FamRz 1989,Heft8,
Vertrauensgrenzen des psychologischen Gutachtens im Familienrechtsverfahren
Prof. Dr. rer.nat. Wolfgang Klenner, Oerlinghausen

 

I. die Zuverlässigkeit des psychologischen Gutachtens als forensisches Problem


Die Mitwirkung des Psychologen im Familienrechtsverfahren ist da geboten, wo die Entscheidung über den Verbleib der Kinder von getrennt lebenden und Scheidungswilligen Eltern nicht ohne sachkundige Hilfe getroffen werden kann. Die dazugehörige Regelung der elterlichen Sorge ist zwar ein Rechtsakt, jedoch als Akt der Gerechtigkeit ist er das Ergebnis angewandter Menschenkenntnis, im Zweifel der wissenschaftlich begründeten Menschenkenntnis, welche die Psychologie zur Verfügung stellt. Sie ist eine verfeinerte Form der allgemeinen Menschenkenntnis, über die ein jeder, weil er sich selbst als Mensch erlebt, verfügt.

Nun haben die Beteiligten, und mit Ihnen die Prozessbevollmächtigten, ein moralisches Anrecht darauf, sich zu vergewissern, ob dabei alles einwandfrei zugegangen ist. Dazu kann einmal überprüft werden, ob alles richtig gemacht wurde. Das kann mit demselben Ergebnis auch andersherum geschehen, indem das Verfahren auf mögliche Fehler überprüft wird. Sind keine Fehler zu finden, ist auch nichts falsch, sondern alles richtig gemacht worden. Wir bedienen uns hier der zweiten, leichter zu handhabenden Weise mittels eines Fehlererkennungssystems. Die zugrunde liegenden Fakten stammen aus der Praxis familiengerichtlicher Psychologie und aus der Qualitativen Analyse einer Stichprobe fehlerhafter Gutachten. 

Wegen des Gebots der Rechtssicherheit für die unmittelbar Betroffenen befassen wir uns mit den Vertragsgrenzen psychologischer Untersuchungsergebnisse. Im engeren Sinne markieren die Vertrauensgrenzen (confidential limits, abgekürzt CL)  statistische Grenzwerte. Im Familienrechtsverfahren erfüllt das psychologische Gutachten seine Aufgabe ebenfalls innerhalb bestimmter Vertrauensgrenzen. Sie ergeben sich zum einen aus der Monopolstellung des Sachverständigen vor Gericht, von den übrigen Verfahrensbeteiligten kann er in der Regel nicht kontrolliert werden. Zum anderen wird die Vertrauensgrenze da erreicht, wo die Zuverlässigkeit der Untersuchungsergebnisse so weit eingeschränkt ist, dass sie nicht mehr beweiserheblich sind.

dass wir uns mit solchen Einschränkungen befassen müssen, hat seinen Grund nicht in dem hohen Qualitätsanspruch, der an ein als Entscheidungshilfe des Gerichts vorgesehenes psychologisches Sachverständigengutachten zu stellen ist, sondern auch darin, dass diese Form der Begutachtung zu den schwierigsten Aufgaben der Psychodiagnostik gehört. Da muss man verstehen, dass mancher Gutachter an seine Leistungsgrenze stößt. Fazit: je höher der Schwierigkeitsgrad, um so höher die Fehlerwahrscheinlichkeit. Darum brauchen wir das Fehlererkennungssystem als eine Art Verbraucherschutz.

II. Über die Bedeutung des psychologischen Sachverständigen

Der psychologische Sachverständige soll diejenigen Tatsachen erforschen, die das Gericht auf Grund seiner allgemeinen oder sogenannten vorwissenschaftlichen Menschenkenntnis von sich aus nicht ermitteln kann und die allein Antwort auf die vom Gericht gestellte Beweisfrage geben könnte. Die rechtliche Bewertung dieser Tatsachen obliegt dann aber dem Familiengericht. Denn als Gehilfe des Gerichts nach §§404 und 405 ZPO ist der Sachverständige zwar so etwas wie die rechte Hand des Richters, er wird dadurch aber nicht zum Nebenrichter.

Beim Kampf der Eltern ums Kind wird dem psychologischen Sachverständigen oft die Rolle eines Schiedsrichters zugeschoben. Nach gegenseitig erhobenen Vorwürfen soll er entscheiden, wer mehr oder weniger gut für die Erziehung des Kindes geeignet ist. Davon abgesehen das eine darin liegende Bewertung der Eltern. Sache des Gerits ist, geht die psychologische Methode ganz anders vor. Sie setzt den beim Kind und seinen Eltern vorgefundenen Seelenzustand mit der ebenfalls gegenwärtigen Situation der Familie in Beziehung. Als Situation gilt die Gesamtheit der Bedingung, unter denen die Familie oder einzelne ihrer Mitglieder agieren und reagieren. Auf diese Weise ergibt sich ein System zwischenmenschlicher Beziehungen mit den darin wirkenden familienerhaltenden systemstabilisierenden und den auf Veränderungen abzielenden, destabilisierenden Tendenzen. Der Psychologe erforscht also das hinter dem symptomatisch Erfassbaren stehende Eigentliche, aus dem die auf die Familienkonstellation konstruktiv oder destruktiv wirkenden Impulse aufsteigen.

Meistens sollen Vorgehen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen auch für den Nichtpsychologen nachvollziehbar und einsichtig sein. Dies ist allerdings keine so hohe Forderung, wie sie angesichts der Tragweite der anstehenden Entscheidungen und des Schwierigkeitsgrades familienpsychologischer Diagnostik eigentlich erhoben werden müsste. Darum ist die Vertrautheit des Gerichts mit den Untersuchungsstandards und den häufigsten Untersuchungsfehlern psychologischer Gutachten im Familienrechtsverfahren wünschenswert. Denn, ebenso wie - wenn dieser Vergleich hier einmal erlaubt ist - nicht jeder Dr. med ein guter Arzt ist, ist auch nicht jeder Diplom-Psychologe, sei er Doktor oder gar Professor, ein guter Menschenkenner.

Ist der psychologische Sachverständige aber doch ein guter Menschenkenner, weiß er an Hand der wissenschaftlichen Erkenntnismittel die zwischenmenschlichen Beziehungen von Eltern und Kindern erkennbar zu machen und die menschlichen Hintergründe aufzudecken, so dass zu verstehen ist, warum die einzelnen Familienmitglieder sich nur so und nicht anders verhalten können. Als beweiserhebliche Tatsache und unmittelbare Entscheidungshilfe sind schließlich seine Untersuchungsergebnisse zum Kindeswohl als die "am wenigstens schädliche Alternative zum Schutz von Wachstum und Entwicklung des Kindes" (1) zu werten.

Mit der im Gutachten formulierten, per Diagnose erarbeiteten Entscheidungshilfe endet in der Regel die psychologische Mitwirkung im Familienrechtsverfahren. Zuweilen wird der Psychologe aber nachher noch außergerichtlich von der betroffenen Familie zwecks Beratung oder Therapie in Anspruch genommen.

III. Vertrauensgrenzen psychologischer Untersuchungen

Ein annehmbares psychologisches Sachverständigengutachten soll als wissenschaftliche Leistung zu erkennen sein Dazu muss es mindestens bestimmte Standards erfüllen und darf keine Mängel aufweisen sonst werden die Vertrauensgrenzen das Gutachtens berührt. Erst Ihre Bestimmung im einzelnen lässt ermessen, ob das psychologische Gutachten, das wegen der Begrenztheit menschlichen Erkennens nicht schon von sich aus wahr sein kann, den hohen Anspruch auf Wahrscheinlichkeit und damit Annäherung an die Wahrheit erfüllt,
damit es vom Gericht, bei dem es ja um die Wahrheit geht, in den Rang einer bewiesenen Tatsache erhoben werden kann. Das setzt allerdings voraus, dass der Sachverständige das im Sinne der Rechtssicherheit unerwünschte Monopol durch das Gegengewicht einer Kontrolle vertiert, die in der Überprüfung der Zuverlässigkeit des Gutachtens an Hand der formalen Merkmale besteht. Im engeren Sinne gehört die Zuverlässigkeit (reliability) zu den Gütekriterien psychodiagnostischer Tests. Den darin enthaltenen Grundgedanken wenden wir hier auf das ganze Gutachten an, indem wir die Zuverlässigkeit an Hand

1. der Standards psychologischer Untersuchungen und

2. einer Mängelliste der am häufigsten auftretenden Untersuchungsfehler 1. und 2 Grades kontrollieren.

Der Mängelliste liegen eis empirische» Material psychologische Sachverständigengutachten zugrunde, die mir als Zweit- oder Obergutachter In die Hände kamen oder die mir von betroffenen Müttern und Vätern zugesandt wurden. Es handelt sich um bereits im Geschäftsgang der Gerichtsbarkeit befindliche Gutachten, deren Mängel unerkannt blieben.

Anhand der Standards und der Mängelliste soll die Zuverlässigkeit der Untersuchungsergebnisse überprüft werden können. Gegebenenfalls ist dann vom 
Sachverständigen eine Klarstellung und Nachbesserung Innerhalb einer Mängelgewähr analog § 633 II S. 1 BGB zu fordern. Für den seriös arbeitenden Psychologen ist es eine Selbstverständlichkeit, sich auch kritisch befragen zu lassen, und die ihm unterlaufenen Fehler zu korrigieren. Das steht im übrigen Im Einklang mit den Berufsethischen Verpflichtungen für Psychologen des Berufsverbandes Deutscher Psychologen (BDP) (2) 
Das Fehlererkennungssystem orientiert sich an dem erkenntnisleitenden Interesse

des Lesers an der Antwort auf die Beweisfrage und umfasst, um anwendungsfreundlich zu sein, die allein aus dem Text eines Gutachtens erkennbaren Fehlerquellen.

A. über Untersuchungsstandards der familiengerichtlichen Psychologie

Die familiengerichtliche Psychologie Ist ein Teilgebiet der forensischen Psychologie. Weil die Tatbestandsfeststellung von vorrangigem gerichtlichen Interesse ist, hat sie ihren Schwerpunkt bei der Psychodiagnostik. Die dabei gewonnene wissenschaftlich begründete Menschenkenntnis macht, besonders bei den bis zuletzt streitigen Folien, oft erst ein gerechtes Urteil per Gerichtsbeschluss möglich. Darüber hinaus liefert das Ergebnis der psychologischen Diagnostik auch den Ausblick auf eine notwendige, daran anschließende Beratung oder Behandlung.

Das hier zur Überprüfung eines Gutachtens eingesetzte Raster der Standards ist nur für psychologische Sachverständigengutachten im Familienrechtsverfahren anzuwenden. Andere Fragestellungen verlangen andere Standards Der Sachlogik bei der Gliederung des Gutachtentextes folgend, gibt die Reihenfolge der Standards die optimale Gliederung des Gutachtens wieder Weil darüber aber keine bindender Vorschriften bestehen, sind andere Reihenfolgen zulässig

Die acht Standards psychologischer Gutachten im Familienrechtsverfahren

Die Standards gehören zum Mindestumfang einer wissenschaftlichen Leistung, so dass sie an Hand des jeweils vorangestellten Stichwortes im Gutachtentext vorzufinden sein sollen Ihre Reinenfolge gibt zugleich die optimale und, well sachlogisch aufgebaut, die am leichtesten lesbare Gliederung eines Gutachtens wieder. Zu federn der Standards ist. mit Ausnahme der Beweisfrage. außerdem ein Inventar der kennzeichnenden Merkmale angegeben.

1. Beweisfrage

Die im Beweisbeschluss des Familiengerichts enthaltene Beweisfrage nach § 403 ZPO bezieht sich in der Regel auf die dem Gericht für eine Beschlussbegründung noch fehlenden beweiserheblichen Tatsachen. Mit dem Beweisbeschluss wird dem Sachverständigen Auffraß und Rechtstitel zur Durchführung der psychologischen Untersuchungen erteilt. Die Beweisfrage ist wörtlich und mit Quellenangabe zu zitieren.

2. Untersuchungsverlauf

In chronologischer Reihenfolge werden angegeben
 

- Name und Familienposition der untersuchten Person. die angewandten Untersuchungsverfahren,
- Ort (Hausbesuche!) und Zeit der Untersuchung.


Dieses Vorgehen ist aus der Versuchsanordnung des naturwissenschaftlichen Experiments abgeleitet Es dient dem Nachvoltzug des Untersuchungsverlaufs und soll gegebenenfalls eine Wiederholungsuntersuchung zwecks Kontrolle unter genau denselben Bedingungen möglich machen. Kontrollen erhöhen die Zuverlässigkeit der Ergebnisse

3. Familienkonstellation
 

- Vorgeschichte und aktuelle Situation der Familie sind unter psychologischem Aspekt dargestellt,
- entweder auf der Grundlage der Bindungstheorie durch die Beschreibung der gefühlsmäßigen Neigungen von Eltern und Kindern zueinander
- und/oder auf Grund der Analyse der familiären Beziehungsstrukturen mitsamt den darin wirkenden stabilisierenden wie destabilisierenden Momenten im Sinne eines Systems zwischenmenschlicher Beziehungen.
- Ein bloßes, seitenfüllendes Abschreiben der Gerichtsakten Ist keine wissenschafts-psychologische Leistung und genügt deswegen nicht


Die psychische Situation des einzelnen in der Familie und das Maß seiner existentiellen Betroffenheit von dem gerichtsbekannten Streitgegenstand ist nur auf dem Hintergrunde der gesamten Familiensituation zu verstehen Dieser für eine wissenschaftlich begründete Beantwortung der Beweisfrage unverzichtbare ganzheitlich-systemische Aspekt kommt der Wahrheit näher als die von der gesamten Familienkonstellation isolierte Darstellung der Bindungen des Kindes an den einen und an den anderen Elternteil

4. Die psychosoziale Situation des Kindes/der Kinder und Kindeswohlorientierung 
Angegeben werden
 

- das Lebensalter (LA) nach Jahren, Monaten und Tagen zur Zeit der letzten psychologischen Untersuchung,
- die Synopse von Lebensalter des Kindes und Zelt oder Datum eines die Entwicklung beeinträchtigenden Ereignisses:
- das seelisch-geistige Entwicklungsalter (EA) des Kindes;
- Merkmale der kindlichen Persönlichkeit, z. B. psychische Belastbarkeit. Sozialisation, Begabungen und Interessen;
- die Bindungen und/oder Nichtbindungen des Kindes an seine Eltern, gegebenenfalls an seine Geschwister oder weitere Bezugspersonen;
- die Position des Kinde« in der Familie, gegebenenfalls In der Geschwisterreihe;
- Kindergarten- oder Schulsituation des Kindes;
- körperliche und/oder seelische Leiden des Kindes.


Dieses umfangreiche Inventar spiegelt die dem Kindeswohl zugemessene Bedeutung wieder. Dabei lassen die Lebensaltersangaben Schlüsse auf das kindliche Verhalten nach der Elterntrennung zu. Aus dar kindlichen Biographie ergeben sich entscheidungsrelevante Hinweise auf eine mögliche Beeinträchtigung der Entwicklung, die gegebenenfalls von einem hinter dem Lebensalter zurückstehenden Entwicklungsalter bestätigt wird Denn erst die Feststellungen über das Verhältnis des Entwicklungsalters zum Lebensalter lassen eine sachgerechte psychologische Interpretation der übrigen Inventarpunkte zu.

5. Die existentielle Situation der Kindeseltern

Hier stellen sich folgende Fragen:
 

- wer die Trennung herbeiführte;
- ihre Beziehung zueinander, erkennbar an: Kooperation und Kommunikation -Verzicht auf eine starre Umgangsregelung 
- konfliktneutralisierende (nicht schon konfliktlösende) Trennung von Ehekonflikt und gemeinsamer Eltemschaft
- Chancen fürs gemeinsames Sorgerecht - Konfrontation 
- Kampf ums Kind;
- Motivationen ihrer Einstellung und Ihres Verhaltens zueinander und zu Ihrem Kinde, erkennbar en' Zuneigung Opferbereitschaft - Ablehnung • Krankung - Hass -Enttäuschung - Resignation;
- Zukunftsperspektiven, eigene und die des Kindes. 
- Gründe, welche die erzieherische Eignung einschränken oder verneinen lassen.


Den ihrer intakten Familie beraubten Kindern können am ehesten die eigenen Eltern über den Verlust hinweghelfen. Damit den Eltern von Rechts wegen ihre Rolle als sorgeberechtigter oder nichtsorgeberechtigter Elternteil oder innerhalb des gemeinsamen Sorgerechts zugewiesen werden kann, müssen wir ihre existenzielle Situation kennen

6. Beachtung pathologischer Erscheinungen

Bei Kindern wird der Schwerpunkt auf Erkrankungen In der frühen Kindheit zwischen Geburt und 3 Geburtstag gelegt, deren Folgen eine Verzögerung von Wachstum und Entwicklung sowie eine allgemein verringerte Belastbarkeit nach sich ziehen
 

- Bei den Eltern und anderen Bezugspersonen des Kindes ist zu unterscheiden: Körperlich-organische Leiden bedeuten nicht zwangsläufig eine Erziehungsunfähigkeit des Erwachsenen.
- Psychopathologische Erscheinungen wie Neurosen. Psychopathien und Psychosen beanspruchen das Bewusstsein und die Emotionalität des Erwachsenen meistens so sehr. dass ihm keine psychische Energie zur Wahrnehmung seiner Aufgabe als Erzieher seines Kindes übrigbleibt. Ausnahmen davon sind nicht häufig
- Eine besondere Gruppe pathologischer Erscheinungen bilden diejenigen Leiden, die nach der Anamnese erst seit dem Aufbrechen des Ehekonfliktes oder auf den Konflikt folgend auftreten und unter denen psychosomalische Leiden an erster Stelle stehen. Sie werden unter dem Begriff "Scheidungsbedingte Pathologie" zusammengefasst. Wegen Ihrer Bedeutung widmen wir dieser Erscheinung ein eigenes Kapitel.


Die Beachtung pathologischer Erscheinungen kommt bei vielen psychologischen Gutachten zu kurz. weil oft vorschnell psychologisiert wird. Manches auffällige Verhalten bei Kindern und Erwachsenen lässt sich erst beurteilen, nachdem abgeklärt wurde, ob ein körperliches Leiden oder eine Störung der Organfunktion mitbeteiligt oder gar die Ursache ist. Dazu kann es erforderlich werden, zusätzlich einen medizinischen Sachverständigen hinzuzuziehen.

7. Diskussion der Untersuchungsergebnisse und Hinführung zur Antwort auf die Beweisfrage
 

- Herausarbeitung und Begründung der sich dem Familiengericht aus psychologischer Sicht darbietenden Entscheidungsalternativen mitsamt deren Konsequenzen für Eltern und Kinder; dabei 
- Diskussion der gemeinsamen elterlichen Sorge.
- Zur Begründung werden die Bindungen des Kindes an seine Eltern und umgekehrt wie auch die Auswirkungen der einzelnen Lösungen auf die zwischenmenschlichen Beziehungen unter dem systemischen Aspekt der Familie erörtert.


Unter Ziff. 3 wird das formale Gerüst (Struktur) der familiären Beziehungen erfasst Hier, nach Abschluss der Untersuchungen, wird diese formale Struktur von Interpretationen der Untersuchungsergebnisse ausgefüllt, die als inhaltliche Aussage in die Antwort auf die Beweisfrage einfließen

8. Antwort auf die Beweisfrage
 

- Die Antwort bezieht sich ausdrücklich auf die Beweisfrage;
- die sich äug psychologischer Sicht darstellende "am wenigsten schädliche Alternative" wird herausgearbeitet.
- gegebenenfalls enthält die Antwort auf die Beweisfrage Empfehlungen für den Umgang des Kindes mit dem nicht sorgeberechtigten Elterteil,
- gegebenenfalls gibt die Antwort Hinweis® auf die Inanspruchnahme Dritter,
z. B. Einrichtung einer Vormundschaft.


Die Antwort auf die Beweisfrage ist der Hauptzweck, weswegen der Sachverständige bestellt wurde. Sie soll dem Familiengericht, insbesondere bei den beim Kampf ums Kind bis zuletzt streitigen Fällen, die noch fehlenden entscheidungsrelevanten und beweiserheblichen Tatsachen liefern.

Der zu überprüfende Gutachtentext sollte die vorstehenden acht Standards erkennen lassen Fehlende Standards gelten als Mangel. Was von dem in Spiegelstrichen angeordneten jeweiligen Inventar unverzichtbar Ist, kehrt in der nachfolgenden Mängelliste wieder.

B. Mängelliste der am häufigsten auftretenden Untersuchungsfehler

Die Überprüfung der von den Untersuchungsfehlern 1. und 2. Grade» abgesteckten Vertrauensgrenze zeigt an, ob die Zuverlässigkeit dar Untersuchungsergebnisse soweit eingeschränkt ist, dass man sich nicht mehr darauf verlassen kann. Es sind nur solche Untersuchungsfehler aufgeführt, die aus dem Gutachtentext heraus erkannt werden können.

Bei Untersuchungsfehlern 1. Grades kann nicht mehr von einer wissenschaftlich exakten Leistung gesprochen werden; das Gutachten ist nicht zuverlässig, Liegen Untersuchungsfehler 2. Grades vor, kann die Zuverlässigkeit der Ergebnisse immerhin noch durch Nachbesserung innerhalb der Mängelgewähr hergestellt werden.

Untersuchungsfehler 1. Grades

Wird diese Fehlerart angetroffen, ist das Gutachten zu verwerfen. Es ist davon auszugehen. der Sachverständige habe damit bereits seine Bestleistung erbracht. mehr sei von ihm nicht zu erwarten. Die zur Fehlerberichtigung erforderliche andere Konzeption des Textes setzt in der Regel ein neues Sachverständigengutachten nach § 412 ZPO voraus.
 

1 Zwischen Beweisfrage und Antwort gibt der Text lediglich das Verhalten und das Aussageprotokoll der untersuchten Personen wieder, verbunden mit eingestreuten Bewertungen - oft Unzutreffenderweise als "Befund" bezeichnet -, um danach unvermittelt die Empfehlungen zu geben.
Wegen der fehlenden psychologischen Interpretation ist dieser Gutachtenabschnitt unerheblich, je mehr Tatsachen mitgeteilt werden, die nichts mit der Beweisfrage zu tun haben, um so weniger ist dem Sachverständigen zuzutrauen, er könne den Kern des Familienproblems erfassen. Außerdem begibt sich ein Sachverständiger, der schriftlich ausplaudert, was ihm bet seinen Explorationsgesprächen zu Ohren kam, in die Gefahr, mit § 203 StGB zu kollidieren Dieser Fehler ist die Kehrseite der Standards 3 bis 6
2. Angewandte psychodiagnostische Tests sind zwar nach Maß und Zahl ausgewertet, aber eine Erklärung, was die Testergebnisse bedeuten (Test-Interpretation), fehlt. Oft stehen die Tests isoliert und zusammenhangslos im Text, der auf den Leser den Eindruck von etwas Zusammengestückeltem macht. Dieser Fehler ist die Kehrseite von Standard 2
3 Nichtbeachtung von Wachstums- und Entwicklungsstand In der psychologischen Begutachtung des Kindes.
So selbstverständlich notwendig die Bestimmung der Position des Kindes zwischen den Eltern oder auch den übrigen Familienmitgliedern an Hand seiner jeweiligen Beziehungen ist (gegenwärtig aktueller Aspekt), so notwendig ist die Diagnose der kindlichen Entwicklung (ontogenetischer Aspekt) Denn das Entwicklungsalter (EA) in Verbindung mit der kindlichen Biographie gibt erste Hinweise darauf ob sich die familiäre Situation schon nachteilig auf die Entwicklung ausgewirkt hat oder ob andere Einflüsse, z. B durchgemachte Krankheiten, anzunehmen sind Dieser Fehler Ist die Kehrseite von Standard 4
4 Statt wissenschaftspsychologisch begründeter Tatsachen gibt der Gutachtentext persönliche, subjektive Eindrücke. Meinungen oder Deutungen des Sachverständigen wieder.


In die gutachterlichen Schlussfolgerungen aus den Untersuchungen gehen, als Fehlererkennungsmerkmal, solche Floskeln ein wie ".. habe den Eindruck .", "nach meiner Meinung ..." oder".. bin überzeugt, dass ...". Weil der Sachverständige nicht Prozessbeteiligter ist, werden nicht seine Meinungen zu dem Rechtsverfahren erwartet, sondern der Wahrheitsfindung dienende beweisrelevante Tatsachen Dieser Fehler ist die Kehrseite von Standard 7.

Untersuchungsfehler 2. Grades

Diese Fehlerart kann durch Nachbesserung berichtigt werden. Anders als bei den Untersuchungsfehlern 1. Grades ist kein neues Gutachten erforderlich. Gehen allerdings die unberichtigten Fehler 2. Grades In die Schlussfolgerung des Gutachtens mit ein, ist auch dessen Zuverlässigkeit in Frage gestellt.
 

1. An Stelle der psychologischen Aspekte der aktuellen Familiensituation werden Schriftsätze aus den Gerichtsakten wiederholt oder gar abgeschrieben.
Dabei handelt es sich um bereits gerichtsbekannte Informationen öder um solche. die das Gericht auch ohne einen Sachverständigen erlangen könnte, während die erwartete wissenschaftspsychologische Leistung ausbleibt. Dieser Fehler kollidiert mit Standard 3.
2 Aus dam Gutachtentext ist nicht zu erkennen, ob Kontrolluntersuchungen und Hausbesuche stattgefunden haben,
Kontrolluntersuchungen erhöhen die Zuverlässigkeit der Ergebnisse, indem Tagesschwankungen ausgeschlossen werden. Hausbesuche erfolgen nicht nur zwecks Milieuerkundung, sondern um die Untersuchungsbedingungen möglichst angstfrei zu halten, was bei Eltern und Kindern in ihrem Zuhause eher gelingt als In dar psychologischen Praxis Dieser Fehler kollidiert mit Standard 2.
3. Das Gutachten bringt - meistens gegen Ende des Textes " Thesen ohne Begründung,
Eine als wissenschaftlich geltende Aussage (These) ist soviel wert wie ihre Begründung. Zuweilen ist es möglich, die Begründung der Thesen aus dem übrigen Gutachtentext Zusammenzusuchen - eine unzumutbare Forderung Dieser Fehler kollidiert mit Standard 7
In dem Text sind die aus psychologischer Sicht zur Wahl stehenden Alternativen "zum Schutz von Wachstum und Entwicklung des Kindes" (Goldstern u. a, {2a) nicht herausgearbeitet
Damit verfehlt das Gutachten seine Aufgabe als Entscheidungshilfe. Meistens ist es vorzeitig Im Stadium der Hypothesenbildung abgeschlossen. Dieser Fehler kollidiert mit Standard 7
5, Die in die Antwort auf die Beweisfrage eingehenden Empfehlungen werden allein auf die Bindungen des Kindes in den Zweierbeziehungen zu Eltern, Geschwistern oder weiteren Beteiligten reduziert, unter Vernachlässigung der Konsequenzen für die ganze Familie.
Nach heutiger psychologischer Erkenntnis bedarf die der Psychoanalyse entstammende Bindungstheorie der Ergänzung durch die der Ganzheitspsychologie nahestehende Systemtheorie. Auf den akademischen Streit von Bindungstheorie und systemischer Sicht, auf der einen Seite vertreten durch Lempp und auf der anderen Seite durch Fthenakis (2b) wollen wir uns gar nicht erst einlassen. Denn Bindungen und familiäres System zwischenmenschlicher Beziehungen sind so ineinander verschachtelt, dass das, was einem Teil widerfährt, das Ganze berührt. Ober das Ziel ist allerdings hinausgeschossen worden, wenn statt einer gerichtlichen Entscheidung eine Familientherapie empfohlen wird. Familientherapie ist nur da angezeigt, wo noch soviel Innerer Zusammenhalt blieb, dass für alle Angehörigen das Zusammenbleiben und das allen Gemeinsame unaufgebbares Ziel ist. Und gerade das Ist bei der im Auseinanderfallen begriffenen Familie nicht mehr gegeben, weil sie den Umkehrpunkt durch die irreversible Ehezerrüttung der Eltern bereits hinter sich gelassen hat. Dieser Fehler kollidiert mit Standard 3 und 7
6. Der Gutachtentext gibt eine Antwort ohne Bezug auf die Beweisfrage. Zuweilen sind es auch Antworten auf nicht gestellte Fragen, so dass der Gutachtenzweck verfehlt wird. Dieser Fehler kollidiert mit Standard 8.


IV. Fehlerauswertung

Bei der Auswertung werden zweckmäßigerweise zuerst die acht Standards an Hand der Gliederung des Gutachtentextes überprüft Dabei ist, wenn alle Standards erfüllt sind, eine andere Reihenfolge (Gliederung) auf Grund der Freiheit des Sachverständigen bei der Textgestaltung zu tolerieren. Nicht erfüllte Standards werden vermerkt und den Untersuchungsfehlern 1. und 2 Grades zugeschlagen,

In einem zweiten Schritt wird der Text auf die vier Untersuchungsfehler 1 Grades überprüft. Dabei wird sich als Kontrolle ergeben, dass ein jeder Fehler bereits durch die Nichterfüllung einzelner Standards angezeigt wurde.

Ein solches fehlerhaftes Gutachten, wollte man es als Entscheidungshilfe verwenden, würde sich als höchst unzuverlässiges Beweismittel erweisen

Drittens wird der Gutachtentext auf Untersuchungsfehler 2. Grades überprüft. Wo sie aufgefunden werden, sollte der Sachverständige zur Nachbesserung aufgefordert werden Denn diese Fehler sind nicht etwa weniger schwerwiegend, sie lassen sich lediglich korrigieren, ohne das Gutachten völlig neu konzipieren zu müssen. Ohne Nachbesserung Ist ein solches Gutachten allerdings nicht brauchbar

V. Weitere psychologische Aspekte

Anders als die für das richterliche Urteil innerhalb der Vertrauensgrenzen liegenden relevanten Untersuchungsergebnisse stecken weitere, aus dem Gutachtentext nicht ohne weiteres hervorgehende Fakten den Orientierungsrahmen ab. Innerhalb dessen sich. ohne dass ausdrücklich darauf Bezug genommen werden muss, die im Familienrechtsverfahren anzuwendende psychologische Methode entfaltet.

A. Das Kindeswohl als universale Kategorie

Die Bewertung des Kindeswohls als "universale Kategorie" ist von Simitis besonders hervorgehoben worden (3). Damit soll ausgesagt werden, dass die uns vorschwebende Idee vom Wohl des Kindes, hier trotz des Zerialtens seiner Ursprungsfamilie, Richtschnur aller familienrechtlichen und damit auch der psychologischen Bemühungen sein soll. Nach der von Goldstam u a gegebenen Interpretation bedeutet Kindeswohl die "am wenigsten schädliche Alternative zum Schutz von Wachstum und Entwicklung" bei Beachtung der emotionalen Bindungen ^und der Förderung des Kindes sowie der Kontinuität und Stabilität seiner Lebensbedingungen.

B. Über die erzieherische Eignung

In den psychologischen Sachverständigengutachten finden sind Immer wieder Aussagen über die Eignung der Eltern zur Erziehung ihres Kindes, Dia Vorstellung, eine positiv zu konstatierende erzieherische Eignung der Kindeseltern ließe sich als entscheidendes Kriterium feststellen, hat In der Tat etwas Bestechendes für sich.

Unausgesprochen wird dabei von der Fiktion ausgegangen. beide Elternteile verfügten über eine graduell unterschiedliche erzieherische  Eignung, und dies ließe sich auch noch mit der wissenschaftlich gebotenen Exaktheit diagnostizieren leider haben wir aber keine speziell für die erzieherische Eignung geeichten psychologischen Untersuchungsverfahren. Darum sind Aussagen über ein Mehr oder Weniger an erzieherischer Eignung bei den Kindeseltern Extrapolationen anderer Untersuchungsergebnisse, also nicht exakt, wenn sie nicht gar subjektive Meinungen und Deutungen sind. So bleibt nur, bis zum Beweis des Gegenteils beide Kindeselternteile als zur Erziehung Ihres Kindes geeignet anzusehen.

Solch einen Erweis des Gegenteils kann uns die "Methode der ausschließenden Fälle" bringen. Danach ist es uns möglich, mit der Wissenschaftlich gebotenen Exaktheit zu bestimmen, ob ein Elternteil aus Gründen, die in seiner Person oder seinen Lebensumstanden liegen, an der Wahrnehmung der elterlichen Sorge gehindert wird. so dass sie einzuschränken oder auszuschließen ist.

C. Zum gemeinsamen Sorgerecht nach der Ehescheidung

Die Möglichkeit gemeinsamer elterlicher Sorge nach der Ehescheidung beruht auf dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3,11 1982 (FamRZ 1982. 1179). Wegen der Bedingung, beide Elternteile müssten willens und geeignet sein, die Elternverantwortung zum Wohle des Kindes weiterhin zusammen zu tragen, wird bisher nur vereinzelt in diesem Sinne entschieden. Dennoch hat der Psychologe für die gemeinsame elterliche Sorge viel Sympathie übrig. Für ihn steht das durch die Trennung und Scheidung seines intakten Zuhauses unschuldig beraubte Kind im Mittelpunkt seines erkenntnis- und handlungsleitenden Interesses Das Kind ist nicht von seinen Eltern geschieden worden. Darum soll ihm soviel an Familiensubstanz erhalten bleiben wie irgend möglich. Und das Ist eher zu erwarten, wenn das während der gemeinsamen Ehezeit der Eltern geltende gemeinsame Sorgerecht über Elterntrennung und -Scheidung hinaus erhallen bleibt.

Bei dieser Argumentation setzen wir voraus, das aufwachsende Kind sei auf beide Elternteile angewiesen und deren Rollen könnten nicht beliebig anders besetzt werden Andere Vorstellungen, die die Familie sogar für eine überholte Einrichtung halten, lassen wir beiseite, Sie können nicht einmal von dar Verhaltenslehre (Ethologie) dar Tierpsychologie bestätigt werden, um so weniger von der Humanpsychologie. 

Sollte das gemeinsame Sorgerecht in der jetzigen Form als Regelfall eingeführt werden, entfiele zwar die Entscheidungshilfe durch den psychologischen Sachverständigen, gleichzeitig aber verlagerte steh die Entscheidungsproblematik auf eine andere Ebene, nämlich dann, wenn trotzdem weiter darum gestritten wird, wer über das Kind zu bestimmen hat. Für den psychologischen Gerichtssachverständigen wäre damit eine völlig neue Auftragslage gegeben. Musste er bisher nach der Treffermethode, also Im positiven Sinne, denjenigen Elternteil ausfindig machen, dem die elterliche Sorge übertragen werden kann. hat ersetzt nach dem Prinzip der ausschließenden Fälle im negativen Sinne denjenigen
Elternteil auszumachen, der dem Anspruch der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht 
gewachsen Ist. Hierbei dürfte die Im nächsten Kapitel zu erörternde scheidungsbedingte Pathologie besondere Beachtung finden,

Aus psychologischer Sicht wäre die gemeinsame elterliche Sorge nach der Ehescheidung als Regelfall zu begrüßen, würde doch der von vielen empfundenen rechtlichen Diskriminierung, die Unfähigkeit als Mutter oder Vater auch noch schwarz auf weiß In Händen zu halten, der Boden und damit wenigstens ein Konfliktstoff entzogen. Von Rechts wegen handelt es sich dabei Im Grunde um eine Nichtentscheidung. bei der den Eltern der mit der einseitigen Verteilung der elterlichen Sorge verbundene, allerdings selbstverursachte Rechtsverlust erspart bleib) Weil das Kind aber dennoch nur bei einem Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt nehmen kann, müsste die gemeinsame elterliche Sorge zur Sicherung des Rechtsfriedens ausgebaut werden, etwa nach dem Kalifornischen Modell, das ein rechtliches vom leiblichen Sorgerecht unterscheidet (Legal Custody & Physical Custody) (4} Die rechtliche Gleichstellung der Eltern wurde eine Entspannung ihres
Konfliktes erwarten lassen, weil eine Einigung über die verbleibenden alltäglichen Belange des Kindes mehr praktischer Art sein und weniger das Selbstbewusstsein der Mütter und Väter tangieren würde

D. Über die scheidungsbedingte Pathologie

Die Familiengerichte erfahren nur zufällig und die ihnen zuarbeitenden Sachverständigen sehen viel zu wenig, welche persönlichen Folgen der Ausgang eines Familienrechtsverfahrens für die Beteiligten hat. So entgeht Ihnen auch, wie viele Menschen dadurch erst aus ihrer Bahn geworfen werden oder sogar erkranken Diese "scheidungsbedingte Pathologie", deren wissenschaftliche Erforschung bei uns. im Unterschied zu den angelsächsischen Ländern, noch In den Kinderschuhen steckt, bedarf, um nicht zu falschen Schlüssen zu gelangen, einer differenzierten Betrachtung,

Man könnte meinen, es handele sich dabei um eine spezifische Erkrankung mit der Ehezerrüttung als Ursache Tatsächlich sagt der Begriff "scheidungsbedingte Pathologie" aber nicht mehr aus als das zeitliche Zusammentreffen von Ehekonflikt und Erkrankung.

Zu beobachten sind psychopathologische Erscheinungen, darunter hauptsächlich depressive Verstimmungen verschiedenen Grades bis hin zur akuten Suizidgefährdung, die oft die als Kübler-Ross-Phänomen bezeichneten, bei der Begleitung von Sterbenden zu beobachtenden fünf Phasen von der Abwehr bis zur Hinnähme der existentiellen Vernichtung erkennen lassen. Nicht weniger häufig sind psychosomalische Erkrankungen, bei denen die Familienkatastrophe zum pathogenen Distreß (H. Safye) wurde. Das körperliche Immunsystem Ist dann so sehr geschwächt, dass Krankheitserreger leichtes Spiel haben, die Funktion von Organen zu stören. Davon zu unterscheiden sind diejenigen Krankheiten, deren Pathogenesse in die Zelt der intakten Ehe zurückreicht. Diese Krankheitszustände können sich allerdings durch die Zerrüttung der Ehe verschlechtern oder, wo sie bereits als geheilt erschienen, erneut auftreten.

E. Rechtsfrieden versus Seelenfrieden

Entscheidungen des Familiengerichts bedürfen der Menschenkenntnis, zuweilen der von einem psychologischen Sachverständigen herbeizubringenden wissenschaftlich begründeten Menschenkenntnis. Hierbei begegnen sich Gericht und Psychologe zwar In der Frage nach dem Kindeswohl, im übrigen werden sie aber in verschiedenen Bezugssystemen tätig.

Das im streitigen Falle zur Entscheidung angerufene Familiengericht hat den Rechtsfrieden wiederherzustellen, d. h. einen Rechtszustand herbeizuführen, der die weitere Inanspruchnahme von Rechtsbehelfen entbehrlich macht. Dies kann erreicht werden, wenn die Beteiligten die richterliche Entscheidung annehmen. Machen sie hingegen lediglich ein Zugeständnis, ohne die Entscheidung Im Grunde zu akzeptieren, so ist nur ein Scheinfrieden zu erwarten, wie aIsbaldige Änderungsbegehren belegen

Anders verhält es sich mit dem allen Beteiligten zugute kommenden Seelenfrieden. Diesem gilt letztlich das handlungsleitende Interesse de» Psychologen an der Entdramatisierung der familiären Situation. Ansonsten sind Rechtsfrieden und Seelenfrieden zwei verschiedene Kategorien, die sowohl miteinander verbunden als fluch unabhängig voneinander sein können. Miteinander verbunden sind sie da, wo der Rechtsfrieden die rechtlich zu klärenden Hindernisse für den Seelenfrieden aus dem Wege räumt. Unabhängig voneinander sind sie da. wo die Kindeseltern von sich aus oder mit sachkundiger Hilfe imstande sind, den nur sie allein angehenden Ehekonflikt von der gemeinsamen Elternschaft zu trennen, indem sie das Kind aus ihrem Streit heraushalten.

VI. Nachwort

Der vorstehende Beitrag wurde für einen interessierten oder selbst betroffenen Leser geschrieben, der nicht selber Psychologe ist. Dennoch richtet er sich auch an den Psychologen oder an die Psychologin und besonders en diejenigen, die vom Familiengericht als Sachverständige bestellt werden Was ich hier zusammengetragen habe, fordert sie mich zu der selbstkritischen Distanz gegenüber unseren Urteil über andere Menschen auf, die einen wissenschaftlich Tätigen auszeichnen soll

Viel mehr als die übrigen Prozessbeteiligten, das Gericht, die Prozessbevollmächtigten und das Jugendamt, erfährt der psychologische Sachverständige durch seine Untersuchungen über \/order- und Hintergründe des jeweiligen Familienschicksals. Denn erst auf dem Hintergrund solcher Redundanz kann ein als Beweisfrage formulierter einzelner Sachverhalt nach dem "Figur-Grund-Gesetz" psychologisch interpretiert werden

So wird der psychologische Sachverständige zum stummen Mitwisser dessen, was Eltern und Kinder angesichts Ihrer im Auseinanderfallen begriffenen Familie im Innersten bewegt Solche Mitwisserschaft verpflichtet. lm einzelnen ist das durch die Berufsethischen Verpflichtungen für Psychologen geregelt. Angesichts der in einigen von mir gesammelten Gutachten zu beobachtenden Anleihen an einen Enthüllungsjournalismus gehört dazu noch die Noblesse, da zu schweigen, wo es uns der gerichtliche Auftrag nicht verwehrt.


aussieht und nicht beanstandet wird - müsste eigentlich als unverwertbar zurückgewiesen werden" (Rn 867).

BENDER und NACK fügen hinzu;

"Der Verteidiger sollte sich auf diese Bestimmung der RiStBV berufen, wenn Fragen der korrekten Protokollierung im Streit sind. Unklarheiten sollten zulasten der Ermittlungsbehörde gehen, die die w6rtliche Protokollierung bewirken können und auch Bollen" (Tatsachenfeststellung vor Gericht. Bd. II:

Vernehmungslehre. 2. Aufl. 1995, s. 204).

Am 29. Oktober 1993 hat in Berlin die IX. ALSBERG-Tagung des Vereins Deutsche Straf Verteidiger und des Vereins Deutscher Richterbund zur Fragwürdigkeit des Zeugenbeweises stattgefunden. Die anwesenden Richter, Staatsanwälte und Strafverteidiger haben auf dieser Tagung folgende Thesen verabschiedet:

"6. Damit das Tatgericht den Einfluss aussagepsychologisch wirksamer Umstände bei der Vernehmung im Ermittlungsverfahren überprüfen kann, ist eine unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit, gemessen an der Bedeutung der Sache, lückenlose Dokumentation der Vernehmungssituation unerlässlich. Aus diesem Grund ist insbesondere zu fordern:

Vernehmungen in Form sogenannter 'Vorgespräche' sind, solange und soweit sie nicht im Wortlaut dokumentiert werden, unzulässig.

Alle bedeutungsvollen Vernehmungen, insbesondere von Kindern und in Kapitalsachen, z. B. die Vernehmung des Beschuldigten, sind - unbeschadet der üblichen Niederschrift - auf Tonträger (in besonderen Fällen auf Video) zu dokumentieren, um gegebenenfalls bei Aufklärungsbedürfnis darauf zurückgreifen zu können" (Strafverteidiger 1994, S. 519) .

Der BGH (Beschl. v. 14. V. 1976 - 3 StR - 113/75 bei DALLINGER MDR 1976, 17) hat entschieden:

"Die Verfahrensbeteiligten brauchen (sich) aber nicht auf die Sachkunde des Gutachters und darauf verweisen zu lassen, dass er wissenschaftliche Methoden verwende, welche die von ihm gefundene Beurteilung rechtfertigen. Die Untersuchungsergebnisse von Sachverständigen können vielmehr nur dann Anerkennung finden, wenn die Methoden, mit denen sie gewonnen sind, nachprüfbar sind, sei es durch die nicht selbst sachverständigen Verfahrensbeteiligten, sei es zumindest durch andere Sachverständige desselben Fachgebietes. Anderenfalls hinge der Beweis der in Rede stehenden Tatsachen letztlich nicht von der richterlichen Überzeugungsbildung, sondern von der - möglicherweise wissenschaftlich anfechtbaren - Meinung des Sachverständigen ab."