Häusliche Gewalt - Die Wahrheit dazu

Mainz, 06.09.2007: Häusliche Gewalt wird von den Opfern oft als noch bedrückender und demütigender empfunden als die Gewalt unter Fremden. Man fühlt sich ihr noch hilfloser ausgeliefert, möchte wegen ambivalenter Gefühle die verletzende Person nicht verlieren und hofft darauf, daß doch noch alles gut werden wird. Deshalb ist es richtig, daß dieses Problem auf die kriminalpolitische Tagesordnung gekommen ist.

Von Prof. Dr. Dr. Michael Bock

Lehrstuhl für Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug und Strafrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Um so schlimmer freilich, daß sich dieses Themas partikulare Interessen bemächtigt haben. Die aktuellen Projekte zur Bekämpfung häuslicher Gewalt kennen trotz vordergründig geschlechtsneutraler Bestimmungen nur Männer als Täter und Frauen als Opfer. Sie sehen mehr Kontrolle oder Strafe nur für Männer vor und mehr Hilfe und Schutz nur für Frauen. Männer und alte Menschen, die Opfer weiblicher Gewalt werden, haben keine Chance, Kinder nur, wenn zufällig der Vater prügelt. In der ersten und zweiten Lesung des sogenannten „Gewaltschutzgesetzes“ im Bundestag wurde dies wieder an den Stellungnahmen der maßgeblichen Frauenpolitikerinnen deutlich. „Der Schläger geht, die Geschlagene bleibt“ war das Motto.

In zahllosen Initiativen der einschlägigen Länderministerien, der kommunalen Präventivräte oder auch rein privater oder kirchlicher Vereine wird das Thema „häusliche Gewalt“ auf diese Weise behandelt. Die Ächtung männlicher Gewalt und die Entfernung von tatsächlich oder vermeintlich gewalttätigen Männern aus ihren Wohnungen ist längst Gegenstand einer breiten gesellschaftlichen Kampagne. In Baden-Württemberg werden im Stil von Sportnachrichten immer neue Rekorde in der Zahl von „Roten Karten“ – so die populäre Bezeichnung für die polizeirechtliche Maßnahme des Platzverweises – gemeldet. Die Zeiten, in denen Polizei und Gerichte in Fällen häuslicher Gewalt abgewiegelt oder nur sehr zögerlich reagiert haben, gehören längst der Vergangenheit an – solange es um Männer geht!

Warum aber überhaupt dieses Auseinanderdividieren von Tätern und Opfern nach Geschlecht? Es wird behauptet, dies entspreche der empirischen Wirklichkeit. Männer seien tatsächlich die Täter und Frauen die Opfer. Doch der internationale Forschungsstand lehrt etwas anderes. Repräsentative Befragungen belegen es überdeutlich und in großer Zahl: schwere physische Gewalt zwischen Partnern ist zwischen Männern und Frauen ungefähr gleich verteilt. Nur Studien, die sich auf das selektive Material öffentlich registrierter Fälle verlassen und damit methodisch in die Falle des Dunkelfeldes tappen, finden mehr Frauen als Opfer und mehr Männer als Täter. Aber auch dies klärt sich leicht auf. Männer verlieren, wenn sie als Opfer weiblicher Gewalt an die Öffentlichkeit gehen: mindestens ihr Gesicht und ihre Selbstachtung, falls man ihnen überhaupt glaubt. Frauen gewinnen hingegen: Aufmerksamkeit, materielle und emotionale Unterstützung, die Wohnung, bessere Chancen in allen familienrechtlichen Auseinandersetzungen. Und ein Problem, irgendwen von ihrem Opferstatus zu überzeugen, haben sie auch nicht. Kein Wunder also, daß Studien über öffentlich registrierte Fälle eine geschlechtsspezifische Schlagseite haben, während die Studien mit unausgelesenen Stichproben ans Licht gehört zur elektromagnetischen Strahlung, es umfasst den für Menschen sichtbaren Spektralbereich zwischen UV-Strahlung und Infrarotstrahlung.Licht bringen, wie es sich tatsächlich verhält.

Inzwischen liegen erstrangige wissenschaftliche Arbeiten vor, in denen die entsprechenden Studien methodisch hinterfragt, kritisch gewürdigt und bezüglich der Haupttendenz der Ergebnisse zusammengefaßt werden. Der britische Wissenschaftler John Archer (Sex differences in aggression between heterosexual partners: A meta-analytic review; Psychological Bulletin 2000, S. 651-680) kommt dabei zu folgenden Befunden: Aggressives Verhalten legen Frauen und Männer nahezu gleich häufig an den Tag. Meßmethoden, Art und Größe der Stichproben sowie einige sonstige Unterschiede der in die Analyse einbezogenen insgesamt 82 Untersuchungen bewirkten nur geringe Abweichungen von diesem Gesamtbefund. Bei den wahrgenommenen Verletzungen gibt es ein leichtes Übergewicht für die Frauen (bei einer Gesamtberechnung 62% der Fälle). Aus Deutschland ist allein die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ) herausgegebene Untersuchung (Wetzels, Peter u. a.: Kriminalität im Leben alter Menschen, 1995) bekannt geworden. Sie nennt Opferzahlen von 246.000 Frauen und 214.000 Männern.

Oft sind es beide Partner, die Gewalt anwenden. Schwere physische Gewalt ist meist nur das Ende einer langen Kette von Eskalationen und wechselseitigen psychischen und verbalen Demütigungen und Verletzungen. Dieser Befund stellt die etwas bequeme Rückzugsposition in Frage, immerhin bekämpfe man mit der männlichen Gewalt die Hälfte der Gewalt. Denn an diesen Verhaltensmustern von Frauen und Männern läßt sich nachhaltig nur etwas verändern, wenn die gemeinsame „Geschichte“ dieser konfliktreichen Beziehungen auch gemeinsam bearbeitet wird. Alle konstruktiven Formen von kommunikativer Konfliktlösung, von Therapie oder Mediation werden jedoch von vornherein im Keim erstickt, wenn einem der beiden Konfliktpartner, nämlich der Frau, ein rechtliches Instrumentarium in die Hand gegeben wird, mittels dessen sie nicht nur völlig risiko¬los und wirksam den „störenden“ Partner enteignen und loswerden, sondern vor allem eine einseitige Rollenverteilung zwischen einem bösen Täter und einem guten Opfer rechtlich und sozial verbindlich machen kann. Dies aber bewirkt nichts als eine verständliche Verhärtung auf seiten des zu unrecht als allein schuldig stigmatisierten Mannes und zu einer Verdrängung oder Verharmlosung des eigenen Anteils an der Gewaltgeschichte auf seiten der allein als Opfer umsorgten Frau. Sind Kinder vorhanden, so werden sie bei ihren Eltern keine Verhaltensänderung erleben, die eventuell noch die schon durch Gewalterlebnisse angerichteten Schäden kompensieren könnten. Gehen die beiden gewalttätigen Partner neue Partnerschaften ein, wiederholen sich dieselben Mechanismen, weil durch die Maßnahmen des Gewaltschutzgesetzes nur Siegerinnen und Verlierer produziert werden, aber keine in Lernprozessen gewachsenen Partner.

Es geht aber gar nicht nur um Männer und Frauen, sondern auch um Kinder und Senioren. Ist erst einmal häusliche Gewalt als männliche Gewalt identifiziert, wird dadurch verschleiert, daß bei der Gewalt gegen Kinder und Senioren Frauen sogar stärker beteiligt sind als Männer. Das Argument, Frauen seien auch häufiger mit der Erziehung und der häuslichen Pflege befaßt, mag ebenso richtig sein wie der Umstand, daß oft Überforderung der Grund für Kindesmisshandlung und die Gewalt gegen ältere Menschen ist, nur ändert sich dadurch an den Fakten und am Interventionsbedarf nichts. Bei Männern hingegen werden Belastungs- und Stressargumente überhaupt nicht genannt und nicht gehört. Die Gewalt erscheint hier als das frei gewählte Böse.

Angesichts des internationalen Forschungsstandes wird die Einseitigkeit und Lückenhaftigkeit der derzeitigen Gewaltschutzpolitik offensichtlich. Es drängt sich dann allerdings die Frage auf, wieso man das Offensichtliche nicht zur Kenntnis nehmen will. In der Begründung ihres Gesetzesentwurfs schweigt sich die Bundesregierung komplett aus, was nur den Schluß zuläßt, daß sie entweder sträflich ignorant ist oder eine bewußte Desinformationspolitik betreibt. Als Sozialwissenschaftler ist man in solchen Fällen gewohnt, zu fragen: cui bono? Die Antwort ist einfach. Es gibt Status, Geld und Stellen zu verteilen im Kampf gegen die häusliche Gewalt, einschließlich der notwendigen Begleitforschung. Das Monopol von Frauen auf den Opferstatus spiegelt sich in der Bezeichnung von Ministerien, in Spezialabteilungen bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft, in Arbeitsgruppen der Präventivräte, in Abteilungen der Kirchen und der Freien Träger wider. Es ist der Frauenbewegung gelungen, die Definitionsmacht über ein soziales Problem zu erringen und die Sozialpolitik in diesem Sinne ideologisch und institutionell zu imprägnieren. Nicht nur Geld, ganze Identitäten hängen inzwischen von diesem Monopol ab, denn ohne dieses würden aus „Expertinnen“ Interessenvertreterinnen, auf den Glanz des „Helfens“ fiele ein häßlicher Schatten, wenn man es den meisten Opfern vorenthält und die solidarischen Frauennetzwerke kämen in den Geruch von Filz und Basenwirtschaft. Deshalb muß dieser Monopolstatus verteidigt werden und deshalb ist die Wahrheit so bedrohlich.

Aber wie kann das funktionieren? Wie kommt es, daß im Medienzeitalter und in einer wissenschaftlichen Zivilisation erfolgreich die Wahrheit verschleiert werden kann? Das gelingt nur bei den großen Tabus einer Zeit, bei den tief verankerten Mythen und Vorurteilen, gegen die Informationen und Aufklärung machtlos sind. Bei Dogmen, an denen „kontrafaktisch“ festgehalten wird. Und auf diesem Felde bewegen wir uns leider auch im Falle der häuslichen Gewalt. Die Ikone der helfenden, gütigen Mutter kann nicht beschädigt werden, weil das nicht sein darf.

Man erkennt dies an der Dramaturgie des Tabubruchs. Die erste Reaktion ist das spontane Negieren: „das glaub‘ ich nicht“, „das kann gar nicht sein“, „Frauen sind doch viel schwächer“! Wenn der Tabuverletzer die Stirn hat, weiterhin Ergebnisse und Fakten zu präsentieren, muß das Tabu anders geschützt werden. Etwa durch Witze und gequältes Lachen. Der Tabuverletzer soll mitlachen. Nur ein Scherz am Rande wäre es dann gewesen. Wenn dieser es aber nicht so witzig findet, wenn viele Gewalt¬opfer ohne Schutz und Hilfe bleiben, bleibt nur noch die Möglichkeit, ihn persönlich als Zyniker, als Frauenhasser oder heimlichen Mittäter zu marginalisieren, damit nicht mehr zählt, was er sagt.

Es sind Frauen und Männer, die so reagieren. Parteiübergreifend und öffentlich-rechtlich ausgewogen. Männer in vermeintlicher Ritterlichkeit oft noch eifriger und eifernder. „Männer gegen Männergewalt.“ In den nicht zu leugnenden Fällen weiblicher Gewalt haben die Männer „es verdient“, ist dann zu hören. Dieses Stereotyp bedienen auch viele Filme und Werbespots, in denen es „verdiente“ Ohrfeigen und Tritte für Männer hagelt. Ganz ähnlich wie man früher vergewaltigten Frauen vorhielt, sie seien Schlampen, hätten es provoziert oder sogar noch Spaß daran gehabt, fürchten Männer heute eine sekundäre Viktimisierung. Nach der primären Viktimisierung, der eigentlichen Opfererfahrung zu Hause erleben sie eine zweite Verletzung in Form von öffentlicher Degradierung: am Stammtisch, vor Gericht, im Fernsehen. Sie sind Weicheier, Pantoffelhelden und sofort im Verdacht, durch eigenes Fehlverhalten plausible Gründe geliefert zu haben.

Das ist die geistige Wand, gegen welche die meisten männlichen Gewaltopfer nicht laufen wollen. Doch mit ihrem Schweigen verfälschen diese Männer erneut die Statistik der öffentlich registrierten häuslichen Gewalt, von der die „Expertinnen“ wieder empört berichten und neue Maßnahmen fordern können. Und so reproduziert sich eine kriminalpolitische Kampagne, bei der die Stillen im Lande und die wirklich Schwachen leer ausgehen. Das neue Gewaltschutzgesetz wird diese Schieflage zementieren. Allein die Anschuldigung der Drohung von Gewalt gegen die Frau oder die Kinder soll genügen, den Mann der Wohnung zu verweisen und er wird sich hinterher gegen eine anders lautende Normalitätsvorstellung vor Gericht nicht durchsetzen können. Eine „Erstschlagswaffe“ hat ein Gutachter deshalb das Gesetz genannt. Der mit einem Verfahren nach diesem Gesetz überzogene Mann wird – ganz gleich wie es am Ende ausgeht - nicht nur das Sorge- und das Umgangsrecht verlieren, sondern auch Achtung und Liebe seiner Kinder, denn es gibt neben dem Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs kein besseres Mittel, den „bösen“ Vater als die Quelle allen Übels hinzustellen, als wenn man sogar die Polizei braucht, um sich vor ihm zu schützen.

Autor: Prof. Dr. Dr. Bock