Südwest Presse
Dienstag, 01. April 2003

SOZIALES / Kinderschutz-Kongress in Karlsruhe

Immer öfter sind Mütter die Täter

Jedes fünfte Kind in Deutschland wird Experten zufolge Opfer von Gewalt. Auf einem Kongress in Karlsruhe beraten Fachleute über ein "Netzwerk Kinderschutz".

KARLSRUHE Familiäre Gewalt gegen Kinder war lange Zeit Männersache. Zunehmend konzentriert sich die Forschung jedoch auf die Mütter als Urheber von Gewalt. Das sagt Reinmar du Bois, der ärztliche Direktor der Stuttgarter Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Er ist einer der Hauptreferenten des ersten Kinderschutz-Kongresses, zu dem sich von Donnerstag an in Karlsruhe 430 Vertreter aus Institutionen, Vereinen und Beratungsstellen treffen. Geplant ist die Gründung eines "Netzwerk Kinderschutz", das künftig dem Austausch aller Beteiligten dienen soll. Der Kongress wird von der Stiftung "Hänsel und Gretel" sowie der Landesregierung veranstaltet.

"Viele Mütter sind einfach mit der Situation überfordert, weil sie den ganzen Tag mit dem Kind allein sind", sagt du Bois. Manche Frauen ließen am Kind alles aus, was sie sich sonst selbst antun würden. Das Spektrum der Gewalt reiche von Kratzen oder Kneifen bis zum Erstickungsversuch, wenn das Kind ununterbrochen schreit. Viele gewalttätige Mütter seien früher selbst Opfer gewesen. Daraus entstünden Gewaltzyklen, die von Generation zu Generation weitervererbt werden.

"Mütter, die selbst missbraucht wurden, erleben die lustbetonte Art der Säglinge zu essen oder sich zu bewegen als peinlich oder sogar Ekel erregend", erklärte der 54-Jährige. Vor allem männliche Babys erinnerten die Frauen durch Geräusche oder Gesten an das, was ihnen angetan worden sei. Als Folge entzögen sie den Kindern häufig jede körperliche Nähe. "Bei manchen Müttern geht das sogar so weit, dass sie ihr Kind nicht mehr abtrocknen, weil es dann so komisch quiekt."

Weil familiäre Gewalt unsichtbar sei, bereite sie Ärzten und Psychologen, die gegen diesen Missbrauch kämpfen, große Probleme.. "Oft werden solche Dinge durch Zufall in Kinderkliniken entdeckt", erzählt du Bois. Nicht nur die sogenannten Schreibabys sollten den Kinderärzten auffallen, sondern auch stumpf vor sich hin starrende Säuglinge, die sich völlig teilnahmslos verhalten. Die Ärzte sollten die Mütter auch auf Ansprechstellen aufmerksam machen, empfiehlt du Bois. Oft reiche schon der Hinweis auf eine Selbsthilfeeinrichtung oder eine Kinder-Krabbelgruppe vor Ort, durch die Mütter Anschluss und Beratung finden könnten.

ONLINE-INFO
www.netzwerk-kinderschutz.de