"Männern wird Opferrolle nicht geglaubt"

Interview mit Professor Dr. Dr. Michael Bock von der Universität Mainz

MARBACH/MAINZ. Michael Bock ist Professor für Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug und Strafrecht an der Universität Mainz. Er beschäftigt sich seit rund zwei Jahren intensiv mit dem Thema häusliche Gewalt und sieht den derzeitigen Umgang mit dem Problem überaus kritisch.

MZ: Was halten Sie von den Projekten, die sich derzeit mit dem Problem der häuslichen Gewalt beschäftigen?

Professor Michael Bock: Diese Projekte leiden daran, dass sie häusliche Gewalt als männliche Gewalt definieren. Angesichts des international gut gesicherten Befundes, daß die physische Gewalt in Partnerschaften zwischen Männern und Frauen gleich verteilt ist, kann dies nur als grotesk bezeichnet werden. Dadurch wird nicht nur die Gewalt gegen Männer ausgeblendet, sondern auch die gegen Kinder und alte Menschen, die Opfer von Frauengewalt werden.

Passen Männer nicht in die Opferrolle?

Wollen sie es vielleicht gar nicht? Nein, Männer gelten als Flaschen, als Weicheier, wenn sie zugeben, von einer Frau geschlagen worden zu sein. Sie verlieren ihr Gesicht. Oft wird ihnen aber auch ihr Opferwerden gar nicht geglaubt. Deshalb werde ich auch von Feministinnen gerne mit der ironischen Frage konfrontiert, warum denn nicht Männerhäuser wie Pilze aus dem Boden schießen. Ja, warum wohl nicht?!

Warum gehen fast nur Frauen als Opfer an die Öffentlichkeit?

Frauen gewinnen durch diesen Schritt in jeder Hinsicht. Aufmerksamkeit, materielle und emotionale Unterstützung, die Wohnung, bessere Chancen in allen familienrechtlichen Auseinandersetzungen. Kein Wunder also, daß Studien über öffentlich registrierte Fälle eine geschlechtsspezifische Schlagseite haben, während repräsentative Studien ans Licht bringen, wie es sich tatsächlich verhält, dass nämlich Frauen in gleichem Umfang Gewalt gegen den Partner einsetzen wie Männer.

Warum regt sich an der frauenorientierten Behandlung dieses Problems keine Kritik auf Männerseite?

Nur wenige Frauen und Männer werden tatsächlich in relevantem Umfang Opfer häuslicher Gewalt. Die meisten Männer haben deshalb diese der Realität überhaupt nicht entsprechende Normalitätsvorstellung genau wie die Frauen voll verinnerlicht. Sie fühlen sich als Ritter und Rächer der Enterbten. Zu dieser Normalitätsvorstellung gehört, dass die unabweisbaren Fälle von weiblicher Gewalt dadurch gerechtfertigt werden, dass es der Täter »verdient« hat oder eine Notwehr- oder Verteidigungssituation vorgelegen hat.

Was unterscheidet weibliche Gewalt von männlicher?

Gewalt ist kulturell vermittelt und hat deshalb viele Gesichter. Das macht Vergleiche schwer, vor allem, wenn man die subtileren Formen von psychischer, verbaler oder struktureller Gewalt in die Betrachtung einbezieht. Aus den empirischen Untersuchungen wissen wir, dass bei der physischen Gewalt Frauen eher beißen, kratzen und treten, während Männer sich eher die Faust benutzen.

Wie kommt es zu der Annahme, dass fast ausschließlich Frauen die Opfer häuslicher Gewalt sind?

Das entspricht überkommenen Klischees und Stereotypen, die durch die Frauenbewegung noch intensiviert worden sind. Die entgegenstehenden Befunde sind längst bekannt, auch vielen meiner Kollegen, die jedoch aus Feigheit und Opportunismus schweigen. Allerdings gibt es auch eine bewusste Desinformation der Öffentlichkeit durch die entsprechenden Funktionsträger in den Ministerien. Ich hoffe, daß die Medien endlich hellhörig werden.

Wie ist es zu erklären, dass die Zahlen bekannt sind, aber in der Politik keine Beachtung finden?

Weil nichts für Wahlen schädlicher ist als Positionen, die irgendwie als »frauenfeindlich« aufgespießt werden könnten. Das gilt für alle Parteien. Es gibt keine Vertretung von Männerinteressen, keine entsprechenden Ministerien, keine Männerbeauftragten. Es gibt überhaupt kein Bewußtsein für Männer als eine mögliche sozialpolitische Zielgruppe. Frauenförderung hingegen ist immun gegen Kritik. Stellen Sie sich nur vor, ein Politiker würde fordern, die Anspruchsberechtigung für die Aufnahme in ein Frauenhaus von unabhängigen Gutachtern überprüfen zu lassen oder die Belegung und die Finanzierung dieser Einrichtungen kritisch zu überprüfen. Meines Wissens nach wagt das nicht einmal der Rechnungshof.
 

07.04.2001
Marbacher Zeitung
Fragen von Robert Stadthagen