Ein Leben in Trümmern


Weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Beziehungen zwischen deutschen "Fräuleins" und GI´s wurden totgeschwiegen - bis heute. (Fotos: Röhnert/ap/Montage: Kurt Michelis)

Vater wider Willen: Seinen Sohn bekam Louis Craig nie zu sehen. (Foto: privat)

Detektiv in eigener Sache: Franz Anthöfer hat nie aufgegeben. (Foto: privat)

Franz Anthöfer kämpft seit 1966 darum, als Sohn eines amerikanischen Soldaten anerkannt zu werden.

KÖLN. Es gibt Geschichten, die nur schwer zu begreifen sind - so wie diese: Ein Mann, 51 Jahre alt, sucht - seit er denken kann - nach seinem Vater, einem Amerikaner. Er jagt ihn wie einen Geist, will, als er ihn endlich findet, nicht wahr haben, dass er tot ist. Er sucht nach Anerkennung eines Toten, nach behördlicher Akzeptanz dieser Vaterschaft, als könnte sie ihm etwas geben, was er braucht, um wirklich leben zu können. Es ruiniert ihn wirtschaftlich und auch körperlich, weil er zwar nicht den Namen, aber die Knochenkrankheit seines Vaters geerbt hat. Er geht ins Gefängnis, tritt in den Hungerstreik, wird aus den USA abgeschoben und darf das Land zehn Jahre lang nicht mehr betreten. Am 31. Juli, am kommenden Mittwoch, ist der wohl entscheidende Gerichtstermin in West-Virgina. 1000 Dollar soll er dem Gericht überweisen und persönlich erscheinen. Doch der Mann hat weder das Geld, noch darf er einreisen. Aber aufgeben, will er nicht. "Kann ich nicht", sagt er.

Das klingt wie ein Drehbuch, ist aber eine wahre Geschichte. Die Geschichte von Franz Anthöfer aus Köln, und sie beginnt, lange bevor er geboren wird.

"Er wird ihnen ein Klotz am Bein"

Franz Anthöfer ist ein Besatzungskind. Seine Mutter Babette und sein unbekannter amerikanischer Vater lernen sich in Rastatt kennen und haben eine Liebesaffäre, "so nennt es meine Mutter", sagt Anthöfer. Sie wird schwanger, er wird versetzt. Franz wird 1951 in Köln geboren, seine Mutter gibt ihn auf Anraten der Nonnen im Krankenhaus in ein Kinderheim nach Leverkusen. "Er wird ihnen ein Klotz am Bein", sagen die Schwestern. Geld hat Babette Anthöfer nicht. Ihre Anträge auf Unterhalt bleiben unerledigt.

Franz ist im Heim "der Amerikaner", begreift viele Jahre nicht warum. "Das Leben im Heim kam mir nicht ungewöhnlich vor. Es war okay", sagt er. Bis ihn ein Freund aus der Volksschule zu sich nach Hause einlädt. Dort lernt der Achtjährige eine Familie kennen. Einen Vater, eine Mutter, Geschwister. "Das war ein Schlüsselerlebnis", sagt der 51-Jährige. "Das wollte ich auch haben."

Mit 15 Jahren verlässt der Junge das Heim, zieht zu seiner Mutter, zu der er wieder Kontakt hat, jobbt und beginnt mit den Nachforschungen nach seinem Vater. Seiner Mutter gefällt das nicht. Nur zögerlich erzählt sie von Louis Craig. Ihren Sohn aber lässt dieser Name und die Suche nach dem Menschen, der ihn trägt, nicht mehr los. Es ist der Beginn einer jahrzehntelangen Odyssee. Er klappert die Jugendämter ab, schreibt unzählige Briefe, fragt bei allen nur erdenklichen Behörden, Büros und Vermittlungsstellen an. Er fährt quer durch Deutschland, nach London, nach Casablanca - wo er seinen Vater als US-Soldaten oder einfach nur wichtige Hinweise vermutet. Doch überall stößt er auf eine Mauer des Schweigens. "Die Menschen waren nett, aber immer wenn es konkret wurde, waren die entscheidenden Akten verbrannt. Anfangs kamen mir die ständigen Aktenbrände noch nicht merkwürdig vor, heute weiß ich, dass die US-Behörden überhaupt kein Interesse hatten, dass ich meinen Vater finde. Im Gegenteil sogar. Ich sollte ihn nicht finden."

Die Spur führt nach Washington

Als er enttäuscht nach Köln zurückkommt, händigt ihm seine Mutter den einzigen Brief aus, den sie vom Vater ihres Sohnes je bekommen hat. Franz starrt auf die Adresse: Cathedral Avenue 4525 Washington.

Dort will er hin. Er arbeitet in der Küche eines Kölner Restaurants und spart und spart. Ende Dezember 1971 fliegt er nach Washington. Doch sein Vater wohnt schon lange nicht mehr in dem Haus an der Cathedral Avenue.

Zufälle sind es, die ihn weiterbringen, Unbekannte sind es, die ihm helfen. Ob Louis Craig studiert hat? An der George Washington Universität wird er fündig: Louis G. Craig aus Weston in West-Virginia hat hier Jura studiert. "Und die meisten Menschen aus der Gegend kehren in ihre Heimat zurück", erfährt er im Sekretariat der Uni.

Franz Anthöfer zögert keinen Augenblick, reist noch Weston, streift ziellos durch die Straßen und findet die Kanzlei seines Vaters. Doch es ist zu spät. Louis G. Craig, Bürgermeister von Weston, ist vor wenigen Wochen an einem Hirnschlag gestorben. "Ich habe geschrieen und geweint", erinnert sich Ant-höfer. Doch konnte er wirklich sicher sein, dass dieser Louis G. Craig sein Vater war: ganz, ganz sicher?

Die wundersame Wiederkehr der Akten

Zurück in Köln macht Anthöfer das Abitur und eine Pilotenausbildung, arbeitet als Frachtpilot - überwiegend in Asien. Doch auch die Fliegerei vertreibt die Gedanken an den Vater nicht. "Ich wollte die Sicherheit haben", sagt er. Im Jahr 1981 nimmt Anthöfer die Suche wieder auf. Er wendet sich an die General Services Administration und bekommt - elf Jahre nach seiner schriftlichen Anfrage - jetzt doch die gewünschte Auskunft. "Aber nur, weil ich nicht gesagt habe, wofür ich die Auskünfte brauchte", weiß Anthöfer heute.

Nichts war verbrannt. Die Unterlagen belegen: Louis Grant Craig aus West-Virgina war zwischen 1949 und 1951 in Deutschland stationiert - zur fraglichen Zeit auch in Rastatt. Den deutschen Behörden reichen diese Unterlagen und die Aussage der Mutter vor Gericht. Im November 1981 erkennt das Amtsgericht Köln die Vaterschaft von Craig an.

Doch Franz Anthöfer reicht das nicht. "Ich wollte diese Anerkennung auch von den USA und damit die amerikanische Staatsbürgerschaft." Doch das deutsche Urteil zählt in Amerika nichts. Ein US-Gericht muss die Vaterschaft feststellen.

Anthöfer gibt seinen Beruf auf, will die Klärung. Stur wie ein Maulesel und besessen vom Kampf um seinen Vater, der in den USA keine Familie gegründet hat, legt er sich mit den amerikanischen Behörden an, die nach wie vor schützend die Hand über ihre Besatzungsväter halten.

Anthöfer reist mit einem Touristenvisum in die USA ein und erreicht 1996 tatsächlich, dass die Leiche Craigs für eine Erbgut-Analyse exhumiert wird - sechs Wochen dauert eine solche Analyse in der Regel. Nicht aber im Fall Anthöfer. Er wartet und wartet und wartet. Sein Touristenvisum läuft ab, er bleibt illegal im Land, "weil ich jeden Tag mit dem Ergebnis des Tests gerechnet habe". Im Juni 1997 wird er festgenommen, kommt in verschiedene Gefängnisse, wird "sogar in schwere Ketten gelegt" und schließlich wie ein Schwerverbrecher nach München abgeschoben. Die Einreise in die USA wird ihm für zehn Jahre verboten.

Das Ergebnis der Analyse kommt im Jahr 2000 - also drei Jahre später und 49 Jahre nach Anthöfers Geburt: Mit 99,93-prozentiger Sicherheit, so heißt es, ist Louis Grant Craig der Vater von Franz Anthöfer.

Die Furcht vor dem Präzedenzfall

Doch was nützt es? 1000 Dollar und ein Einreiseverbot stehen zwischen Anthöfer und der so lang ersehnten Anerkennung als Sohn eines amerikanischen Vaters. "Die USA versuchen, meinen Fall auszusitzen", meint er. "Ich glaube inzwischen, dass ein Richterspruch einen Präzedenzfall schaffen würde, und den wollen die Amerikaner nicht. Schließlich bin ich nicht das einzige Besatzerkind in Deutschland", sagt der 51-Jährige.

Telefonisch wird er jetzt in den Prozess geschaltet, erzählt er von den jüngsten Entwicklungen, glaubt aber selbst nicht so recht, dass ihm das etwas hilft. "Ich bin sehr skeptisch", sagt er. Doch nach so vielen Jahren aufgeben? Franz Anthöfer schüttelt den Kopf. Und wer seine Geschichte kennt, der weiß, dass dies auch so gemeint ist. (NRZ)
GUDRUN BÜSCHER
 

26.07.2002
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