»Kinder träumen immer davon, dass ihre Eltern wieder zusammenkommen«

Heute Montags-Gruppentreffen der Caritas für Scheidungskinder ­ Gegen falsche Hoffnungen und Schuldgefühle

Main-Tauber-Kreis.

»Kinder sind die Leidtragenden.« Dieser Satz fällt meistens, wenn es um die Themen Streit, Trennung oder Scheidung geht. Martin Schirmer, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle des Caritasverbandes im Main-Tauber-Kreis, kennt die Problematik. Einen guten Teil seiner Arbeitszeit widmet der Psychologe der Beratung von Eltern, Kindern und Jugendlichen, bei denen die Familie im klassischen Sinn nicht mehr funktioniert. Neben der alltäglichen Einzelfallberatung, bietet Schirmer für Betroffene auch Gruppentreffen an. Heute ist es wieder so weit.

»Die Gruppe für Kinder und Jugendliche ist die, die am schwersten zu belegen ist«, berichtet Schirmer aus seiner Erfahrung. »Die Hemmschwelle ist och.« Schließlich müssten die Eltern sich eingestehen, dass sie sich selbst in einer schwierigen Trennungs- oder Scheidungssituation befinden. Die Kleinstadt mit ihren engen sozialen Kontakten und der gewissen Übersichtlichkeit familiärer Strukturen erhöhe die Schwellenangst zudem. »Was könnten Freunde, Verwandte, Nachbarn denken?« sei eine Frage, die sofort im Raum stünde. »In einer Großstadt wäre es vielleicht einfacher«, so der Psychologe.

Vor acht Jahren begann Schirmer mit seinem Angebot für Kinder und Jugendliche aus Trennungs- und Scheidungsfamilien. Seine tägliche Arbeit, in erster Linie die Einzelberatung, hatte ihm den großen

Bedarf vor Augen geführt. In Deutschland wird mittlerweile jede dritte Ehe geschieden.

Sechs bis sieben Kinder oder Jugendliche, vom Grundschulalter bis zum vierzehnten Lebensjahr, können, nach Altersgruppen getrennt, acht Mal an der »Montagsgruppe« teilnehmen. Montagsgruppe deshalb, weil die Kinder am ersten Tag der Woche am meisten von den Erfahrungen des Wochenendes beeindruckt sind. »Da gibt es zum Beispiel den Sonntagsvater, der mit den Kindern ins Schwimmbad oder zu Mc Donalds geht«, berichtet Schirmer. Zu Hause bei der Mutter müssen die Kinder ihre schönen Erlebnisse mit dem Vater meist verbergen. »Oft sind sie da wie versteinert, weil die Mutter den Umgang mit dem Vater eigentlich nicht billigt.« Auf der anderen Seite könne es auch sein, dass der Vater die Mutter als Abzockerin hinstelle, die Unterhalt und dann auch noch das gesamte Kindergeld einkassiert.

Oft hin- und hergerissen

Die Kinder seien oft hin- und hergerissen. Sie brauchten Mutter und Vater. Stelle die Mutter den Vater nur als Taugenichts dar, fehle den Kindern eine Identifikationsfigur, zu der sie aufsehen können. Ihr Selbstwertgefühl werde untergraben. Denn wer wolle schon von einem Tunichtgut abstammen?

Und dann sind da noch die Schuldgefühle. »Ich habe so oft nicht aufgeräumt, der Papa war dann wütend und jetzt ist er fortgegangen«, lauteten Selbstvorwürfe häufig.

In all diesen Situationen greift die Arbeit von Martin Schirmer. »Die Kinder haben oft keinen Partner, der unbefangen mit ihnen sprechen kann«, sagt der Psychologe. Diesen Part nimmt er ein. Schuldgefühle mindert er, indem er den Kindern erklärt, dass es Sache der elterlichen Verantwortung und Erziehung sei, bestimmte Dinge, wie Aufräumen etwa, zu organisieren.

Er bringt ihnen Nahe, dass sie keine Schuld an der Trennung haben, sondern dass dies eine Geschichte der Eltern ist. Manchmal lässt er Mütter oder Väter bei Einzelgesprächen ein Fotoalbum mitbringen, dass die Eltern in glücklicher Eintracht zeigt. Die Kinder seien dann oft ganz erstaunt, dass es so etwas auch einmal gab.

Die inneren Konflikte der Kinder seien vielfältig und vielschichtig. »Manche Väter melden sich nicht mehr, weil sie das ewige Hickhack einfach leid sind. Das ist für die Kinder viel schlimmer als ein Vater, der gestorben ist«, meint Schirmer.

Auch neue Partnerschaften brächten für die Kinder viele Probleme mit sich. »Kinder träumen immer davon, dass ihre Eltern wieder zusammenkommen«, weiß er. Schirmer desillusioniert sie, erklärt ihnen, dass sie Abschied nehmen und nüchtern die Realität planen müssen. Da es meist Mütter sind, bei denen die Kinder bleiben, rät Schirmer den Vätern aber, die neue Freundin, so es sie gibt, erst einmal außen vor zu lassen, weil es bei Treffen um den Kontakt zwischen Vater und Kind geht.

Bei den montäglichen Gruppentreffen wird zunächst über die »Wetterlage«, das Befinden, gesprochen. Die Kinder lernen dabei, dass sie mit ihren Erfahrungen und Empfindungen nicht allein dastehen. Anderen geht es auch so wie ihnen. Oder noch viel schlechter. Sie können Schönes erzählen oder Belastendes, ohne gleich in eine Schublade von Freund oder Feind gesteckt zu werden. »Die Freude wird mitgelebt und auch die Ängste.«

Der unparteiische Psychologe fragt auch nach den Ansprechpersonen der Kinder. »Wer hilft dir, wenn zu Hause ein Riesenkrach ist?« Oma und Opa seien oft Zufluchtspersonen. Schirmer ermuntert aber auch dazu, einmal mit dem Lehrer zu sprechen oder bietet an, Kontakte zu schaffen und zu unterstützen.

Familiengericht spielen

Dritter Baustein der Gruppenstunde ist eine gemeinsame Spielphase zur Auflockerung, bevor dann Begriffe geklärt werden: Unterhalt, Sorgerecht, Umgangsrecht oder die Rolle des Jugendamts etwa. »Wir haben auch schon Familiengericht gespielt«, berichtet der Psychologe.

Sein Ziel ist es, dass kein Elternteil einfach »ausradiert« wird, weil beide für die Identität des Kindes unverzichtbar wichtig sind. »Es muss zumindest einen Minimalkontakt geben wie beim »betreuten Umgang«, so Schirmer. Hier treffen sich nach längerer Funkstille Mütter oder Väter mit ihren Kindern in der Beratungsstelle mit dem Psychologen, um den verloren gegangenen Kontakt wieder anzubahnen.

Jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden. Die Kinder sind die Leidtragenden. Nicht Frust, sondern Chance will die Beratungsstelle der Caritas am Tauberbischofsheimer Schlossplatz den Kinder in trennenden, schmerzlichen und nicht zuletzt zwiespältigen Situationen bieten.
hvb
 

Main-Echo, 07.02.2000
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