Wir Kinder vom Lebensborn

Opfer unerwünschter Feindberührung: Die Ausstellung "Kriegskinder" im Rathaus Schöneberg zeichnet das Schicksal der Kinder von deutschen Soldaten und norwegischen Frauen nach
von STEPHANIE REISINGER

"Geboren wurde ich am 21. Oktober 1942 im nordnorwegischen Lundenes. Meine Mutter musste sich verstecken. Später wurde sie aus Norwegen ausgewiesen. Wir gingen nach Deutschland, wo ich auch aufgewachsen bin." So liest sich die Kurzbiografie des Fotografen Einar Bangsund, der heute in Dortmund lebt.

Einar Bangsund besitzt die norwegische Staatsbürgerschaft. Er ist ein Kriegskind - eines jener 10.000 bis 12.000 Kinder, die während der Besetzung Norwegens durch die Wehrmacht 1940-1945 von einem deutschen Soldaten gezeugt und von einer norwegischen Frau geboren wurden. Die Mutter Einar Bangsunds musste sich verstecken, weil sie von ihrer Familie in Tromsø verstoßen und von den Nachbarn verachtet wurde. Denn der Vater ihres Sohnes war einer von etwa 500 .000 Wehrmachtsoldaten, die während des Zweiten Weltkrieges Norwegen besetzt hielten. Die Anwesenheit dieser Soldaten bedeutete für viele Norweger eine ungeheure Erniedrigung. Dieses Gefühl verstärkte sich, wenn die "Töchter der Nation" Liebesbeziehungen mit dem Feind eingingen. "Deutschenhuren" wurden die 30.000 bis 40.000 Frauen genannt. Nach Kriegsende wurden ihnen die Haare geschoren, und viele von ihnen kamen in Internierungslager, wo sie auf Geschlechtskrankheiten untersucht wurden; anderen wurde die norwegische Staatsbürgerschaft aberkannt. Ihre "Schande" vererbten sie an ihre Kinder, die Kriegskinder.

Diesen wurde aber auch die Verehrung durch die Nazis zum Verhängnis: Für die verkörperten die Norweger nämlich die Vorstellungen von der "arischen Rasse". Die SS hielt es für "unbedingt wünschenwert, dass die deutschen Soldaten so viele Kinder wie möglich mit norwegischen Frauen zeugen". Sie war es auch, die durch die Etablierung des "Lebensborns" in Norwegen das Schicksal der Kriegskinder ausschlaggebend mitprägte. 1935 ins Leben gerufen, bestand die Aufgabe des Lebensborns darin, "rasse- und erbbiologisch" wertvolle Kinder für die "Eliteeinheit" der Nazis heranzuziehen. Dabei sollen auch ausgewählte junge Frauen mit SS-Männern zur Zeugung "hoch wertiger" Kinder zusammengeführt worden sein. Dazu kam es jedoch in Norwegen nicht, obwohl sich dieses Gerücht, dieser "Mythos um die Zucht", hartnäckig hält.

In Norwegen richtete Lebensborn 1941 das erste Entbindungs- und Kinderheim außerhalb von Deutschland ein. Programm der SS-Institution für das nordeuropäische Land war es, Aborte zu verhindern, die Geburtszahlen zu steigern und die "richtigen" Frauen, die Kinder von deutschen Soldaten erwarteten, zu unterstützen. Lebensborn kümmerte sich um die Unterhaltszahlungen oder vermittelte die Adoption von Kindern, wenn die Mütter sich nicht in der Lage sahen, diese selbst zu behalten. Wenn man auch nicht so weit ging, Kinder zu züchten, so wurden doch rassisch motivierte Untersuchungen an Müttern und Kindern durchgeführt. 250 dieser als "reinrassig" bewerteten Kinder, die ihre Mütter zur Adoption freigegeben hatten, wurden nach Deutschland gebracht, damit sie dort von "guten" deutschen Familien aufgenommen werden konnten.

Der Fotograf Einar Bangsund hat mit seinem Projekt die eigene Lebensgeschichte verarbeitet. Für seine Ausstellung porträtierte er 38 Kriegskinder in Norwegen und Deutschland. Die Bilder sind in Schwarzweiß gehalten, der Hintergrund ist neutral. Schaut man allein in die Gesichter, unterscheidet diese Menschen nichts von anderen. Den Unterschied zeigt der Inhalt der Fragebögen, die Einar Bangsund sie hat ausfüllen lassen. Er fragte nach ihrer Lebensborn-Nummer, nach dem Kontakt zu den leiblichen Eltern und danach, ob und wie sie letztlich ihre Familien gefunden haben. Einer der Porträtierten ist Arno Westby (Kaube), Jahrgang 1941. Er hat die Lebensborn-Nummer 448. 1944 kam er in das Lebensbornheim Sonnenwiese in Kohren-Sahlis bei Leipzig. Das Heim wurde nach dem Krieg aufgelöst, Pflegeeltern nahmen ihn auf. 1946, er war gerade fünf Jahre alt, fand ihn seine leibliche Mutter. Danach ließ sie ihr Kind mit seinem Wissen um die "richtige" Mutter zurück bei den Pflegeeltern in der "russisch besetzten Zone", der späteren DDR.

50 der norwegischen Kinder, die Lebensborn nach Deutschland gebracht hatte, wurden nach Kriegsende in ihr Heimatland zurückgeholt. Manche wurden Pflegefamilien entrissen, in denen es ihnen gut gegangen war. In Norwegen kamen viele von ihnen in Heime. Nicht nur sie, auch die "Deutschenkinder", die bei ihren Müttern geblieben waren, hatten sehr unter ihrer Herkunft zu leiden. Viele der Kriegskinder wurden misshandelt, einige von ihnen missbraucht, andere von den Nachbarn, Schulkameraden, Verwandten übel behandelt.

Paul Hansen, dessen Porträt von Einar Bangsund ebenfalls im Rathaus Schöneberg ausgestellt ist, ist eines von zwanzig Kriegskindern, die nach dem Krieg in Oslo in ein Heim für geistig Behinderte kamen - ohne tatsächlich eine solche Behinderung zu haben. Er ist dort aufgewachsen. In den Achtzigerjahren fand der mit Hilfe des norwegischen Roten Kreuzes heraus, dass sein Vater 1953 gestorben, die Mutter mit einem anderen Mann nach Deutschland gezogen war. Keiner der beiden hatte je den Kontakt zu ihm gesucht. 

In der Nachkriegszeit ist die Frage des Umgangs mit den Kriegskindern von den norwegischen Behörden ignoriert worden, später wurde das Thema tabuisiert. Erst in den Achtzigerjahren begann man, sich dem Schicksal der Kriegskinder zu stellen.

Die ersten Kriegskinder konfrontierten die Öffentlichkeit mit ihren Erlebnissen. Viele von ihnen schlossen sich in Vereinigungen zusammen. 1998 hat sich der norwegische Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik bei den Kriegskindern entschuldigt. Dennoch haben sie den norwegischen Staat verklagt. Der Prozess beginnt im September.

Die Ausstellung "Kriegskinder - Kinder von deutschen Soldaten und norwegischen Frauen 1940-1945" läuft noch bis zum 29. Juli im Rathaus Schöneberg, John-F.-Kennedy-Platz, täglich von 11 bis 20 Uhr
taz Berlin lokal Nr. 6505 vom 25.7.2001, Seite 23, 201 Zeilen (TAZ-Bericht), STEPHANIE REISINGER