Familienkonflikte

Wenn Männer leiden

Eine Berliner Initiative will ein Haus für Männer gründen, die durch häusliche Gewalt bedroht werden

Michael Haering

Der Familienberater Peter Thiel hebt sofort den Zeigefinger, wenn behauptet wird, Männer seien gewalttätiger als Frauen. Männer sind zwar meist körperlich überlegen. Frauen benutzten aber häufiger Waffen in familiären Konfliktsituationen.

Einmal kam zum Beispiel ein Mann zu Thiel, dessen Frau alle paar Monate mit einem Kerzenständer auf ihn losging. Der Mann ging dann immer in die Defensive, wusste keinen Ausweg mehr. Es gibt bisher keine repräsentative Statistik über die Verteilung der Gewalt zwischen den Geschlechtern.

Schätzungen gehen davon aus, dass fünf bis zehn Prozent der Gewaltopfer Männer sind. Um die Gewaltspirale zwischen den Geschlechtern zu durchbrechen, hat sich vor zwei Jahren in Berlin eine Initiative um den Familienberater gebildet, die das bundesweit erste Männerhaus gründet will. Im Mai könnte es öffnen, die Behörden halten es jedoch bisher nicht für nötig, neben den bundesweit über 400 Frauenhäusern, auch ein Männerhaus finanziell zu unterstützen.

In der Partnerin spiegelt sich häufig die Mutter

Wenn Männer in der Kindheit ihre Mütter als gewalttätig erlebten, verlören sie oft auch bei ihren Frauen das Selbstwertgefühl, sagt Thiel. Vor allem, wenn Frauen in der Familie das Regiment führten und den Mann kontrollierten.

„Männer suchen sich nicht selten genau die Partnerin, mit der sie die Verhaltensmuster der Kindheit wiederholen, weil sie ihnen vertraut sind“, so der Familienberater. Männer bräuchten in Partnerschaften häufig einen besonderen Freiraum, dagegen wünschten sich viele Frauen intensive Nähe. Aus solchen Gegensätzen ergäben sich manchmal Konflikte mit fatalen Folgen.

Thiel hat durch seine Beratungstätigkeit beobachtet, dass in vielen Familien „ein ständiger Krieg“ zwischen den Geschlechtern im Gange ist. Selbst wenn es darum gehe, die Schuhe zu putzen oder das Geschirr zu spülen, staue sich auf beiden Seiten aggressive Energie an. Manche Frauen zögen einfach den Stecker des laufenden Fernsehers heraus, um die Aufmerksamkeit des Mannes zu gewinnen. Jemand erzählte Thiel, dass seine Frau ihm immer wieder den Weg in sein Zimmer versperrte, wenn er sich zurückziehen wollte. „Was kann der machen?“, fragt der Familienberater. Er könne die Frau wegschieben, um zu seinem Recht zu kommen. Das wiederum führe nicht selten zur Eskalation der Gewalt. „Wer ist nun das Opfer und wer der Täter?“, stellt Thiel in den Raum. Im Extremfall führten solche Konflikte dazu, dass ein Mann sich jahrelang die Dominanz und Gewalt der Frau im Alltag gefallen lasse „und plötzlich ermordet er seine Frau“, so Thiel. Dann werde das Opfer zum Täter und der Täter zum Opfer.

Eigene Wäsche zu waschen, macht selbstständig

Das Haus könne Männern in solchen familiären Krisen zu einem Neuanfang verhelfen. Psychologen sollen in Einzel- und Gruppengesprächen helfen, aus der emotionalen Abhängigkeit von ihrer Frau herauskommen. Manche Männer brauchten ganz praktische Hilfe im Alltag. Sie müssten lernen, alte Gewohnheiten zu überwinden. So einfache Tätigkeiten wie das Waschen der eigenen Wäsche und das Aufräumen des eigenen Zimmers trügen dazu bei, aus der Abhängigkeit herauszufinden. Viele empfinden Schamgefühle dabei, sich ihre Hilflosigkeit einzugestehen. Umso wichtiger sei ein Angebot, dass Männer in Krisen nicht nur als Täter verdächtigt, sondern auch als Opfer von Gewalt respektiert werden. Die Betreuung des Ehepartners könne letztlich auch mancher Frau den Weg ins Frauenhaus ersparen, wenn Männer ihren Anteil an der Gewaltdynamik aufarbeiten würden.

22.02.2003
Sächsische Zeitung (Magazin)