Erweiterung des traditionellen methodischen Vorgehens, wobei der bisherige Rahmen einer Begutachtung unverändert beibehalten wird. Entsprechend wird das Elterngespräch sofort als gescheitert abgebrochen und zur diagnostischen Routine zurückgekehrt, sobald das eigentliche Thema solcher Gespräche, die Ausgestaltung der Elternschaft, durch aufkommenden Streit des Paares in den Hintergrund zu treten droht. Und das ist aus beziehungspsychologischen Gründen meist schnell der Fall.

Die interventionsdiagnostische Begutachtung unterscheidet sich in diesem Punkt grundlegend vom systemisch-lösungsorientierten Vorgehen: Während dort das gemeinsame Gespräch lediglich eine Option, einen lohnenswerten Versuch darstellt, der bei aufkommenden Streit oft noch während des ersten Treffens wieder abgebrochen wird, sehen systemisch orientierte Sachverständige in der Konfrontation der Eltern ein wesentliches Element der Trennungsdynamik, das auf keinen Fall unterdrückt werden darf, eher sogar gezielt provoziert werden muss, um latente Spannungen und Feindseligkeiten offenkundig werden zu lassen.

Dabei wird im interventionsdiagnostischen Gesprächsverlauf gerne auf die Statusdiagnostik zur Bestätigung der zuvor explorativ untersuchten Beziehungsverhältnisse zwischen Kind und Eltern zurückgegriffen. Mit Hilfe einschlägiger Testverfahren soll es, gewissermaßen schwarz auf weiß und in Zahlen gekleidet, oft leichter gelingen, die Eltern von der Notwendigkeit eines anderen Umgangs mit ihren Kindern zu überzeugen oder sie dafür zu gewinnen, andere Kontaktformen auszuprobieren. Aus systemischer Sicht erscheint dieses Vorgehen allerdings nicht unbedenklich, weil gegen die – meist projektiven oder semiprojektiven – Testverfahren erhebliche Bedenken bestehen . Ihre Ergebnisse können außerdem durch eine Vielzahl unkontrollierter Faktoren beeinflusst sein (Erfahrungen mit den Eltern vor, aber auch nach der Trennung; Umgangsstörungen, Geschwister, usw.), sodass es kaum möglich ist, aus Testbefunden „wahre“ Erkenntnisse über Dynamik und Entwicklung einer Trennungsfamilie abzuleiten (s. Jopt 1992).

Bei solchen Grundlagen läßt die interventionsdiagnostische Begutachtung logischerweise nur wenig Raum für eine Veränderung der einmal vom Gutachter festgestellten Verhältnisse in der Trennungsfamilie, sowie für die von ihm vorgenommenen (Be-)Wertungen. Dadurch wird – nicht nur theoretisch, sondern in der Praxis überwiegend – eine einmal beschlossene Lösung meist bis zur Volljährigkeit der Kinder zementiert. Doch mit der hierbei unterstellten Stabilität kindlicher Beziehungsmuster bleibt sie der Entwicklungsdynamik und den Veränderungen im kindlichen Leben realitätsfern und wesensfremd.

Obwohl selbst diese bescheidene Form der Einbeziehung des Elterndialogs in die Begutachtung weit davon entfernt ist, einen festen Platz im Methodenkatalog traditioneller Sachverständigenarbeit einzunehmen (beispielsweise widmet Salzgeber (2001) in der 412 Seiten starken 3. Auflage seiner Monographie zur Begutachtung im Familienrecht dem Elterngespräch gerade 1 (!) Seite), zeigen die Überlegungen zur Interventionsdiagnostik letztlich, dass Intervention und Vermittlung für psychologische Gutachter keine Fremdworte mehr sind. Zumindest dazu hat dieser Ansatz – wenngleich auch weniger seine praktische Umsetzung, sondern in erster Linie die Auseinandersetzung mit ihm –beigetragen (vgl. auch die jüngsten Beschlüsse des DFGT).
 

2.8 Kooperation mit den übrigen Verfahrensbeteiligten

Immer wieder kommt es vor, dass selbst das Arsenal systememorientierter Interventionen nicht ausreicht, um verletzte und gekränkte Eltern für ihre Kinder zu sensibilisieren. In diese Lage geraten Sachverständige schnell dann, wenn sich beispielsweise der betreuende Elternteil relativ sicher wähnt, dass das Familiengericht an einer Entscheidung zu seinen Gunsten nicht vorbei kommt. Wenn das Kind noch sehr klein ist, oder wenn es keine realistische Alternative zum designierten Betreuungselternteil gibt, kann bei dem solchermaßen privilegierten Elternteil der Eindruck entstehen, sich auf keine Kompromisse oder auch nur Gesprächskontakte mit dem früheren Partner einlassen zu müssen. Weder der (zuvor angebotenen) Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe, noch mit dem Sachverständigen kann er etwas abgewinnen.

Solche und ähnliche Konstellationen machen aus sachverständiger Sicht die Einbeziehung des Familiengerichts und damit den drohenden Einsatz von Rechtsmitteln unumgänglich, weil es unter dem Aspekt des Kindeswohls nicht zu verantworten ist, die demonstrierte Willkür unwidersprochen hinzunehmen. Dies hat nicht selten zur Folge, dass es drauf hin gelingt, die Bereitschaft des Abblockenden zur Zusammenarbeit mit anderem Elternteil und Sachverständigen doch noch zu wecken. Deshalb erweist sich im Einzelfall die enge Kooperation mit dem Gericht als unabdingbare Voraussetzung, um nicht vor dem – aus beziehungspsychologischer Sicht verständlichen, aus Sicht des Kindes jedoch schädlichen – Widerstand eines Elternteils zu kapitulieren (s. Bode, 2001; Prestien, 1995). Insofern ist die enge Zusammenarbeit zwischen beiden Professionen - mit wechselnder Federführung, im Falle des Scheiterns jedoch klarer Hierarchie - für die Arbeit nach dem systemisch-lösungsorientierten Ansatz geradezu konstitutiv (s. Jopt & Behrend, 2000).

Eine noch schwierigere Situation entsteht, wenn das Kind bereits so stark instrumentalisiert ist, dass es von sich aus auf Distanz geht und jeglichen Kontakt zum anderen Elternteil kategorisch ablehnt – eine trennungsfamiliäre Konstellation, die stark zunimmt und im Extremfall in PAS mündet (Bäuerle & Moll-Strobel, 2001; Jopt & Behrend, 2000; Jopt & Zuetphen, 2002). Unter diesen Umständen schrumpft der Gestaltungsspielraum eines Sachverständigen fast völlig zusammen, weil auch mit der Autorität des Familiengerichts kaum erzwungen werden kann, dass beispielsweise ein Zwölfjähriger seine ablehnende Haltung aufgibt. Wie in solchen Fällen verfahren werden soll, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt.
 

Die Zusammenarbeit zwischen psychologischen Sachverständigen und Familiengericht lässt sich in Schritte untergliedern, die der Sachverständige nacheinander gehen bzw. anregen und mit den übrigen Verfahrensbeteiligten umsetzen kann.

In der Regel haben die zuständigen Sozialarbeiter der Jugendhilfe bereits erfolglos versucht, zwischen den Eltern zu vermitteln, wenn ein Sachverständiger eingeschaltet wird.  Er wird sich sinnvollerweise nicht nur anhand der Berichte informieren, sondern persönlichen Kontakt aufnehmen, um ein möglichst vollständiges Bild der Ausgangsbedingungen seiner eigene Arbeit zu gewinnen. Diese Informationssuche schließt einen Verfahrenspfleger ein, wenn er schon vorher im Verfahren tätig war.

Der Sachverständige wird zunächst versuchen, mit den Eltern – und den Kindern – eine am Kindeswohl orientierte Lösung zu erarbeiten. Wenn seine Arbeit nach einer überschaubaren Anzahl von explorativen und beratenden Gesprächen, sowie aufklärenden und gestaltenden Interventionen erfolgreich war, wird er dem Familiengericht eine kurze Mitteilung über den Verlauf und die Ergebnisse seiner Arbeit machen, verbunden eventuell mit Empfehlungen, die an das Ergebnis der elterlichen Vereinbarungen anknüpfen. Zusätzlich kann er mit den Eltern eine Vereinbarung treffen, die in quasi-vertraglicher Form fixiert, was sie als Grundlage und Ziel ihrer Kooperation, aber auch als Verfahrensweisen bei Unstimmigkeiten erarbeitet haben.

Ist die Kooperationsbereitschaft der Eltern wenig ausgeprägt, so wird der Sachverständige seine Vermittlungsversuche unter Einbeziehung Dritter fortsetzen. Oft zeitigt die Einbeziehung von elterlichen Bezugspersonen, etwa Anwälten, Großeltern, neuen Partnern, Erfolge, weil Eltern deren Rat akzeptieren. Bleibt diese Erweiterung seines systemischen Ansatzes erfolglos, unterrichtet der Sachverständige mit einer kurzen Stellungnahme das Gericht, in der er das Scheitern seiner Bemühungen mitteilt und die aus seiner Sicht verantwortlichen Gründe oder Elternteile benennt. Zugleich bittet er um einen Anhörungstermin zur Erörterung der bestehenden Schwierigkeiten für seine Weiterarbeit.

Darauf hin lädt der Familienrichter Eltern, ihre Anwälte, das Jugendamt und eventuell den Verfahrenspfleger ein, ggf. auch die Kinder. In diesem Termin steht das Gespräch zwischen allen beteiligten Personen im Vordergrund. Ist es nicht gelungen, in dieser Verhandlung eine Einigung der Eltern zu erreichen, sie aber dafür zu gewinnen, mit dem Sachverständigen einen weiteren Versuch zur Erarbeitung einer Lösung zu unternehmen, wird dieser mit den Eltern weiter arbeiten. Sind sie dazu jedoch nicht bereit, erhält er den Auftrag vom Familiengericht, eine schriftliche Stellungnahme zu verfassen, in der er darlegt, welche Lösung aus seiner Sicht für die Kinder die am wenigsten belastende ist. Aus seiner Darstellung des Herganges der Gespräche kann der Richter die aktuellen Defizite im Verhalten der Eltern und in ihrer Zusammenarbeit ablesen und aus ihnen entsprechende Schlussfolgerungen ableiten, um einen Beschluss hinsichtlich Sorgerecht oder Umgangsrecht fassen zu können.

Auf diese Weise gestaltet sich die Zusammenarbeit des Sachverständigen mit den übrigen Verfahrensbeteiligten variabel, abhängig von der Entwicklung seiner Arbeit mit Eltern und Kindern. Grundsätzlich ist jeder Kontakt zu anderen Professionellen sinnvoll und der Erfüllung seines Auftrages förderlich, weil er jetzt versuchen kann, sie für eine Unterstützung seines vermittelnd-intervenierenden Vorgehens zu gewinnen. Wie weit dabei die Zusammenarbeit geht, ist vom Einzelfall, vom einzelnen Gutachter und von den konkreten Umständen, unter denen er arbeitet, abhängig. So viel Interdisziplinarität wie möglich und nötig, kann ein Motto sachverständiger Kooperation im Familienrecht sein.
 
 
 

 
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