Wertesystem wieder zurechtrücken

Frauen aus Gewaltbeziehungen führen oft langen Rechtsstreit / Sorgerecht schwer zu erhalten

Von Serhat Ünaldi

Minden (üna). Es gibt Gesetze, die zwar gut gemeint sind, aber in der Praxis ungeahnte Folgen haben. Das Kindschaftsreformgesetz gehört dazu.

Die Rechtsanwältin Ricarda Wilhelm war anlässlich der kreisweiten Aktionstage gegen häusliche Gewalt aus Berlin angereist. Im Kreishaus berichtete sie über die Tücken des 1998 wirksam gewordenen Kindschaftsreformgesetzes.

"Es sollte einerseits unverheirateten Paaren ein gemeinsames Sorgerecht für das nichteheliche Kind ermöglichen. Zum anderen wurde es nach einer Scheidung einfacher, dass beide Elternteile das Sorgerecht bekommen konnten", so Ricarda Wilhelm.

Die neue Regelung hatte aber auch negative Folgen: Es ist nun schwieriger, das alleinige Sorgerecht zugesprochen zu bekommen. Daher ist es auch für Frauen aus Gewaltbeziehungen nicht mehr einfach, dem gewalttätigen Vater den Kontakt zum Kind zu verbieten. "Meist folgt ein nervenaufreibender Streit vor Gericht", erklärt die Juristin die aktuelle Situation.

"Die Aufgabe von Anwälten ist heute leider auch, Frauen aus Gewaltverhältnissen darüber zu informieren, dass ihnen ein langer Rechtsstreit bevorsteht", so Ricarda Wilhelm. Ein schwebendes Sorgerechtsverfahren sei dabei nicht nur für die Mütter belastend, sondern auch für die Kinder. "Die brauchen in der Zeit nach der Flucht eine starke Mutter. Wenn eine Frau aber in Angst leben muss, ihr Mann könne ihr das Kind rechtlich abgesichert wegnehmen, ist sie schwach", erklärt die Rechtsanwältin die negativen Folgen des Gesetzes.

Frauen gewalttätiger Männer hätten seit der Verabschiedung des Gesetzes keine Sicherheit mehr. Solange dem Mann nicht das Sorgerecht entzogen worden sei, dürfe er sich ungestraft dem Kind nähern.

"Im Moment vertreten wir eine Frau, deren Mann die gemeinsame Tochter nach Pakistan mitgenommen hat. Der Kontakt zwischen dem Kind und dem Ex-Mann war durch das Kindschaftsreformgesetz rechtmäßig", berichtet die Juristin, die sich seit langem mit der Vertretung von misshandelten Müttern und Kindern beschäftigt.

Um den Makel des Gesetzes zu beheben, seien die Behörden gefragt, so Ricarda Wilhelm. Sorgerechtsfälle müssten so schnell wie möglich geklärt werden. Gerichte dürften keinen Schwebezustand schaffen und Jugendämter müssten klar Stellung beziehen. Ihre Aufgabe sei es, sich vor dem Richter mit sachlich fundierten Aussagen für das Wohl des Kindes einzusetzen.

"Auch wenn der Vater nur ein Umgangsrecht eingeräumt bekommt, ist das für die Mutter schon belastend und damit auch für das Kind. Manchmal muss sich ein Richter dazu durchringen, dem Vater den Kontakt strikt zu untersagen."

Schließlich sei es wichtig, dass der gewalttätige Ehemann auch vor Gericht bestraft würde. "Ihm muss klar gemacht werden, dass er etwas falsch gemacht hat. Das Wertesystem muss wieder zurechtgerückt werden", so die Juristin. Bei einer offensichtlich falschen Entscheidung solle das Jugendamt in Beschwerde gehen.

"Ich habe einmal eine türkische Frau vertreten, die vor ihrem gewalttätigen Mann geflohen war. Ihre Kinder sagten vor Gericht aus, dass sie nie wieder etwas mit dem Mann zu tun haben wollten. Die Familienrichterin entschied trotzdem für ein Umgangsrecht des Vaters. Nachdem Beschwerde eingelegt wurde, hob das Oberlandesgericht das Urteil später wieder auf", berichtete die Juristin aus ihrer praktischen Erfahrung.

Vor dem Hintergrund offensichtlich unwissender Richter bemängelte Ricarda Wilhelm, dass zu ihrem Vortrag kaum Vertreter der Justiz erschienen waren. "Ich musste mir mein Wissen über das Thema auch durch Fortbildungen aneignen. Richter scheinen das alles schon mit der Muttermilch aufgesogen zu haben."

07.02.2002
www.mt-online.de/minden/t00113138.htm
 



Gut, dass ich nicht mit Frau Ricarda Wilhelm verheiratet bin.
Thomas