Trotz Scheidung sich gemeinsam sorgen
Im Interesse der Kinder: Eltern können lernen, ihre eigenen Konflikte hintenanzustellen

Enttäuscht legt Karin den Telefonhörer auf. Am nächsten Wochenende wollte ihr geschiedener Mann die beiden Kinder nehmen. Nun hat er abgesagt. Im ersten Halbjahr verbrachten die Kinder fünf Wochenenden bei ihm - zehn Tage. Dabei haben Karin und ihr Ex-Mann gemeinsam das Sorgerecht. Corinna dagegen hat die alleinige Sorge für ihren Sprößling Felix. Mittwochs ist "Vatertag". Gemeinsame Sorge kam für Corinna nicht in Frage. Doch als sie kürzlich auf Dienstreise mußte und Felix gerade an diesem Tag mit Fieber erwachte, war es für sie normal, zuerst ihren geschiedenen Mann um die Betreuung des Sohnes zu bitten. Bei der Frage nach der Sorge steht nicht so sehr der rechtliche Aspekt im Vordergrund", sagt Psychologe Michael Preußler von der Beratungsstelle "Zusammenwirken im Familienkonflikt" in Berlin-Mitte."Wichtig ist, was die Kinder erleben, wie innig der Kontakt zu den Eltern ist.

Streit wird geschlichtet Der ist ebenso bei gemeinsamer Sorge wie bei alleiniger Sorge mit einem Umgangsrecht für den anderen möglich. Die Kinder erhalten dann das Signal, daß sie sich angstfrei bewegen können, nicht befürchten müssen, von Mutter oder Vater getrennt zu werden."Entscheidend für die Kinder sei, wie es ihnen da geht, wo sie leben, und wie tief der Konflikt zwischen ihren Eltern ist.

Tatsächlich gelingt es nur wenigen Eltern, ihren eigenen Konflikt hintenanzustellen. Oft sind die Verletzungen und Enttäuschungen so groß, daß die Frau oder der Mann  nicht sehen wollen, welche guten Seiten die oder der andere als Mutter oder Vater hat."Doch wenn das Kind nicht auf der Strecke bleiben soll, ist Kooperation unter den Eltern nötig", faßt Ingrid Krause-Windelschmidt ihre Erfahrungen aus mehr als  20jähriger Anwaltstätigkeit zusammen.

Dem sind die üblichen Scheidungsverfahren, in denen sich die Ehepartner in verhärteten Positionen begegnen, nicht besonders dienlich. Statt für einen im Streit Partei zu ergreifen, bietet die Anwältin heute den Scheidungskandidaten lieber eine gemeinsame Mediation an, die eine anwaltliche Vertretung vor Gericht dann ausschließt. Bei einer Mediation vermittelt ein Dritter das Gespräch zwischen den Streitenden, ermöglicht einen fairen Austausch ohne Verletzungen und Mißverständnisse. Frau Krause-Windelschmidt gehört zu den wenigen Anwälten, die seit einigen Jahren in ihrer Kanzlei in Berlin-Wilmersdorf solche Gespräche führt.  Ihrer Meinung nach bietet eine Scheidung auch neue Möglichkeiten des Aufeinanderzugehens: Mit ihr verbunden ist, daß man sich als Partner loslassen kann.

Offene Aussprache Man muß nicht mehr ertragen, was einen an der oder dem Geschiedenen ärgerte. Das aber befreit die Scheidenden nicht davon, als Eltern - so wie es im Artikel 6 des Grundgesetzes festgeschrieben steht - für das Kind weiterhin verantwortlich zu sein. Deshalb würden auch nichteheliche Mütter und Väter durch das neue Gesetz erstmalig den anderen gleichgestellt.

Ingrid Krause-Windelschmidt leitet die Eltern zu einem Gespräch über die Belange der Kinder an."Das verlangt beispielsweise, ganz konkret zu regeln, an welchem Tag  die Mutter möchte, daß der Vater das Kind betreut. Es muß offen voreinander ausgesprochen werden, was für jeden damit verbunden ist." Klar sollen beide ausdrücken, was sie voneinander in bezug auf das Kind erwarten: Wo liegen Ängste und Befürchtungen? Welche Forderungen stellt man gegenseitig? Bei Anwältin Ingrid Krause-Windelschmidt verläßt kein Paar die Kanzlei ohne klare Vereinbarungen zu den strittigen Fragen: Aufenthalt, Unterhalt, Umgang. Manchmal erkennt eine Frau allerdings bald, daß der Vater kein Interesse mehr hat, für sein Kind da zu sein. Dann soll sie einen Antrag auf alleinige Sorge stellen. "Das ist auch möglich, wenn die gemeinsame Sorge Regelfall wird", erklärt die Anwältin. "Für alle anderen aber eröffnet das kommende Gesetz die Chance, sich neu zu entscheiden, wie sie sich als Mutter und Vater in Zukunft ihr Leben mit den Kindern vorstellen. "Mediation bietet unter anderem der Verein "Zusammenwirken im Familienkonflikt" an. Seine Beratungsstellen sind in Berlin-Mitte unter 2 82 48 61 sowie unter 8 61 01 95 in Wilmersdorf zu erreichen, die Regionalgruppe Mediation Berlin unter 8 82 26 10.
 

Berliner Zeitung 28.10.1995
Ressort: Wirtschaft
Autor: Barbara Leitner