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13. Juli 2007
URTEIL
Richter lehnen Entschädigung für Lebensborn-Kinder ab

Für norwegische Kinder deutscher Wehrmachtsoldaten gibt es keine Wiedergutmachung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Klage von Nachkommen des "Lebensborn"-Programms abgewiesen. Die Begründung der Richter: Die mehr als 150 Kläger hätten ihr Anliegen zu spät vorgebracht.

Straßburg - Die Straßburger Richter stellten sich mit ihrer Entscheidung hinter das Urteil norwegischer Gerichte. Diese hatten erklärt, die "Lebensborn"-Nachkommen hätten ihre Klage binnen 20 Jahren einreichen müssen. Die "Lebensborn"-Kinder hatten die Regierung in Oslo auf Entschädigung in Höhe von mindestens 6300 Euro pro Betroffenem verklagt, besonders Geschädigte sollten vier Mal so viel erhalten.

Das von Reichsführer-SS Heinrich Himmler initiierte Programm "Lebensborn" sollte dazu dienen, die Geburtenrate unter so genannten Ariern zu erhöhen, um die Vorherrschaft der nordischen Rasse zu sichern. Die Norweger wurden von den deutschen Nationalsozialisten in diesem Sinne als reinrassig betrachtet, so dass nach der Besatzung des skandinavischen Landes viele Verbindungen zwischen deutschen Soldaten und norwegischen Frauen forciert wurden. Daraus gingen rund 12.000 Kinder hervor, die während des Krieges in "Lebensborn"-Heimen versorgt wurden.

Nach dem Krieg waren sie in Norwegen allerdings vielfältiger Diskriminierung ausgesetzt. Zumeist wurden sie als "schwachsinnig" oder "abweichlerisch" eingestuft und in psychiatrische Anstalten eingewiesen oder zwangsadoptiert. In der Schule wurden sie ebenso schikaniert wie später im Berufsleben, wenn sie denn überhaupt eine Anstellung fanden.

Die Anwälte der Kläger betonten in Straßburg, diese Menschenrechtsverletzungen seien auch nach 1953 weitergegangen. Damals trat Norwegen der Europäischen Konvention für Menschenrechte bei. Die norwegische Regierung bot den Opfern im Jahr 2002 Zahlungen in Höhe von bis zu 25.600 Euro an.

In vielen der Beschwerden ist von schweren Misshandlungen, Vergewaltigungen und Demütigungen die Rede. Der heute 66-jährige Hermann Thiermann wurde nach eigenem Bekunden als kleiner Junge stundenlang bei großer Hitze in einen Schweinestall gesperrt, weil er angeblich stank. In der Schule sei er gehänselt und von älteren Jungen vergewaltigt worden, ohne dass der Lehrer eingegriffen habe.

Eine heute 64 Jahre alte Frau bekam von Betrunkenen ein Hakenkreuz in die Stirn gebrannt. Sie floh zu ihrem Vater in die Bundesrepublik, wurde von den deutschen Behörden aber wieder nach Norwegen zurückgeschickt.

In Norwegen war das Schicksal der "Kriegskinder" lange Zeit ein Tabu-Thema. Erst am 1. Januar 2000 räumte der damalige Regierungschef Kjell Magne Bondevik in seiner Ansprache zum Jahrtausendwechsel offiziell die "Ungerechtigkeit" ein, die sie erfahren mussten. Er entschuldigte sich "im Namen des norwegischen Staates" bei den Betroffenen für die Diskriminierungen.

Im Jahre 2004 erschienen in Norwegen erstmals zwei umfangreiche Studien über das Schicksal der Wehrmachtskinder und die Mitverantwortung des norwegischen Staates.

jjc/AFP/AP