"...und dann passiert es, dass sich Geschwister plötzlich siezen"

Es muss nicht immer der Kadi sein: Viele Streitfälle, die vor Gericht landen, könnten auch durch Mediation geschlichtet werden / Von Frauke Haß

Viele Streitigkeiten, die sich vor Gericht entladen, handeln in Wirklichkeit von etwas ganz anderem": Die Erfahrung hat die Mediatorin Ilka Achilles-Horas immer wieder gemacht: Im Streit um das Umgangsrecht mit den Kindern rächt sich die betrogene Ehefrau für erlittene Verletzungen. Im Zank ums Erbe gehe es nicht bloß ums Geld: "Der, der sich weniger geliebt fühlt, will alles, um sich wertgeschätzt zu fühlen. Bei Umstrukturierungen im Betrieb entzündet sich an Belanglosigkeiten wie der Lage des neuen Büros ein Konflikt. In Wirklichkeit geht es aber um das Gefühl, dass die eigene Leistung nicht entsprechend gewürdigt wird." Christoph Ulrich, Pressesprecher im Justizministerium in Wiesbaden, ergänzt: "Im Nachbarschaftsstreit ärgert sich der eine vielleicht schon jahrelang darüber, dass der andere nicht grüßt, dass der seinen Kindern verboten hat, mit den eigenen Kindern zu spielen oder das Auto auf dem eigenen Lieblingsparkplatz abgestellt hat - aber das ist alles nicht justiziabel, also zieht man vor Gericht wegen dem Busch, der auf der Grundstücksgrenze steht."

Eigentlich kein Fall für den Richter, wird das Problem doch nur dann wirklich aus der Welt geschafft, wenn auch gleich die Ursachen mit beseitigt werden. Die Chance bietet die Mediation, "weil bei ihr eben auch dieses ganze Drumherum mit einbezogen werden kann, das vor Gericht keine Rolle spielt, und man so zu einer dauerhafteren Verständigung kommen kann", sagt Ulrich.

Fingerspitzengefühl und manchmal auch eine gehörige Portion Kreativität braucht die Mediatorin, um das Eis zwischen Mann und Frau schmelzen zu lassen. Einem Mann, der seiner Frau partout keinen Unterhalt zahlen will, weil er findet, sie könne selbst arbeiten gehen, schlägt Achilles-Horas vor, die Kinder abends oder am Wochenende zu betreuen. So habe die Frau überhaupt erst die Möglichkeit, einem Nebenjob nachzugehen. Der Frau, die sich mit dem Hinweis auf ein Rückenleiden weigert, arbeiten zu gehen, versucht sie es schmackhaft zu machen, an der eigenen Entwicklung zu arbeiten - als Alternative zur rachemotivierten Verweigerungshaltung.

Achilles-Horas kennt aus ihrem 13 Jahre währenden Berufsleben als Rechtsanwältin im Familienrecht die Legionen von Selbstständigen, die pünktlich zur Scheidung reihenweise "verarmen": Beleg für Beleg wird vorgezeigt, der beweisen soll, wie schlecht die Firma läuft, während die zornige Ehefrau die "Neue" des Gatten ständig mit neuen Brillis aufkreuzen sieht. "Da kann man im Gespräch schon Einiges erreichen, wenn man dem Familienvater klar macht, dass es mit dem Unterhalt auch um die Zukunft der eigenen Kinder geht, um deren Ausbildung und Erziehung durch die Mutter. Oft helfen auch schon simple Aufforderungen wie die: "Stellen Sie sich doch mal vor, Sie wären Ihre Frau." Achilles-Horas weist darauf hin, wie wichtig es für den Erfolg der Mediation ist, dass die zerstrittenen Parteien selbst zu Wort kommen: "Vor Gericht hören sie nur die Anwälte." Viel leichter, sich da gefühlsmäßig abzuschotten.

Schlichte Übersetzungsarbeit gehört manchmal auch zum Job der Mediatorin. Schimpft der Mann im Zorn: "Diese blöde Kuh hat doch keine Ahnung", kann das übersetzt so klingen: "Ich glaube, Ihr Mann hat damit jetzt sagen wollen, dass Sie nicht verstehen, wie es ihm geht."

Wenn gar nichts mehr geht, und schon die Aufteilung des Hausrats zu kriegsähnlichen Zuständen zwischen den ehemaligen Partnern führt, rät die Mediatorin mitunter Banales wie: "Machen Sie doch mal jeder eine Liste, was er oder sie gerne haben würde." Natürlich geht sie nicht so weit zu behaupten, dass sich ausgewachsene Krisen auf diese Weise gleichsam von selbst erledigten - etwa, indem sich die Ansprüche auf wundersame Weise ergänzen, "aber man kriegt das auf eine sachlichere Ebene".

Mediation, das ist laut Achilles-Horas auch in verzwickten Fällen ideal - wie dem, wenn eine Mutter, die von einem der beiden Kinder jahrelang gepflegt wurde, dieses als Dank jenseits des Pflichtanteils zum Alleinerben einsetzt. "Wenn man dem Bruder oder der Schwester vermitteln kann: ,Ihre Mutter hat Sie auch geliebt, aber sie wollte auf diese Weise die Vollzeitpflege abgelten', stößt das vielleicht eher auf Verständnis." Oder wenn sich klärt, dass das angeblich unterschlagene Sparbuch für die Pflegekraft draufging, die engagiert werden musste, als der pflegende Angehörige einmal dringend selbst zur Kur musste. "So was kann man vor Gericht nicht erläutern, und dann passiert es, dass sich Geschwister plötzlich siezen."

Einmal hat Achilles-Horas gar erreicht, dass die Ehefrau, die jahrelang in der Firma des Mannes gearbeitet hat, nach der Trennung nicht auch noch ihren Job verloren hat: "Er hat eingesehen, dass er mit ihr ja auch eine gut eingearbeitete Fachkraft verlieren würde. Die haben das hingekriegt, die Frau arbeitet immer noch dort." Ziel einer Mediation im Scheidungsverfahren müsse sein, "dass man sich auch nach der Trennung noch ins Gesicht sehen, miteinander reden kann". Ein Scheidungsverfahren kann sehr teuer werden, weiß Peter Eschweiler, Vorsitzender eines Familiensenats am Oberlandesgericht: "Je höher der Streitwert, desto teurer, mindestens aber 4000 Mark. Wenn wir über Zugewinn streiten, womöglich über den Jahresbetrag der Unterhaltsbeträge, den Jahresmietwert, den Versorgungsausgleich, kann das sehr teuer werden." Da lohne sich Mediation. Allerdings nur, wenn man sich die bis zu zehn Sitzungen à rund 180 Euro leisten kann. Denn Prozesskostenhilfe gibt es für die Mediation nicht. Eschweiler fasst zusammen: "Wenn man ein bisschen mehr Geld hat, spart man mit der Mediation Geld." Er halte es "für ausgeprochen sinnvoll, das Verfahren auch auf andere Rechtsgebiete auszuweiten, gerade weil es da nicht so emotional zu geht, wie im Familienrecht".

Für geradezu "schädlich" hält es Rembert Brieske von der Arbeitsgemeinschaft Mediation im Deutschen Anwaltverein, dass Mediation immer mit dem Familienrecht in Verbindung gebracht wird: "Gemessen an einem normalen Prozess führt Mediation viel schneller zu einem Ergebnis." Die Leute sparten dadurch zwar nicht zwingend Geld, "aber viel Energie". Brieske sieht vielfältige Möglichkeiten für das in den USA bereits viel breiter angewandte Verfahren im Arbeits-, Verwaltungs-, Wirtschafts-, Gesellschafts- und Erbschaftsrecht. Brieske nennt den Bau einer Kläranlage, deren mit Wasser beschickter Faulturm drei Wochen vor Inbetriebnahme in der Sommerhitze Risse kriegt: Wer ist schuld? Wer trägt die Kosten? "Wenn Sie das vor Gericht klären wollen, ist die Anlage bis dahin kaputt, und die Gemeinde hat keine Kläranlage." Ein idealer Fall für die Mediation, meint Brieske.

Nach Auffassung von Hildegard Becker-Toussaint, stellvertretende Generalstaatsanwältin im Oberlandesgericht, ist es ein "Zug der Zeit", dass der Gedanke der Mediation sich mit dem Paragraphen 46 a inzwischen auch im Strafgesetzbuch niedergeschlagen hat. "Der Täter-Opfer-Ausgleich ist der Mediation gleichzustellen." Bisher habe man den Rechtsbrecher bestraft, und das war's. Inzwischen rücke auch der Verletzte, das Opfer ins Bild. "Wir bemühen uns um Vermittlung."

Christoph Ulrich, Sprecher des hessischen Justizministeriums, mit langer familienrichterlicher Erfahrung, warnt bei aller Begeisterung aber davor, "Begriffen aufzusitzen: Das Rad ist ja nicht neu erfunden worden. Wenn man sich zusammensetzt und eine Lösung sucht, heißt das heute Mediation."

• Auskünfte gibt es bei der Arbeitsgemeinschaft Mediation im Deutschen Anwaltverein unter Telefon 030 / 72 61 52-0.
 

30.01.2002
www.fr-aktuell.de/fr/181/t181023.htm