L'Express vom 20.06.2005

Die Wahrheit über Partnergewalt

von Elisabeth Badinter

In den Untersuchungen und Abhandlungen über Partnergewalt klingt die Rollenteilung wie eine Selbstverständlichkeit: die Männer sind Täter und die Frauen sind Opfer. Eine begründete Annahme, die sich auf die Fakten und Statistiken stützt, wenn es sich um physische Formen der Gewalt, Schläge, Vergewaltigungen oder Morde handelt. Jedoch werden in der Mehrzahl der dazu vorliegenden Arbeiten und der daraus abgeleiteten Beschwörungsformeln alle Arten von Partnergewalt - die der Handgreiflichkeiten und die der Worte - miteinander vermengt. Dieser Aufsummierung unterliegt auch die einzige, in Frankreich zu diesem Thema durchgeführte und 2001 veröffentlichte seriöse Studie, die "Enquête nationale sur les violences envers les femmes en France" (Enveff). Aus deren Ergebnissen wurde ein "globaler Index" für Partnergewalt abgeleitet: 10% der Frauen erklären, Opfer derselben zu sein. Diese erschreckende Zahl und die verwendete Terminologie verdecken jedoch den Umstand, dass drei Viertel dieser "Gewalt" aus psychischen Aggressionen wie Beschimpfungen, Verunglimpfungen oder Belästigungen besteht. Daraus ergibt sich die Frage: werden nicht auch die Männer Opfer dieser psychischen Aggressionen, deren sie so massiv beschuldigt werden? Nach der vom Meinungsforschungsinstitut BVA für L'Express durchgeführten Studie erklären Männer und Frauen etwa in gleichem Umfang, Opfer dieses Beziehungskrieges zu sein, bei deren Einordnung in die Kategorie "Gewalt" man unwillkürlich zögert. Zu gravierend ist dieses Phänomen, um es Wortgefechten zu überlassen. Stattdessen gilt es, sich an die Fakten zu halten: genau dies ist der Sinn der von der Philosophin Elisabeth Badinter zu diesem Thema geführten Auseinandersetzung. Wir veröffentlichen ihren Vortrag, den sie bei einer Diskussionsveranstaltung von Amnesty International am 16. Juni in Lyon gehalten hat.

Diese Untersuchung ist eine große Premiere. Frauen und Männern dieselben Fragen zu den innerhalb ihrer Partnerschaft bestehenden Spannungen zu stellen, kommt einem Bruch mit dem herrschenden Diskurs über "Partnergewalt" gleich. Die Feststellung, dass sich Männer und Frauen etwa gleichermaßen übereinander beklagen (und dass Männer sogar doppelt so viele Beschimpfungen über sich ergehen lassen müssen wie Frauen), verstärkt das von mir stets empfundene Unbehagen, einerseits gegenüber der üblicherweise gewählten Methode, um über Gewalt gegen Frauen zu sprechen, und andererseits im Hinblick auf die Schlussfolgerungen, die man daraus zieht.

Zunächst einmal ist die Methode, auf die sich die meisten Institutionen oder Vereinigungen berufen, eine verallgemeinernde: man sagt uns, die Gewalt der Männer gegen die Frauen sei universell. Beispielsweise liest man in der Broschüre von Amnesty International (2004): "Überall auf der Welt erleiden Frauen Gewalthandlungen oder -drohungen. Dieses gemeinsame Schicksal erstreckt sich über Landes-, Einkommens-, Rassen- und kulturelle Grenzen hinweg. Zu Hause wie auch in ihrem Lebensumfeld, in Zeiten des Krieges wie des Friedens werden Frauen ganz ungestraft geschlagen, vergewaltigt und verstümmelt."
Ein Zweikampf

Aus allen ausgewerteten Tabellen geht klar hervor: Beziehungskriege werden von zwei Parteien geführt. Vom Institut BVA zu den Spannungen befragt, die sie in den letzten zwölf Monaten in ihrer Paarbeziehung erlebt haben, äußerten alle Franzosen im Alter von 20 bis 59 Jahren das Gefühl, mindestens eine der in dieser Untersuchung getesteten Situationen durchlebt zu haben. 44% der befragten Personen mussten sich von ihrem Partner unfreundliche Bemerkungen über ihre eigene Familie oder über ihre Freunde/Freundinnen anhören. 34% fühlten sich herabgewürdigt und kritisiert. 30% waren eifersüchtigen Fragen ausgesetzt: "Wo warst du, mit wem?" 29% erlebten, dass der Andere über beträchtliche Ausgaben entscheidet, ohne auf ihre Meinung Rücksicht zu nehmen. Und 25% mussten damit klar kommen, dass er "aufhörte zu sprechen, jede Diskussion verweigerte", also stinksauer war. Es kommt noch schlimmer, aber das trifft seltener zu. 23% mussten sich unfreundliche Bemerkungen über ihre körperliche Erscheinung anhören ("Du bist hässlich!") und 22% über ihr sexuelles Gebaren. 23% werfen ihrem Partner vor, sich im privaten Umfeld und mitunter in der Öffentlichkeit verächtlich gegenüber ihren Meinungen geäußert zu haben (13%).

Aber das interessanteste versteckt sich anderswo. Für Überraschung sorgen die Männer. Wie die Frauen machen auch sie geltend, gelegentlich angefahren, schlecht behandelt, in Verruf gebracht zu werden. Noch öfter als Frauen fühlen sie sich von der Eifersucht ihrer Partnerin belästigt: 18% von ihnen (gegenüber 12% der Frauen) erklären, der Andere hindere sie daran, mit anderen Frauen (Männern) zu sprechen. 34% der Männer (26% der Frauen) erklären, dass der Andere wissen möchte, mit wem und wo sie unterwegs waren, 33% (27% der Frauen), dass der Andere über wichtige Ausgaben entscheidet, ohne ihre Meinung zu berücksichtigen. Es seien die Frauen, die am wenigsten zögerten, kritische Bemerkungen zur körperlichen Erscheinung vom Stapel zu lassen. Und sie seien keineswegs die letzten, die Beschimpfungen oder Beleidigungen vorbringen: 15% der Männer behaupten dies, während 8% der Frauen ihren Partner dessen bezichtigen. Gewiss: es handelt sich hierbei um geäußerte Erklärungen, die mit Vorsicht zu genießen sind. Dennoch kann man davon ausgehen, dass es einem Mann nicht leicht fällt einzuräumen, dass er sich psychisch unter Druck gesetzt fühlt.

Über manche der erfragten Inhalte klagen mehr Frauen als Männer: ihr Partner "werte sie ab" (37%, gegenüber 30%) und stelle besonders rasch ihre sexuellen Kompetenzen in Frage (25%, gegenüber 19%). Festzuhalten ist auch: auf bestimmte Fragen antworten Frauen pessimistischer als in der "Enquête nationale sur la violence envers les femmes en France" von 2001. Der weniger düstere Rahmen unserer Befragung, die zudem einen geringeren Umfang aufweist, hat zweifellos dazu beigetragen, das Thema zu entdramatisieren und Meinungen freimütig zu äußern. Sie zeigt sehr gut, dass Männer und Frauen gleichermaßen in der Lage sind "Partnergewalt" auszuüben. Andererseits erlaubt sie keine Aussage zu all den Streitigkeiten, die auf verschiedenste Art - und meist zu Ungunsten der Frauen - in Schlimmeres abgleiten.

Diese Herangehensweise bedient sich einer Vermengung verschiedenster Arten von Gewalt, die jedoch sehr unterschiedlicher Natur sind: Gewalt in Zeiten des Krieges und in Zeiten des Friedens. Von Staaten ausgeübte Gewalt und privat ausgeübte Gewalt. Die Gewalt des Ehemanns oder Partners, diejenige des sexuellen oder sittlichen Belästigers, des Soldaten oder des Schwarzhändlers. Ebenso wenig unterschieden wird zwischen der in Bus oder Bahn belästigten Pariserin und der kleinen Nigrerin, die Opfer eines sexuellen Deals wird, oder der Jordanierin, die Opfer eines Verbrechens im Namen der Ehre wird. Psychische und körperliche Gewalt. Gewalt in totalitären, patriarchalen Staaten und Gewalt in demokratischen Staaten.

Diese Vorgehensweise unterstellt auch eine Art Kontinuum der Gewalt, indem sie die Androhung einer Ohrfeige in der Ehe und die Steinigung einer Ehebrecherin auf die gleiche Stufe stellt: "Die Hand auf dem Hintern in der U-Bahn, Pfiffe auf der Straße, Schläge, Be-schimpfungen, Demütigungen durch den Partner, Zwangsehen, vergewaltigte Mädchen, usw." (Collectif national pour les droits des femmes, 2005). Man trifft keine Unterscheidungen, sondern listet völlig verschiedenartige Handlungen auf, die eher einem Gemischtwarenladen ähneln, wo alles und nichts gleichermaßen Bedeutung erlangt: vom verbalen Angriff über die Ausübung psychischen Drucks bis hin zum körperlichen Übergriff.

Schließlich, so scheint mir, nimmt man es mit den Statistiken nicht so genau, und noch weniger mit deren Quellen oder deren Interpretation. So liest man in dem Heft von Amnesty: "Mindestens eine von drei Frauen wurde in einem Moment ihres Lebens geschlagen, zu Geschlechtsverkehr gezwungen oder auf diese oder jene Weise gewalttätig behandelt" (Population Reports, N° 11, Johns Hopkins, School of Public Health, Dez. 1999). Was bedeutet "auf diese oder jene Weise gewalttätig behandelt"? Diese unpräzise Floskel führt dazu, dass nur eine Sache im Gedächtnis haften bleibt, nämlich dass jede dritte Frau geschlagen oder vergewaltigt wird.

Schlimmer noch: im Internet findet man die Meldung, dass fast 50% der Frauen weltweit einmal in ihrem Leben von ihrem Partner geschlagen oder physisch misshandelt wurden". Nach Angaben des Europarats ist häusliche Gewalt für Frauen im Alter von 16 bis 44 Jahre die wichtigste Todes- und Invaliditätsursache, und zwar noch vor Krebserkrankungen oder Verkehrsunfällen. Diese Behauptungen spanischer Feministinnen aus dem Jahr 2003 werden überall zitiert, insbesondere in dem Bericht des Europarats. War ich die Einzige, die aufschreckte, als sie dies las? Die Statistiken des Institut National de la Santé et de la Recherche Médicale (INSERM) besagen für das Jahr 2001, dass 2.402 Frauen im Alter von 16 bis 44 Jahre an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben sind!

Die Nationale Untersuchung zur Gewalt gegen Frauen in Frankreich (Population & sociétés, Januar 2001) macht einen globalen Index von 10% für die gegen die Französinnen gerichtete Partnergewalt geltend, die sich seltsamerweise folgendermaßen zusammensetzt: Beschimpfungen und verbale Drohungen (4,3%), emotionale Erpressung (1,8%), Ausübung psychischen Drucks (37%), körperliche Angriffe (2,5%), davon wiederholt (1,4%), Vergewaltigungen und andere erzwungene sexuelle Praktiken (0,9%). Journalisten und Politiker übersetzen: 10% der Frauen in Frankreich werden geschlagen. Jahr für Jahr am 8. März dürfen wir uns diese falsche Behauptung anhören, ohne dass jemand auf den Gedanken käme, sich die Zahlen genauer anzuschauen oder sie zu berichtigen.

Vierte Illustration der werbewirksamen Nutzung von Statistiken: im Jahr 1980 publizieren zwei Forscherinnen, Linda MacLeod und Andrée Cadieux, einen Bericht über geschlagene Frauen in Québec und machen darin die Zahl von 300.000 geschlagenen Frauen und 52 von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordeten Frauen geltend. Über 24 Jahre hinweg werden die "300.000" zur Schlagzeile der feministischen Bewegungen in Quebec; bis das Institut de la statistique du Québec im Jahr 2004 eine Untersuchung veröffentlicht, die diesen Namen verdient, und die nicht mehr als 14.209 Frauen zählt, die sich als Opfer von Partnergewalt bezeichnen. Was die 52 von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordeten Frauen in Quebec betrifft, so findet sich in der Veröffentlichung der Sécurité publique du Québec für die Jahre 2000-2001 die Zahl von 14 Frauen und 7 Männern, die von ihrem Partner ermordet wurden. Linda MacLeod hat ihren Irrtum 1994 eingeräumt. Sie verteidigte sich mit den Worten: "Ich hatte keine Zweifel an dieser Zahl, weil sie für eine Realität stand, die von denjenigen Frauen und Männern untermauert wurde, die in vorderster Front arbeiteten. Das war eine zulässige Annahme." Ich stelle nicht den guten Glauben dieser Forscherinnen in Zweifel, aber ich komme nicht umhin zu denken, dass hier weniger nach der Wahrheit als nach der Bestätigung bereits bestehender Vorannahmen gesucht wird. Man saldiert männliche Gewalt unter Unterlass; man bläht die Zahlen so lange auf, bis sie völlig entstellt sind, so als würde sich darin das unbewusste Verlangen nach einer globalen Verurteilung des anderen Geschlechts äußern. Das Ziel besteht hier nicht mehr in der Verurteilung gewalttätiger Männer, sondern - meines Erachtens - der Männer im Allgemeinen.

Daher rührt meine Betroffenheit angesichts der Verwendung des Begriffs der Gender violence ("geschlechtsbezogene Gewalt") durch die Vereinten Nationen, die von Amnesty übernommen wird. Es handelt sich dabei um einen Begriff, der den Arbeiten der radikalsten angelsächsichen Feministinnen aus den Jahren 1980-1990 entstammt. Was bedeutet "geschlechtsbezogene Gewalt"? Ist darunter zu verstehen, dass Gewaltausübung das spezifische Merkmal des Männlichen ist? Dass sich das Männliche durch die Dominanz und die Unterdrückung des anderen Geschlechts definiert? Dass Frauen keine Gewaltausübung kennen?

Die Wahl der Begriffe ist von grundlegender Bedeutung. Denn wenn man diesen Begriff der Gender violence einführt, gelangt man zu einer dualen Definition der Menschheit mit der Gegnerschaft zwischen Peinigern und Opfern, oder dem Bösen und dem Guten. Ich denke, man begeht hiermit einen doppelten Fehler. Einerseits erscheint mir der Begriff der "geschlechtsbezogenen Gewalt" nicht fundiert. Andererseits verspielt man die Chance auf Veränderungen, indem man männliche Gewalt ohne die mindeste qualitative, kulturelle und politische Unterscheidung verallgemeinert.


Ausrutscher im Leben eines Paares sind kein hinreichendes Argument, um von der "Terrorisierung des Partners" zu sprechen

Wenn ich nun für die Überzeugung werbe, dass Gewalt kein spezifisches Merkmal eines Geschlechts ist, halte ich mich an die Phänomene der Partnergewalt in den westlichen Demokratien, wo man von einem differenzierteren und wissenschaftlicheren Ansatz zu dieser Frage ausgehen kann.

Erste Feststellung: die uns zur Verfügung stehenden Untersuchungen, sowohl in Frankreich als auch in Europa, insbesondere diejenigen des Europarats, scheinen mir an vielen Stellen lückenhaft und folglich befangen. Sie sind lückenhaft, weil sie nur Frauen als Opfer erfassen. Man hat sich durchweg und bewusst dafür entschieden, nicht wissen zu wollen, ob es männliche Opfer gibt. Die für diese Auslassung vorgebrachte Begründung ist immer dieselbe. Sie besteht aus zwei Argumenten: wir haben keine Statistiken, aber wir haben gute Gründe für die Annahme, dass Partnergewalt zu 98% von Männern ausgeht (vgl. Marie-France Hirigoyen in L'Express vom 25. April 2005: "Die Männer? Die hat man nicht befragt. Man weist ihnen per Definition die Rolle des Aggressors zu: sie sind es in 98% der Fälle."). Was die Gewalt von Frauen betrifft, so sei sie lediglich eine legitime Verteidigung gegen die zuerst von Männern ausgeübte Gewalt.

Zweite Feststellung: in Ermangelung hieb- und stichfester Arbeiten kursieren die fragwürdigsten Zahlen. Beispiel: Werden in Frankreich jeden Monat 6 Frauen (also 72 pro Jahr) von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht oder 400, wie in der Fernsehsendung Le Droit de savoir bei TF1 gesagt wurde? Und wie soll man das Ausmaß und die Bedeutung dieses Phänomens beurteilen, wenn die Statistiken der Justiz und der Polizei nicht zwischen den durch Partnergewalt und den durch andere Umstände umgekommenen Frauen unterscheiden?

Angesichts dieser Situation möchte ich zeigen, dass Gewalt kein Geschlecht hat, indem ich einige Aspekte weiblicher Gewalt beleuchte, von denen man nur selten spricht. Im Hinblick auf weibliche Partnergewalt müssen wir, wie gewohnt, auf Arbeiten aus Nordamerika zurückgreifen, um klarer zu sehen, und zwar insbesondere auf die jüngste Untersuchung von Denis Laroche für das Institut de la statistique du Québec, deren Statistiken im Februar 2005 von dem sehr feministischen Conseil du statut de la femme du Québec abgesegnet wurden. So weit ich weiß, ist die die erste umfangreiche französischsprachige Untersuchung hinsichtlich Partnergewalt, die sich sowohl der männlichen als auch der weiblichen Gewalt widmet. Es ist auch die erste Untersuchung, die zwischen schwer wiegender Gewalt und Gewalt minderen Ausmaßes unterscheidet, was in Form einer Liste mit 10 Situationen physischer Gewalt geschieht, die von der Bedrohung bis zur tatsächlich ausgeübten Handlung reichen. Darin sind vier grundlegende Informationen enthalten: in den letzten fünf Jahren vor der Untersuchung erklärten 92,4% der Männer und 94,5% der Frauen, nicht von körperlicher Gewalt betroffen zu sein. Im Jahr 2002 bezeichneten sich in Quebec 62.700 Frauen und 39.500 Männer als Opfer von Partnergewalt (alle Arten von Gewalt eingeschlossen). Zwischen den von Männern und von Frauen erlittenen aggressiven Akten bestehen Unterschiede. Frauen werden häufiger Opfer schwer wiegender körperlicher Gewalt als Männer. Von ihnen wurden 25% geschlagen (gegenüber 10% der Männer), 20% wurden fast erwürgt (4% der Männer), 19% wurden mit einer Waffe bedroht (8% der Männer). Sieben Mal mehr Frauen als Männer wurden Opfer sexueller Übergriffe. Hingegen stehen sich gemäß den kanadischen Studien Männer und Frauen im Hinblick auf psychische "Gewalt" in nichts nach.

Von dem amerikanischen Psychologen Michael P. Johnson (2000) übernahmen die Kanadier die mir fundamental erscheinende Unterscheidung zwischen zwei Arten von Partnergewalt: der "Terrorisierung des Partners" und der "situationsgebundenen Gewalt".

Schwer wiegende Gewalt, zu der es in einem Kontext der "Terrorisierung des Partners" kommt, definiert sich durch den Willen, den Partner in jeder Hinsicht (psychisch und physisch) zu zerstören. Diese Gewalt wird mehrheitlich von Männern ausgeübt.

Hingegen werden die meisten betroffenen Männer zu Opfern ihrer Partnerin in einem Kontext der "situationsgebundenen Gewalt", die entweder aus der Selbstverteidigung der Frau oder aus gegenseitig ausgeübter Gewalt erwächst, oder auf einen Machtkampf der beiden Partner zurückgeht. Hier wird der Begriff der "interaktiven Gewalt" eingeführt, der von entscheidender Bedeutung für das Verständnis eines großen Teils der Partnergewalt ist.

Man stellt also fest, dass Frauen, auch wenn sie mehrheitlich Opfer von Gewalt, und zwar insbesondere physischer Gewalt sind, diese Gewalt ebenfalls ausüben, wenn sie in der physisch oder psychisch dominierenden Position sind.

Um sich davon zu überzeugen, muss man sich die Gewalt von Frauen gegenüber den Schwächsten anschauen. Zunächst gegenüber Kindern. Auch wenn dieses Thema selten angesprochen wird, geben einige Untersuchungen zu denken. Im jüngsten, im Dezember 2004 herausgegebenen Bericht des ODAS (Observatoire national de l'action sociale décentralisée, dem die Sozialhilfe für Kinder untersteht) wird die Zahl von 89.000 gefährdeten Kindern in Frankreich genannt, wovon 18.000 Kinder misshandelt werden.

Der Tätigkeitsbericht 2002 des Notrufs für misshandelte Kinder weist darauf hin, dass 76,2% der Misshandlungen von den Eltern zu verantworten sind, wovon 48,8% auf die Mütter und 27,4% auf die Väter entfallen, wobei diese Zahlen vermutlich in Wahrheit höher liegen. Schließlich wird im Bericht der Unicef (2003) zum Tod von Kindern infolge von Misshandlungen in den reichen Ländern auf den Tod von jährlich 3.500 Kindern unter 15 Jahren verwiesen. Der Bericht macht keine genauen Angaben zum Zahlenverhältnis zwischen den für den Tod ihrer Kinder verantwortlichen Vätern und Müttern. Es wäre aber gewiss verfehlt, nur einem der beiden Geschlechter diese Schuld zuzuweisen.

Hierzu läuft eine epidemiologische Untersuchung in Frankreich, die vom INSERM durchgeführt wird. Erste Ergebnisse deuten auf eine Unterschätzung der Zahl der infolge Misshandlung umgekommenen Kinder unter einem Jahr hin, die man dem "plötzlichen Kindstod" zugeordnet hatte (vgl. Journal de l'Inserm, Mai-Juni-Juli 2003). Wer aber übernimmt mehrheitlich die Pflege der Säuglinge in unserer Gesellschaft? Abschließend begnüge ich mich mit der Erwähnung der Existenz weiblicher Pädophilie, die man offenbar erst vor kaum einem Jahr im Zuge der Prozesse von Outreau und Angers entdeckt hat. Ich erinnere daran, dass im letztgenannten 29 Frauen und 37 Männer auf der Anklagebank saßen. Über diese Art der Gewalt haben wir jedoch bis heute keine seriöse Untersuchung.

Indessen sind die Kinder nicht die einzigen schwachen Geschöpfe, die weiblicher Gewalt ausgesetzt sind. Die Misshandlung alter Menschen ist ein anderes Thema, bei dem diese weibliche Gewalt implizit eine Rolle spielt. Im Jahr 2003 bezifferte der zuständige Minister die Anzahl der misshandelten Senioren mit 600.000. Diese familiär geprägte Misshandlung spielt sich zu Hause ab. Aber ganz gleich, ob dies in den Familien oder in den entsprechenden Institutionen geschieht: es sind mehrheitlich Frauen, die sich um die Alten kümmern, ebenso wie sie dies für die Jüngsten tun.

Bleibt eine Thema, das noch immer tabu ist, und das nur in seltenen Einzelfällen Gegenstand von Untersuchungen ist - speziell in Frankreich: die Gewalt innerhalb lesbischer Beziehungen. Eine Studie der Agence de santé publique du Canada von 1998 kommt zu dem Schluss, dass es in schwulen und lesbischen Paarbeziehungen dasselbe Ausmaß an Gewalt gibt wie in heterosexuellen Beziehungen. Bezieht man sämtliche Arten von Gewalt ein, so verweist jedes vierte Paar auf Gewalt in seiner Beziehung.

Aus all diesen stumpfsinnigen, aber notwendigen Zahlen geht hervor, dass man nicht von Gender violence sprechen sollte, sondern vom "Recht des Stärkeren". Ein einziges Verbrechen ist zweifellos eher den Männern als den Frauen anzulasten: die Vergewaltigung, die heute in Frankreich ebenso hart bestraft wird wie Mord. Bleibt festzustellen, dass Männer wie Frauen, wenn sie eine beherrschende Position innehaben, in die Gewalt abgleiten können. Die Fotos von Abou Ghraib im Irak haben es ebenso gezeigt, wie die Beteiligung von Frauen an den Genoziden in Nazideutschland und in Ruanda. Dass in der Geschichte überwiegend die Männer die Verantwortung für physische Gewalt tragen, liegt auf der Hand. Seit Jahrtausenden sind sie die Inhaber aller Machtpositionen in Wirtschaft, Religion, Militär, Politik und Familie, das heißt die Herrscher über die Frauen. Mit der wachsenden Teilhabe an der Macht, die sich unter den Bedingungen der Demokratie herausbildet, ist es jedoch unvermeidlich, dass mehr und mehr Frauen ihre beherrschenden Positionen missbrauchen, das heißt: ihrerseits Gewalt ausüben.

Im Übrigen muss der Gewaltbegriff, so wie er heute zur Bezeichnung jeder erdenklichen Handlung ungeachtet ihres Kontexts verwendet wird, neu überdacht werden. Man kann ein und dasselbe Wort nicht für eine ungehörige Geste an einem öffentlichen Ort und für eine Vergewaltigung verwenden. Und ebenso wenig für die zahlreichen unterschiedlichen Situationen, die in den Untersuchungen über Partnergewalt aufgeführt werden. Eine unangenehme Bemerkung, eine Beschimpfung, eine unpassende autoritäre Handlung oder selbst die Androhung einer Ohrfeige lässt sich nicht mit einem zerstörerischen Angriff auf den Anderen gleichsetzen. Ausrutscher im Leben eines Paares sind keine hinreichende Begründung, um von der "Terrorisierung des Partners" zu sprechen, die von grundlegend anderer Art ist, und die viele Spezialisten heute definieren als "eine Dynamik der Paarbeziehung, wo einer der Partner die Integrität und die Würde des anderen verletzt, und zwar durch aggressives, aktives und wiederholtes Verhalten mit dem Ziel, ihn zu kontrollieren". Es erscheint mir auch unvernünftig, die Gewalt gegen Frauen in demokratischen Staaten auf eine Stufe mit derjenigen in patriarchal geprägten, nicht demokratischen Staaten zu stellen. In letzteren ist die Gewalt gegen Frauen eine Gewalt, die auf traditionellen philosophischen und religiösen Prinzipien beruht, die im Widerspruch zu den unseren stehen. Es sind diese Prinzipien, die es zu bekämpfen gilt. Allein die Bildung der Frauen und ihre Mobilisierung werden dieser systematischen Unausgewogenheit ein Ende bereiten, die alle Rechte dem einen Geschlecht, und alle Pflichten dem anderen zuweist.

In unseren Gesellschaften hingegen widerspricht die Gewalt gegen Frauen unseren Prinzipien. Sie erfordert die strafrechtliche Verfolgung ihrer Urheber. Im Gegensatz zu denjenigen, die meinen, jede Gesellschaft sei strukturell gewalttätig gegenüber Frauen, denke ich jedoch, dass sie vor allem Ausdruck einer pathologischen psychischen und sozialen Verfassung ist, die Betreuung und eine seriöse Reflexion über unsere Prioritäten erfordert. Die wachsende Gewalt, die man in den westlichen Gesellschaften ganz unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialem Kontext beobachtet, steht möglicherweise im Zusammenhang mit einer zunehmenden Unfähigkeit, sich in die Zwänge bestehender Verpflichtungen zu fügen, und mit einer sich beunruhigend ausbreitenden Neigung, universelle Rechte mit individuellen Wünschen zu verwechseln.

Der Winter 2005 hat uns gelehrt, dass die Gewalt von Kindern und Jugendlichen in den Schulen stark zugenommen hat, und zwar durch alle Altersstufen, von den Oberschulen bis in die Kindergärten, und dass keine soziale Schicht davon verschont blieb. Gereiztheiten, unhöfliches Verhalten, Beschimpfungen und Schläge sind zum Ausdruck einer banalen Aggressivität geworden, und zwar auch gegenüber denen, die dafür da sind uns zu helfen und zu schützen, wie etwa Lehrer oder Ärzte. Zwischen 1999 und 2003, so das Institut National de la Statistique et des Etudes Economiques (INSEE), hat die Anzahl der Franzosen, die Opfer von aggressiven Handlungen (Beschimpfungen, Drohungen, Schläge) wurden, um 20% zugenommen. Unter diesen Bedingungen liegt die Frage nahe, warum wir zunehmend unfähig sind, Frustrationen auszuhalten und unsere Aggressivität zu bewältigen.

Nicht unsere Prinzipien stehen in Frage, sondern unsere Erziehung. Sie ist es, die verändert werden muss. Seit über dreißig Jahren haben die individuelle Selbstverwirklichung und die Befriedigung unserer Wünsche Oberhand über den Respekt des Anderen und die Regeln des Gemeinwesens gewonnen. Dies betrifft Männer ebenso wie Frauen und hat nichts damit zu tun, was in anderen Regionen der Welt geschieht, wo das Gesetz ein drückendes Joch und individuelle Selbstverwirklichung ein inhaltsleerer Begriff ist. Im Grunde muss in unseren Gesellschaften die Bedeutung des Begriffs der Verpflichtung neu erlernt werden, so wie die anderen lernen müssen, ihre Rechte einzufordern. Mit dem Bestreben, diese beiden Kontexte um jeden Preis miteinander zu vermengen, begibt man sich in eine Position der Ohnmacht und nimmt zudem auch Ungerechtigkeit in Kauf. Indem man in das Geschrei von der "geschlechtsbezogenen Gewalt" verfällt, macht man sich eines neuen Sexismus schuldig, der nicht akzeptabler ist als der erste.

Elisabeth Badinter

(Aus dem Französischen übersetzt von Reinhart Stölzel)

Elisabeth Badinter:
Die Wiederentdeckung der Gleichheit - Schwache Frauen, gefährliche Männer und andere feministische Irrtümer