LA   PROVENCE

28.02.2001



Scheidung: Neue Rechte für die Väter

In Frankreich lebt zur Zeit jedes vierte Kind mit nur einem Elternteil zusammen. Ségolène Royal besteht auf der Notwendigkeit, die Pflichten und Verantwortlichkeiten des Vaters zu stärken und hat gestern ihr Reformprojekt für das Familienrecht vorgelegt. Neue Bestimmungen, bei denen es vor allem um "die gemeinsame Elternschaft", den Schutz, die Ausbildung, die Achtung und die gemeinsame Ausübung des Erziehungs- und Sorgerechts geht. Die Ministerin schlägt insbesondere vor, das abwechselnde Sorgerecht durch seine Aufnahme in das Bürgerliche Gesetzbuch amtlich anzuerkennen. Damit sind für die Väter neue Rechte verbunden.

Auf Seite 24,
Artikel von Christine Letellier

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Scheidung: Der Vater kehrt an seinen richtigen Platz zurück

In Frankreich lebt jedes vierte Kind mit nur einem Elternteil zusammen. Bei der Vorlage ihres Reformprojekts für das Familienrecht besteht Ségolène Royal auf der Notwendigkeit, die väterlichen Pflichten und Verantwortlichkeiten zu stärken

"Man läßt sich nicht von seinen Kindern scheiden! Unabhängig von der Geschichte des Paares müssen Vater und Mutter ihr Erziehungs- und Sorgerecht ausüben können", hat Ségolène Royal bei der Vorlage ihres Reformprojekts für das Familienrecht betont, bei dem eines der wichtigsten Kapitel "Kindschaft und väterliches Erziehungs- und Sorgerecht" die "gemeinsame Elternschaft" behandelt. Ein Thema, das der beauftragten Familien- und Kinderschutzministerin am Herzen liegt, und das sie bereits zu ihrem Steckenpferd gemacht hatte, als sie noch mit Schulbildung befaßt war, indem sie den Einrichtungen vorschrieb, die geschiedenen oder getrenntlebenden Väter über alles zu informieren, was ihre Kinder betrifft, mit gleichen Recht wie die Mütter.

Diesmal geht die Ministerin weiter, indem sie die amtliche Anerkennung des abwechselnden Sorgerechts durch seine Aufnahme in das Bürgerliche Gesetzbuch fordert - so daß das Kind nach der Trennung abwechselnd bei beiden Elternteilen wohnen kann -, und sie will gleichzeitig, "die Identität des Vaters, seine Pflichten und Verantwortlichkeiten" mit verschiedenen Maßnahmen stärken.


Ein feierliches Anerkenntnis

Dazu gehört die Aufnahme der wichtigsten Artikel des Bürgerlichen Gesetzbuches zum väterlichen Erziehungs- und Sorgerecht in das Familienbuch. Bei der Eheschließung müssen sie gelesen werden; bei nicht verheirateten Paaren müssen sie Gegenstand eines feierlichen Anerkenntnisses durch die Eltern vor dem Standesbeamten werden.

Bei der Geburt des Kindes wird dem Vater ein Vaterpaß übergeben, ein Pendant zum Mutterpaß, der Informationen zum väterlichen Erziehungs- und Sorgerecht enthalten soll. Schließlich soll dem glücklichen Papa nach dem Vorbild Skandinaviens die Möglichkeit gegeben werden, einen Vaterschaftsurlaub anzutreten, ein Projekt, das gegenwärtig untersucht wird.

Grundgedanke des Reformprojekts ist die Vorstellung, daß "jedes Kind zwei Eltern hat, gleichgültig ob seine Familie zusammenlebt, geschieden oder neu zusammengesetzt ist", und es räumt dem abwechselnden Sorgerecht eine neue Position ein.

Im Scheidungsfall soll es keine Randerscheinung mehr darstellen oder von den Gerichtsbehörden eher widerwillig ausgesprochen werden, sondern als positive Alternative, ausgestattet mit materiellen Vergünstigungen für die Umsetzung: Deckung von Sozialabgaben (Sozialversicherung), Wohnungszuschüsse, damit diese Betreuungsart - bei der der Vater ebenso viel Zeit mit seinen Kindern verbringen kann wie seine Ex-Gefährtin - , einen Rahmen erhält, um im ganzen Interesse des Kindes wahrgenommen werden zu können, auch in den am schlechtesten gestellten Familien.

Da das abwechselnde Sorgerecht eine Möglichkeit impliziert, die lange für destabilisierend gehalten wurde, bleibt es trotzdem nach wie vor Gegenstand von Polemik, wie viele Kinderpsychiater und Soziologen sofort wieder anführen (siehe im weiteren).


Scheidung: Keine Nachgiebigkeit im Sorgerecht mehr

Bei einer Scheidung wird dem Elternteil, das kein Sorgerecht für das Kind hat, ein zweites Exemplar des Familienbuchs ausgehändigt. Unter Verweis auf diesen traditionell "marginalisierten" Vater in einer Gesellschaft, die es vorzieht, die Mutter die Last der elterlichen Verantwortung allein tragen zu lassen, besteht Ségolène Royal auf dem Instrument der Begleitung. "Es muß alles in die Wege geleitet werden, um Paaren in einer Ehe- oder Familienkrise zu helfen. Sie müssen auf die Institutionen und Behörden, sozialen Stellen (Anm. d. Red.: Bildung von Elternnetzen in anfälligen Gegenden), PMI (Fürsorge- und Beratungsstellen werdender Mütter und Wöchnerinnen) und Eheberater zählen können, um sich zu informieren, und sie müssen in ihren Bemühungen unterstützt werden."


Legende:

10% aller geschiedenen Paare praktizieren das abwechselnde Sorgerecht, das es dem Kind ermöglicht, mit dem Vater ebenso viel Zeit zu verbringen wie mit der Mutter.(MAXPPP)

Christine Letellier

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Wissen


KINDER

Zwei Drittel aller Paare haben Kinder.
Zwei Drittel aller Paare, die sich scheiden lassen, haben Kinder, 35% davon mindestens zwei. Der Anteil geschiedener Paare ohne minderjährige Kinder hat in den letzten Jahren zugenommen: er liegt heute bei annähernd 40% gegenüber 31% im Jahr 1982.


FAMILIEN MIT NUR EINEM ELTERNTEIL

Frankreich in der Mitte. 14% der Familien mit Kindern in den 15 Ländern der Europäischen Union umfassen nur ein Elternteil; ihre Zahl ist zwischen 1983 und 1996 um 58% gestiegen. Den größten Anteil hat Großbritannien (23%), den niedrigsten Griechenland (7%). Frankreich liegt etwa in der Mitte (14%).


SCHEIDUNGEN

7. Platz für Frankreich. Wenn sich die Scheidungswahrscheinlichkeit seit 1965 vervierfacht hat und von 10% auf 40% gewachsen ist, liegt Frankreich mit 2,1 Scheidungen pro 1000 Einwohner erst an 7. Stelle hinter Großbritannien (2,9), Dänemark (2,8) und Finnland (2,7). In südeuropäischen Ländern ist die Scheidung seltener: 0,6 in Italien, 0,8 in Griechenland, 0,9 in Spanien.


FRAU AM HERD

Das Ende des Klischees.  Von den 20-60-jährigen Frauen, die mit einem Partner zusammenleben, sind nur 3 Millionen, also 30%, nicht berufstätig, gegenüber 5,5 Millionen 1968 (60%). Heute stehen mehr als drei Viertel der Frauen zwischen 25 und 54 Jahren im Berufsleben.

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AUSSAGEN 

Realitäten


Geschiedene "Papas" eher zufrieden mit den neuen Maßnahmen

Wie kann man eine Familie festigen, die sich trennt? Wie kann man eine "Bindung" zwischen Eltern und Kindern erhalten? Für Monique Sassier, stellvertretende Generaldirektorin der Unaf (Union nationale des associations familiales) war es wesentlich, an die großen Prinzipien der Familie zu erinnern, die allzu oft bei den Konflikten zwischen den verschiedenen Parteien vergessen werden: "Die Familie ist eine Institution und nicht nur ein Vertrag". Die vorgestellten Maßnahmen werden bei der nächsten Familienkonferenz im Juni 2001 zur Abstimmung gebracht werden.


Zehn Jahre Kampf

"Darüber hinaus, führt Monique Sassier fort, geben die Texte zum elterlichen Erziehungs- und Sorgerecht dem Vater einen "gleichrangigeren" Platz zurück, indem sie die Möglichkeit eines abwechselnden Sorgerechts eröffnen. Diese persönliche Entscheidung darf jedoch nicht systematisch und obligatorisch zu treffen sein. Es ist ein neues Vorgehen, das die Gesellschaft untersucht, und das natürlich gesetzlich geregelt, aber flexibel gehandhabt werden muß".

Für Michel Thizon, Vorsitzender von SOS Papa, einem vor mittlerweile zehn Jahren gegründeten Verband, der Vätern in Not zu Hilfe kommen will, sind "alle angekündigten Maßnahmen, ob es sich nun um den Vaterschaftsurlaub, die Ausstellung eines zweiten Exemplars des Familienbuchs für den Elternteil, der bei einer Scheidung nicht das Sorgerecht für das Kind hat, oder die Aushändigung eines Vaterpasses für den Vater bei der Geburt handelt, natürlich interessant, aber vor allem symbolischer Art."


Endlich Wohnungsbeihilfen

"Bisher war es so," erinnert sich dieser Fachmann, "daß die Väter bei einem Bruch zwischen dem Elternpaar das schwache Glied in der Familienkette darstellten: sie wurden Teilzeitväter".

"Das Wichtigste an dieser Reform," fährt Michel Thizon fort, "ist der Schwerpunkt auf dem abwechselnden Sorgerecht, wobei dem Vater insbesondere in Sachen Wohnung Vergünstigungen geboten werden, um seine Kinder aufnehmen zu können". Seither kann er Anspruch auf eine Sozialwohnung ausreichender Größe erheben, um die Seinen unter guten Bedingungen aufzunehmen. "Diese Maßnahme wird die Möglichkeit des wechselnden Wohnsitzes erleichtern," stellt der Verantwortliche von SOS Papa fest.

Dieser 8000 Mitglieder starke Verband geht jedoch noch weiter und fordert für Eltern, die geographisch weit von einander entfernt sind, einen "regelmäßigen Bildungswechsel": "Die Kinder könnten so bei ihren beiden Elternteilen leben und alle zwei oder drei Jahre den Wohnsitz wechseln, um sich einen Freundeskreis aufbauen zu können".

Bleibt die Frage der Steuern und der Auszahlung von Kindergeld. Wir sind von einer gleichberechtigten Aufteilung zwischen beiden Elternteilen noch weit entfernt!

Geneviève Van Lède

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Die Polemik

Der wechselnde Wohnsitz, der nur von 10% der Paare nach ihrer Trennung praktiziert werden wird, wirft viele Fragen auf. Pragmatische im Hinblick auf die Schule: für eine Anmeldung muß das nationale Bildungswesen die Wohnsitze beider Elternteile berücksichtigen, da das Kind nicht mehr nur dem Schulsektor des "sorgeberechtigten" Elternteils zugeordnet werden kann. Philosophische: "Damit diese Lösung wirklich akzeptabel wäre, müßten die Eltern zwischen ihrem Konflikt und ihrem Elternsein differenzieren können," urteilt insbesondere der Soziologe Gérard Neyrand.

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EIN RICHTER FÜR KINDER
"Die Mentalitäten ändern sich"

Neun von zehn Familienrichtern sind Frauen. Für bestimmte Väter ist das eine hinreichende Begründung für die Tatsache, daß in mehr als 8 von 10 Fällen das Sorgerecht für die Kinder der Mutter zugesprochen wird. "Diese Hypothese entbehrt jeder Grundlage," empört sich Marie-Christine Bartoloméi, Vizepräsidentin am Kindschaftsgericht in Marseille. "Die in Familiensachen tätigen männlichen Richter sind nicht eher bereit als ihre weiblichen Kollegen, dem Vater das Sorgerecht zuzusprechen. Vielleicht trifft sogar eher das Gegenteil zu. Nein, es ist eher eine Frage der Mentalitäten. Man hat lange Zeit angenommen, daß Frauen sich besser um ein Kleinkind kümmern können. Allerdings muß das auch einem Antrag des Vaters entsprechen, und auch in diesem Bereich haben sich die Mentalitäten verändert: immer mehr Väter wenden sich nach einer Scheidung an die Sozialämter, um eine größere Wohnung zu erhalten."

Vor dem Gesetz von 93 hatte bei unverheiratet zusammenlebenden Paaren die leibliche Mutter alle Rechte. Die Anwendung des Gesetzes hat die Kräfte wieder ins Gleichgewicht gebracht, denn es ermächtigt beide Elternteile, ihre Mitelternschaft umfassend wahrzunehmen.

CH.L.

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"Der Vater und die Mutter gleichermaßen und unterschiedlich wichtig"

Zwischen zwei Häusern pendeln. Zwischen zwei Zimmern wohnen. Welche Folgen hat das abwechselnde Sorgerecht für die Kinder, die nach wie vor die Hauptbetroffenen sind? Das sogenannte "Modell Dalto" sah vor, daß das Elternhaus das gleiche bleiben sollte, und daß sich die Eltern nach ihrer Trennung dort bei ihren Kindern abwechseln. Ein intellektuell verlockendes, aber nicht einfaches Prinzip, das der Psychiater Jean-Claude Fisher aus Marseille vertritt, der mit vielen Jugendlichen zu tun hat: "Es ist besser, die Kinder nicht aus ihrem Haus, ihrem Zimmer zu nehmen. Ihre Betreuung am Ort ihrer Entwicklung muß bevorzugt werden. Denn die Anziehungskraft von zwei Häusern, eines neuen Zimmers ist für die Kinder von kurzer Dauer. Danach haben sie viele Schwierigkeiten, sich in gleicher Weise an zwei verschiedenen Orten einzufinden." "Die Scheidung ist früher oder später immer schwierig," beharrt der Kinderpsychiater Patrick Bensoussan. Dieser Begriff des abwechselnden Sorgerechts ist eine wichtige Möglichkeit um hervorzuheben, daß die Eltern mit gleichem Recht gegenüber ihrem Kind einen wichtigen Status aufrechtzuerhalten haben. Er formalisiert die Tatsache, daß der Vater und die Mutter gleichermaßen, aber unterschiedlich wichtig sind. Das Gesetz nimmt endlich zum Status des Vaters Stellung. Die konkrete Umsetzung ist allerdings kompliziert: Sie impliziert ein Einvernehmen zwischen den Eltern, eine besondere wirtschaftliche Organisation, benachbarte Wohnsitze..."

Olga Bihiloni

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abwechselndes Sorgerecht = la garde alternée



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Diese Artikel wurden von einer französichen Muttersprachlerin übersetzt.



Danke an Georg Nassos

Thomas