Wenn Frauen ihre Männer schlagen

Experten fanden nun heraus, dass in deutschen Partnerschaften bis zu fünfzig Prozent der Frauen gewalttätig sind

Von Michaela Freund und Sabine Schwadorf
Die ersten Zeichen wurden schon vier Wochen nach der Hochzeit sichtbar. Damals hatte die Ehefrau von Uwe S. ihren ersten Gewaltausbruch. "Wir waren im Restaurant. Sie wollte nichts essen. Als ich ihr nichts von meinem Essen abgab, machte sie eine hässliche Szene", erinnert sich der 45-Jährige. "Während der Fahrt nach Hause schlug sie mir bei Tempo 100 eine Tasche ins Gesicht." Heute ist Uwe S. geschieden, nach zehn Jahren Ehe.
 
In jeder dritten Partnerschaft kommt es zu körperlicher Gewalt. Dies ist Ergebnis einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Oft richten sich die Aggressionen gegen Frauen und Kinder. Längst keine Seltenheit mehr, aber selten ein Thema, ist dagegen die Gewalt, die Frauen gegen Männer richten. Gemeint ist nicht etwa die Standpauke eines Bratpfannen schwingenden Hausdrachen sondern brachiale Ausbrüche mit harten Schlägen, blutenden Wunden und tiefen seelischen Verletzungen.

1993 bekamen Uwe S., Manager, und seine Ehefrau, Rechtsanwältin, ihr erstes Kind. Er wollte weiter arbeiten. Das verübelte sie ihm. Wutanfälle waren von da an Ehealltag. "Weigerte ich mich, nach den Schimpfkanonaden mit ihr zu schlafen, wurde sie besonders aggressiv und hat mich geschlagen, gewürgt oder gekratzt", erzählt Uwe S. Immer wieder musste er nachts von innen seine Schlafzimmertür verriegeln, um nicht geprügelt zu werden. "Ich fühlte mich schwach und verloren", sagt Uwe S. Drei Mal zeigte er seine Ehefrau bei der Polizei an. Doch die Polizisten nahmen ihn nicht ernst.

Wer glaubt schon einem Mann, dass seine Partnerin ihn schlägt? Bis vor kurzem wurden auch im Familienministerium Gewalterfahrungen männlicher Opfer weniger ernst genommen als die von weiblichen. Aktuelle allgemein gültige Daten zur Gewalt gegen Männer liegen laut Ministerium nicht vor. Immerhin hat Familienministerin Sabine Bergmann im Oktober vergangenen Jahres eine Pilotstudie dazu ausgeschrieben. Das seit dem 1. Januar 2002 geltende Gewaltschutzgesetz erlaubt es der Polizei, gewalttätige Männer vorübergehend auch aus der eigenen Wohnung zu entfernen. Es soll den Opfern ermöglichen, in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Doch obwohl das Gesetz geschlechtsneutral formuliert ist, scheint es gewaltbedrohten Männern wenig zu nützen: "Tatsächlich schützt es nur Frauen als Opfer, weil nur sie mit ihren Opfererfahrungen Gehör finden", kritisiert Michael Bock von der Universität Mainz. Der Professor für Kriminologie erforscht seit mehr als zwei Jahren häusliche Gewalt. "Polizei und Gerichte haben die Normalitätsvorstellung, dass Männer Täter und Frauen Opfer sind."

Doch diese Sichtweise gehe weit an der Realität vorbei, kritisieren auch misshandelte Männer und verletzte Väter. Helmut Wilde vom Trierer Männerbüro "Talisman" schätzt den Anteil der von Frauengewalt betroffenen Männer auf rund 40 Prozent. Nach den Untersuchungen von Michael Bock werden sogar genauso viele Männer von Frauen geschlagen wie umgekehrt.

Internationale wie auch nationale Studien geben ihnen Recht: Nach Forschungsergebnissen in Dänemark oder Neuseeland ist rund ein Drittel der Frauen dem Partner gegenüber schon einmal gewalttätig geworden. Der Soziologe Gerhard Amendt von der Universität Bremen hat in einer Studie zur Lebenssituation geschiedener Väter herausgefunden, dass vor Trennungen in jedem vierten Fall die Handgreiflichkeiten von Männern, zu 58 Prozent jedoch von Frauen ausgehen. In 17 Prozent der Fälle sind beide Geschlechter für den Ausbruch der Gewalt verantwortlich. Während Männer sich dabei auf ihre Faust verlassen, greifen Frauen häufiger zu Gegenständen wie Messern oder schütten ihrem Partner eine Tasse heißen Kaffee ins Gesicht.

"Und dennoch", empört sich Kriminologieprofessor Bock, "tauchen Männer als Opfer von Frauengewalt in den offiziellen Statistiken kaum auf." Als Grund vermutet der Experte die allseits bekannte Tatsache, dass Männer ihre Opfererfahrungen viel seltener offenbaren. Denn der Mann, der oft über seine Gefühle redet, setzt sich unter den Geschlechtsgenossen schnell dem Verdacht aus, "ein Weichei" oder "schwul" zu sein, bestätigt Psychologe Wilde. Auch Uwe S. wollte sich vor seinen Nachbarn keine Blöße geben: "Wenn meine Frau anfing zu schreien, habe ich die Rollläden runtergelassen und die Fenster geschlossen."

Das Versteckspiel der männlichen Gewaltopfer soll sich indes schon bald ändern. Zumindest, wenn es nach Peter Thiel vom Berliner Männerbüro geht. Er plant, ein Männerhaus in der deutschen Hauptstadt einzurichten. Dort sollen gewaltbetroffene Männer und Väter mit ihren Kindern unterkommen können, die wegen der Gewalttätigkeit ihrer Frau von zu Hause fliehen mussten.

Ein weiteres Problem: Oft versagt die Partnerin dem Mann nach einer Trennung auch den Umgang mit den Kindern. "Unsere Kinder waren ihre Waffe", zieht Uwe S. Bilanz. Nach zehn Jahren Ehe hätten ihn nur die drei Kinder noch zu Hause gehalten. Schließlich hat er aufgegeben. Doch ein Ende des Dramas hatte er auch damit nicht erreicht: "Kaum war ich ausgezogen, trat sie zwei Mal die Glastür im Haus meiner neuen Partnerin ein", berichtet er. Die Kinder durfte er nicht mehr sehen. Eines Abends hielt er es nicht mehr aus: "Als ich bei ihr klingelte, machte eine meiner Töchter die Tür auf und fiel mir in die Arme", berichtet er. "Obwohl ich sie auf dem Arm hielt, ging meine Frau auf mich los, schlug mich, trat mich. Ich hatte drei Platzwunden im Gesicht."

Frauengewalt in Medien heroisiert

WELT am SONNTAG: Liefern die Medien Vorbilder für Frauengewalt?

Michael Bock: Auffallend ist die Zunahme einer völlig kritiklosen Ästhetisierung von Frauengewalt in Filmen und Werbespots.

WamS: Was heißt "kritiklos"?

Bock: Wir kennen die Unterscheidung zwischen der bösen Gewalt des Verbrechers und der guten Gewalt des Polizisten, Soldaten und Agenten. Beides war lange Zeit Männersache. Jetzt findet eine kulturelle Verschiebung statt. Die böse Gewalt wird für Männer reserviert, die gute für Frauen.

WamS: Woran erkennen Sie das?

Bock: Unsere rabiaten Fernseh-Kommissarinnen zeigen das - oder gute Hexen wie Buffy, Xena oder Frauen wie Charlies Engel und Lara Croft. Männer werden von ihnen als hirnloses Material ohne Schmerzempfinden massenweise entsorgt. Man kann beliebig mit ihnen umspringen, wenn es nur schön und erotisch ist.

WamS: Und in der Werbung ?

Bock: Ja. IKEA wirbt damit, dass ein Mann aus dem fahrenden Auto geworfen wird ("Entdecke die Möglichkeiten"), und der Mann, der "e-Sixt-günstig" ein Hotelzimmer für die Hochzeitsnacht reservierte, verdient es offenbar wegen seiner Knickerigkeit, mit voller Wucht den Kopf auf das Waschbecken geschmettert zu bekommen.

Prof. Michael Bock lehrt Kriminologie an der Universität Mainz.
 

09.02.2002
www.welt.de/daten/2002/02/10/0210vm313450.htx