Familienministerin Christine Bergmann sucht Ergebnisse, nicht Symbole

Überzeugungstäterin mit Drang zu praktischer Arbeit

Christine Bergmann ist ständig auf Achse, aber selten zu sehen. Die Fernsehkameras filmen andere. Nach einem Jahr im Kabinett ist die Familienministerin dennoch zufrieden: "Die Ergebnisse stimmen."

Von Stefan Braun, Berlin

Diese Frau lacht nicht, jedenfalls nicht oft. Und schon gar nicht in Talkshowkameras. Sie ist Ministerin, sie streitet für die Rechte der Kinder, der Senioren, der Familien und der Frauen. "Das ist meine Aufgabe. Die will ich erfüllen, ohne das ewig gleiche Lächeln in die Objektive." Christine Bergmann, seit einem Jahr Ministerin im Kabinett von Gerhard Schröder, arbeitet viel, macht aber kein großes Aufheben davon. Sie ist nicht unbedingt ein Liebling der Medien. In der rot-grünen Bundesregierung steht sie nicht im Vordergrund. Im Kabinett ist sie sogar schon kräftig abgemeiert worden bei ihrem Kampf für flexiblere Erziehungszeiten und mehr Teilzeitarbeitsplätze. Und das, weil sich der Kanzler - so wird kolportiert - mit all dem "Gedöns" nicht beschäftigen mochte. Aber ob solche Geschichten vom Kabinettstisch stimmen oder nicht - Bergmann wird sich durch solches Gerede nicht von ihrem Weg abbringen lassen. Sie ist eine Überzeugungstäterin. Und sie fühlt sich viel wohler unter denen, für die sie sich einsetzt, als unter denen, die mit ihr zu kämpfen vorgeben.

Manchmal lächelt sie dabei sogar. Wie beim Besuch der Bertolt-Brecht-Oberschule in Berlin-Spandau. Da sind keine Politikerfreunde in der Nähe. Um Christine Bergmann herum stehen Schüler, die stolz ihre Arbeit präsentieren. Und das Projekt, das sie vorstellen, entspricht so ganz dem Geschmack der Ministerin. Jungen und Mädchen haben "unter der Obhut der Schule" ein eigenes kleines Unternehmen gegründet. "Digiphoto GmbH", nennt sich die Gesellschaft mit ihren 14 jungen Anteilseignern. Mit modernster digitaler Fototechnik fertigt die Firma Schülerausweise und Fotoalben. Die Auftragsbücher sind voll, der Gewinn steigt, und der Geschäftsführer ist - eine Frau. Fantasie, Initiative und das unter weiblicher Leitung, in solchem Umfeld fühlt sich Bergmann besonders wohl. So wohl, dass sie sich gleich selbst um einen Schülerausweis bewirbt. "Eine alte Schülerin bin ich schon", gibt sie zu, "aber ich war immer eine Spätentwicklerin."

Das ist die gebürtige Dresdnerin tatsächlich. Und sie ist stolz darauf. Denn die heute 60-Jährige legte zwar schon mit 24 das Staatsexamen als Pharmazeutin ab, setzte sich mit Ende vierzig aber noch einmal in die Hörsäle und machte mit 50 Jahren ihren Doktor. Im gleichen Jahr 1989 beginnt ihre politische Karriere. Nach Öffnung der Mauer tritt die Ostberlinerin der neu gegründeten SPD in Berlin-Hellersdorf bei. Nach den ersten freien Kommunalwahlen in Ostberlin am 6. Mai 1990 wird Christine Bergmann zur Parlamentspräsidentin gewählt. Schon im Herbst des gleichen Jahres kommt die stellvertretende Berliner SPD-Chefin ins Abgeordnetenhaus, nach den Koalitionsverhandlungen mit der CDU wird sie Stellvertreterin des Regierenden Bürgermeisters und kümmert sich fortan als Senatorin um den Arbeitsmarkt in der Hauptstadt. Als "unkonventionell, fleißig und kreativ" wird ihre Arbeit in dieser Zeit auch von denen beschrieben, die nicht Parteigänger der SPD sind. In der eigenen Partei weist der Weg weiter nach oben: 1994 Mitglied in Rudolf Scharpings Schattenkabinett, 1998 Mitglied im gleichen Gremium unter Gerhard Schröder. Und seit Herbst vergangenen Jahres "Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend".

Ihre Karriere zeugt von Zähigkeit und Ehrgeiz. Und von dem, was die leidenschaftliche Wanderin meint, wenn sie sagt: "Seh ich 'nen Berg, dann zwickt's mich in der Wade." In den vergangenen 13 Monaten hat sie der eigene Berg an Aufgaben ständig gezwickt. Diesen Eindruck gewinnt jedenfalls, wer sich anschaut, was sie in ihrem ersten Ministerjahr alles initiiert, begleitet, als Schirmherrin befördert hat: die Aktion "Frauen ans Netz", der runde Tisch zum "Interventionsprogramm gegen häusliche Gewalt", der "Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen", das Programm "Frau und Beruf - Aufbruch in der Gleichstellungspolitik", die Initiative "Ein Koffer voller Kinderrechte". Die Liste ist lang. Und längst nicht alles führt sofort zu Erfolgen. Zum einen, weil "man Gesetzesänderungen nicht mit Änderungen des Bewusstseins verwechseln darf"; zum anderen, weil "wir in den ersten Monaten ständig auf hoher See waren in der Koalition". Das, so meint die Berlinerin, scheint sich zu ändern. "Das ruhigere Fahrwasser brauchen wir dringend. Ansonsten haben meine Themen kaum eine Chance."

Hoffnung zieht Bergmann dabei nicht nur aus der Tatsache, dass die rot-grüne Bundesregierung den Eindruck erweckt, als sei sie endlich entschlossen, sich nicht mehr intern aufzureiben, sondern Sachpolitik zu betreiben. Chancen sieht sie auch durch einen möglichen Brückenschlag mit Angela Merkel in der CDU. Mit ihr teilt Bergmann nicht nur die "doppelte Quote" - also ostdeutsch und Frau -, sondern auch das Engagement für eine neue, moderne Familienpolitik. Offiziell mag die Ministerin von einem solchen Brückenschlag nicht sprechen. Offiziell sieht sie in Merkels Reformen vor allem den Beweis, "dass die alte Regierung in 16 Jahren an der Macht versagt hat". Inoffiziell aber erkennt Christine Bergmann an, wie wichtig Merkels Einsatz in der CDU auch für ihr eigenes Engagement ist. Schiebt die Generalsekretärin der Oppositionspartei, dann hilft das der Ministerin am Kabinettstisch ungemein.

Doch lieber als über Merkel spricht sie über jene, die ihr wirklich am Herzen liegen: Kinder. Und das hat auch mit den eigenen Enkelkindern zu tun. Wenn Christine Bergmann Entspannung sucht, dann bei ihnen. Dann spielt sie "Mensch, ärgere dich nicht!", wirft Bälle durchs Wohnzimmer und schwingt bei "Cowboy und Indianer" auch mal Plastikpistole oder Gummi-Tomahawk. "Den Kindern kannst du nicht ausweichen, nichts vormachen. Die sind, wie sie sind. Und du plötzlich auch." Das sei es, was ihr Freude mache und Entspannung bringe. "Dabei ist mir ganz egal, ob ich Squaw bin oder Sheriff."
 

04.01.2000
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