Wie alles begann

Die Entstehungsgeschichte von Miss Saigon

Alles begann an einem trüben Herbstnachmittag 1985 in Paris. Der französische Komponist Claude Michel Schönberg blätterte in einer Illustrierten, als ein Blick auf ein Schwarz-Weiß-Foto fiel.

Die Fotografie zeigte ein kleines Vietnamesen- Mädchen kurz vor seinem Abflug vom Ho Chi Minh-Airport nach New York. Dort wartete ein Vater auf die Begegnung mit seiner Tochter, die er bis dahin noch nie gesehen hatte. Der Vater war einer jener vielen GIs, die sich während des Vietnamkrieges auf mehr als nur einen Flirt mit einer Vietnamesin eingelassen hatten. Jahrelang hatten ihn die US-Behörden auf Wunsch der Mutter des Kindes gesucht. Sie wollte damit ihrer Tochter ein besseres Leben in den Vereinigten Staaten ermöglichen.

Der stille Schmerz in den Augen der Mutter und die Tränen des kleinen Vietnamesen-Mädchens spiegelten das Leiden aller Opfer des Krieges wider: Die Qual der unwiderruflichen Trennung zweier Menschen, die einander lieben.



Bui Doi

Bui Doi bedeutet soviel wie "Staub des Lebens". Mit diesem Schimpfwort wurden während des Vietnam-Krieges und vor allem in der Zeit danach jene Kinder geschmäht, die eine Vietnamesin als Mutter und einen US-Soldaten als Vater hatten. Ihre Herkunft ist ihnen unauslöschlich ins Gesicht geschrieben. Sie haben dunkle Haut aber blaue Augen. Sie tragen asiatische Gesichtszüge - mit blonden Haaren. Kaum auf der Welt, wurden diese wohl unschuldigsten Opfer des Vietnamkrieges mit bitterster Ablehnung gestraft. Von der Gesellschaft mißachtet, oft sogar von den eigenen Müttern und deren Familien verstoßen, lebten die "Bui Doi" auf den Straßen und waren ständigen Grausamkeiten und Demütigungen ausgesetzt.

Obwohl im Rahmen des "Orderly Departure Programme" der US-Regierung seit 1964 mehr als 50000 "Bui Doi" Asien verlassen konnten, haben nur wenige, die Amerika erreichten - lediglich ein Prozent - ihre leiblichen Väter gefunden.



Nguyen Diep Doan Trang

"Ich habe es hier schwer"

Ich bin 19 Jahre alt. Über meinen Vater weiß ich nichts. Er war Amerikaner. Ich habe keine Informationen über ihn, aber ich habe ein Foto vom Freund meines Vaters. Der Freund meines Vaters war ein Mittler für meine Mutter und meinen Vater.

Letztes Jahr schloß ich meine High School-Ausbildung ab. Jetzt helfe ich meiner Mutter bei ihrer Arbeit als Hebamme. Meine Mutter näht meine Kleider und schneidert diese im amerikanischen Stil. Ich möchte nach USA gehen, weil ich anders aussehe als die Menschen hier und ich denke, daß ich mehr wie ein Amerikaner aussehe, deshalb wäre es besser für mich, wenn ich in Amerika leben würde. Ich fühle mich selbstsicher, denn ich bin größer als meine Freunde. Ich habe das Gefühl, anders zu sein und ich habe es hier sehr schwer.

Ich kenne Amerikaner durch das Foto vom Freund meines Vaters und durch Touristen sowie aus Zeitschriften. Ich möchte nach Amerika gehen, dort studieren und Chemiker werden.

Über den Krieg weiß ich nichts. Gar nichts.

Aufgrund meiner Größe glaube ich, daß mein Vater ein stämmiger, großgewachsener Kerl ist. Wenn er wüßte, daß es mich gibt, würde er mich lieben. Meine Mutter erzählte mir, daß mein Vater sie sehr geliebt hatte. Aber sie verloren den Kontakt zueinander.

Eines Tages möchte ich meinen Kindern von meinem Leben erzählen und davon, wie ich nach Amerika gekommen bin. Irgendwann werde ich heiraten und zwei Kinder haben. Aber zuerst möchte ich mit meiner Mutter und meinen zwei Halbschwestern nach Amerika gehen.



Vo Thi Quan Yen

"Ich weiß, ich bin ein Amerikaner"

Ich bin fünfzehn Jahre alt. Früher dachte ich, ich sei ein Vietnamese, dann meldete sich mein Vater. Jetzt weiß ich, daß ich ein Amerikaner bin. Den Namen meines Vaters weiß ich nicht. Bis vor kurzem kannte ich ihn überhaupt nicht. Bis zur siebten Klasse ging ich zur Schule, dann nicht mehr. Danach verkaufte ich Bananen auf der Straße. Jetzt lebe ich mit meiner Tante und meinem Onkel zusammen. Sie haben mich aufgezogen. Zu meiner Mutter habe ich ebenfalls Kontakt, aber ich habe keine Beziehung zu ihr, denn sie hat mich verlassen, als ich sechs Jahre alt war.

Mein Vater würde mich jetzt gerne in Amerika haben, deshalb möchte ich dort sein. Ich möchte wieder zur Schule gehen. Hier ist das Leben hart. Eines Tages möchte ich Arzt werden, wie mein Vater. Er war hier am französischen Grall Hospital Arzt. 1973 ging er.

Über den Krieg weiß ich nichts. Aber ich sah Filme darüber und jetzt bin ich der Meinung, daß die amerikanische Regierung die vietnamesische Bevölkerung nicht richtig behandelt hat. Sie taten den Vietnamesen schreckliche Dinge an.

Bis ich sechs Jahre alt war, hatte ich eine normale Kindheit und machte Dinge, die alle Kinder tun. Doch jetzt lebe ich mit meiner Tante und meinem Onkel zusammen, die sehr arm sind. Also arbeite ich jetzt. Ich bin Buddhist, weil meine Tante und mein Onkel auch Buddhisten sind. Mein Vater ist Christ, deshalb werde ich ein Christ sein, wenn ich nach Amerika gehe. Lange Zeit konnte ich mir das Gesicht meines Vaters nicht vorstellen, doch dann bekam ich sein Foto und nun denke ich, daß ich wie mein Vater aussehe.

Ich arbeite jeden Tag. Was ich gern tun würde, wäre Ball spielen oder Schwimmen gehen, aber ich kann nicht, weil ich arbeiten gehen muß. Nun freue ich mich darauf, meinen Vater zu sehen und hoffe, daß das Leben dann besser wird.

Ich möchte gehen, aber ich fühle mich schlecht, weil ich dann meine Tante und meinen Onkel zurücklassen muß und meine beiden Halbschwestern vermissen werde. Aber ich kümmere mich nicht darum, was mit meiner Mutter hier geschehen wird. Wenn ich nach Amerika komme, werde ich nur meine Tante, meinen Onkel und meine Halbschwester nach Amerika holen.



"Bui Doi", Auszüge aus "Tears Before The Rain: An Oral History of the Fall of South Vietnam! von Larry Engelmann.