Ursula Kodjoe

    PAS – Die feindselige Ablehnung eines Elternteils durch sein Kind
    (Vortrag vom November 1998)

    Die Resonanz auf die ersten PAS-Veröffentlichungen war ebenso unerwartet wie überwältigend: Väter und Mütter schicken uns ihre Akten zu, um über ihre Erfahrung von Ablehnung und Zurückweisung durch die eigenen Kinder zu berichten. Fast immer bedeutet die aggressive Verweigerung eines Kindes, den Vater oder die Mutter jemals wiederzusehen einen Bruch in der Biographie der Betroffenen.

    Was versteht man unter "Parental Alienation Syndrome"?

    PAS bedeutet die kompromißlose Zuwendung eines Kindes zu einem, - dem guten, geliebten - Elternteil und die ebenso kompromißlose Abwendung vom anderen, - dem bösen, gehaßten - Elternteil und tritt auf im Kontext von Sorgerechts- und Umgangskonflikten der Eltern.

    Drei Faktoren zusammen bewirken die aggressive Ablehnung und die feindselige Zurückweisung eines Elternteils und tragen bei zur Parental Alienation.

    Eine hoch konflikthafte Trennungs- und Scheidungsgeschichte des Ehepaares, während welcher die offene oder verdeckte, teils bewußte, teils unbewußte Manipulation der Kinder beginnt. Der betreuende Elternteil beansprucht die Liebe und Zuwendung der Kinder ausschließlich für sich selbst.

    Entsprechend ihrer Entwicklungsgeschichte und damit verbunden ihrem Verständnis des familiären Geschehens entstehen eigene Geschichten und Szenarien der Kinder, die ihre feindselige Haltung für sie selbst begründen und rechtfertigen.

    Äußere situative Lebensbedingungen der Familie können die Ablehnung der Kinder schüren durch Koalitionsbildung von Freunden und Angehörigen gegen den früheren Ehepartner. Ein Umzug mit den Kindern ans andere Ende des Landes ist eine erfolgversprechende Methode, die Eltern-Kind-Entfremdung voranzutreiben.

    Mitwirkende an der Beibehaltung von PAS können scheidungsbegleitende Professionen sein, Rechtsanwälte, Sozialarbeiter, Gutachter und Familienrichter, die sich die subjektiven Darstellung eines Elternteils zu eigen machen und daraus folgerichtig den längst zerstörten Kindeswillens als Ausdruck emotionaler und rationaler autonomer Entscheidungsprozesse werten.

    Das frühzeitige Erkennen einer dysfunktionalen Entwicklung der Familienbeziehungen und das Einsetzen von Möglichkeiten, zur Konfliktlösung und zur familiären Reorganisation muß getragen werden von allen am Prozess Beteiligten: die Kooperation aller professionellen Scheidungsbegleiter und eine sinnvolle Koordinierung außergerichtlicher wie gerichtlicher Interventionsmöglichkeiten sind gefragt. Erfolg oder Mißerfolg der jeweiligen Bemühungen hängen maßgeblich von einer Übereinstimmung davon ab, in wieweit die entwicklungspsychologische Forschungsevidenz in das Bewußtsein gelangt ist und in wieweit davon abgeleitet der Paradigmenwechsel vom Blick auf das Elternrecht zur Sicht des Kindes und seiner Rechte vollzogen wird.

    Der vorliegenden Arbeit werden deshalb zwei Leitsätze vorangestellt:

    1. Für optimale Entwicklungsbedingungen braucht ein Kind die Zuwendung, Fürsorge und Förderung durch beide Eltern, auch - und gerade - nach deren Trennung als Lebenspartner.
    2. Die Sicherung bzw. Wiederherstellung eines Maximums an gelebter Beziehung des Kindes zu seinen beiden Eltern ist die vorrangige Aufgabe der psychosozialen Dienste. Diese Aufgabe schützt das Elternrecht und das Recht der Kinder gleichermaßen.

    An dieser Stelle möchte ich die Definition emotionaler Kindesmißhandlung der amerikanischen Bundesorganisation "Children Protection Services" und des "Children’s Rights Council" vermitteln:

    Unter emotionaler Kindesmißhandlung sind Muster von psychologisch destruktivem Verhalten zu verstehen, denen Kinder ausgesetzt werden:

    1. Abwertende oder herabsetzende Bemerkungen, die die kindliche Entwicklung von Selbstwerts und sozialer Kompetenz beeinträchtigen
    2. Der systematische Prozeß der Elternentfremdung, durch welchen Eltern oder Betreuungspersonen emotionale Verstörungen beim Kind auslösen
    3. Die Wahrnehmung von oder die tatsächlich drohende Schädigung eines Kindes einschließlich, jedoch nicht begrenzt auf: zurückweisen, isolieren, terrorisieren, ignorieren oder korrumpieren.
    4. Mit häuslicher Gewalt verbundener Kindesmißbrauch und das Bereitstellen schädigender Materialien für die Kinder.

    Wie aus der Bedürftigkeit von Eltern ein PAS Syndrom bei Kindern entsteht

    Psychodynamik der Eltern

    Nach dem Tod eines nahen Angehörigen sind Trennung und Scheidung für die betroffenen Männer, Frauen und Kinder über Jahre hinweg die Lebensereignisse, die ihre Welt am nachhaltigsten erschüttern. Ihre Bewältigung stellt hohe Anforderungen an die Betroffenen, für die aus der "Problemlösung Scheidung" völlig neue, unerwartete Probleme entstehen.

    Eine konstruktive Verarbeitung der schmerzlichen Erfahrungen, der Trauer, der Verlust- und Verlassenheitsängste, der enttäuschten Hoffnungen und unerfüllten Erwartungen ist die Voraussetzung, um neue Chancen für das eigene Leben entdecken und nutzen zu können. Die Bedürfnisse der Kinder nach weitergehender Beziehung zu beiden Eltern erfordert die Reorganisation der Familienbeziehungen. Neue Partner sollen mit einbezogen werden, ohne die früheren Partner aus dem eigenen Leben und vor allem aus dem Leben der Kinder auszugrenzen.

    Diese Leistungen sollen zu einer Zeit erbracht werden, in der das Selbstwertgefühl des Verlassenen durch die Zurückweisung existentiell bedroht ist und in der beim Verlassenden ein existentielles Bedürfnis nach Rechtfertigung für seinen Entschluß besteht.

    Um das verletzte Selbst in Sicherheit zu bringen, kann nun die ganze Schuld dem Partner angelastet werden. Diese einseitigen Schuldzuweisungen lassen keinen Raum für die Betrachtung der eigenen Anteile am Scheitern der Liebesbeziehung, keinen Raum für die Erkenntnis einer nicht funktionierenden Kommunikation der Partner untereinander und keinen Raum für vielfältige äußere Gründe, die die Entfremdung begünstigten.

    Diese internale, interaktionale und external-soziale Betrachtung könnte der eigenen Entlastung dienen, dem Verständnis des eigenen Verhaltens, dem des Partners und dem gegebener Lebenswidrigkeiten. Dadurch würde der Weg freier, sich selbst und dem anderen das "gemeinsame Versagen" zu verzeihen.

    Programmierende Eltern lassen sich aufgrund ihres Erlebens grob in zwei Gruppen differenzieren:

    1. Eltern, die die Trennung als unwiederbringlichen Verlust und als existentiell gefährdende Zurückweisung ihrer ganzen Person erleben. Ihre Angst, die Kinder an den Partner zu verlieren, ist übermächtig und die Vorstellung, ihre Liebe mit ihm teilen zu müssen, ist unerträglich. Sie wenden sich ihren Kindern zu, um Trost und Unterstützung zu erhalten.
    2. Eltern, die die Schuld am Scheitern der Ehe zur Gänze auf den Partner projizieren. Sie beziehen die Kinder in die Ehegeschichte mit ein: der unfähige Partner ist nun auch der unfähige, unzuverlässige, vernachlässigende oder mißhandelnde Vater, vor dem die Kinder folgerichtig "beschützt" werden müssen.

    Symptomatik von PAS-Kindern

    PAS-Kinder zeigen eine typische Symptomatik. Je nach Anzahl der Symptome, deren Stärke und Ausprägung unterscheidet man schwache, mittlere und starke Kategorien mit unterschiedlichen therapeutischen und rechtlichen Interventionsmöglichkeiten und -erfordernissen.

    1. Zurückweisungs- und Herabsetzungskampagne mit fast vollständigem Ausblenden früherer schöner gemeinsamer Erlebnisse. Der abgelehnte Elternteil wird als böse und gefährlich eingestuft, ihm wird "alles zugetraut". "Die Mama gibt mir nichts Gesundes zu essen." Auf Nachfrage können die Vorwürfe nicht präzisiert werden und es kommt ein: "das ist so, ich weiß das."

    2. Absurde Rationalisierungen werden herangezogen, um die Ablehnung zu begründen. Alltägliche oder triviale Ereignisse werden negativ umgedeutet: "Der Papa sollte aber nicht zur Einschulung kommen. Ich wollte das nicht und ich will ihn nie wieder sehen."

    3. Alle menschlichen Beziehungen sind ambivalent, Eltern-Kind-Beziehungen machen da keine Ausnahme. Bei PAS-Kindern ist jedoch ein Elternteil nur gut, der andere nur schlecht. Auf die Frage "Was findest Du an Deiner Mama besonders gut und was findest Du nicht so gut an ihr?" kommt nur eine lange Litanei ihrer negativen Eigenschaften und Verhaltensweisen. Alles Gute liegt beim Vater. Dieses Fehlen von Ambivalenz blendet auch alle schönen Erinnerungen aus.

    4. Bei Familienanhörungen fällt eine fast reflexartige Parteinahme der Kinder für den Koalitionselternteil auf. Ohne Zögern und ohne jeden Zweifel wird er verteidigt und der andere angegriffen: " Ich weiß, der Papa ist ein Lügner, er lügt immer".

    5. Die Ablehnung und die Feindseligkeiten werden auf die erweiterte Familie und den Freundeskreis des zurückgewiesenen Elternteils ausgedehnt und mit den gleichen absurden Begründungen erklärt wie oben. "Die Oma ist alt und blöd, die Tante ist geizig. Sie hat mir nur ein einziges Kleid geschenkt. Ich mag sie alle nicht mehr sehen."

    6. PAS-Kinder verteidigen jede ihrer Aussagen schon im Vorschulalter mit dem Hinweis auf ihre "eigene Meinung". Dieses Phänomen spiegelt die Erleichterung des programmierenden Elternteils darüber, daß die Kinder "sich trauen, zu sagen, was sie wirklich denken". Dabei geht es hier um die Diskrepanz der wahrgenommenen widersprüchlichen Botschaften: Geh nicht - Geh doch! die den Kindern das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung zerstört. Die Macht der nonverbalen Kommunikation, der sie zum Opfer fallen, können sie nicht durchschauen.

    7. Die hemmungslose Ablehnung und Verunglimpfung eines Elternteils hindert PAS-Kinder nicht daran, unangemessene Forderungen zu stellen nach Geld und Geschenken und dies als ihr gutes Recht zu sehen. Dies geschieht in völliger Abwesenheit von Schuldgefühlen, von Dankbarkeitsbezeugungen gar nicht zu reden.

    8. Die Aussagen von PAS-Kindern spiegeln häufig in Wortwahl und Geschichten sogenannte "geborgte Szenarien", deren tiefere Bedeutung sie nicht kennen. "Hör auf mit Deinen Belästigungen, Papa!" ist für eine Vierjährige eine erstaunliche Forderung, es stellt sich bei Nachfragen schnell heraus, daß sie keine Ahnung hat, wovon sie redet.

    Nach bisherigen Erkenntnissen ist Familientherapie die erfolgversprechendste Möglichkeit, die aggressive Haltung der Kinder und das manipulative Verhalten des betreuenden Elternteils zu erkennen und aufzulösen. Therapie kann jedoch (noch) nicht per richterlichem Beschluß angeordnet werden und eine frühzeitige Herausnahme der Kinder aus dem manipulativen Umfeld erfolgt kaum jemals rechtzeitig, selbst die Androhung der Herausnahme hat Seltenheitswert - und das, obwohl sie für viele entfremdende Elternteile ein Signal setzen könnte zum Umdenken. Damit sind die betroffenen Eltern zumeist allein gelassen mit dem sicheren Gefühl oder der zerstörerischen Erfahrung, daß ihnen ihr Kind entzogen wird bzw. daß es sie so vehement ablehnt, daß kein Zugang mehr möglich scheint.

    Die wichtigste Maßnahme ist die Früherkennung, um der Entfremdung der Kinder von einem ihrer Eltern vorbeugen zu können.

    Welche Hinweise gibt es, die frühzeitig eine alarmierende Tendenz zur Entfremdung der Kinder vom anderen Elternteil signalisieren?

    1. Manipulierende Eltern denken und sprechen es auch aus: Kinder brauchen im allgemeinen schon beide Eltern - aber das gilt nicht in unserem speziellen Fall, nicht diesen Vater/diese Mutter. "Wenn es nach mir geht, dann sieht der das Kind nicht mehr" wird kaum jemals angemessen "gewertet und gewichtet".

    2. Sie ertragen es nicht, wenn das Kind sich auf den anderen freut, sie reagieren mit Angst, mit Traurigkeit, mit Enttäuschung, Wut und Zorn auf die Zuneigung des "Partners Kind" zum Anderen, obwohl dieser Andere ihnen doch so viel angetan hat?

    3. Versuche, das Kind unmerklich dem anderen Elternteil zu entfremden, sind attraktive Konkurrenzangebote an den Umgangstagen, eine Häufung von Erkältungen (hier spielen Gefälligkeitsgutachten von Kinderärzten eine maßgebliche Rolle) und (Kindergeburtstags-) Einladungen, so daß es nicht gehen kann.

    4. Positive Verstärkung (Zuwendung, Lob, Geschenke) erhält das Kind, wenn es negative Botschaften vom anderen mitbringt: wenn es erzählt, beim Vater ist das Essen nicht gut, der Freund von der Mama ist doof.

    5. Negative Verstärkung kommt daher im Gewand von Desinteresse "das geht mich nichts an, wenn Du mit Deiner Mutter im Kino warst", von Zurückweisung und Liebesentzug: "Laß mich, ich mag jetzt nicht mit Dir zusammensitzen". Damit wächst die Angst des Kindes, den betreuenden Elternteil zu verlieren.

    6. Gerichtliche Anordnungen werden, wenn überhaupt, dann minutiös kontrolliert, statt zu erfühlen, was ein Kind braucht: Es wird auf die Minute genau darauf geachtet, wann es abgeholt und zurückgebracht wird, es wird wortlos an der Tür, vor dem Haus, auf dem Parkplatz übergeben wie ein Postpaket. Die Kinder laufen vom Auto alleine bis zum Haus, weil der Gegner das Grundstück nicht betreten darf.

    7. Die verbale Botschaft "Du mußt jetzt zu deinem Vater/deiner Mutter gehen" wird aufgehoben durch die non-verbale Botschaft: "Wenn Du mich liebst, dann gehst du nicht". Der manipulierende Elternteil läuft vorher unruhig und mit Tränen in den Augen herum und schließt das Kind erleichtert in die Arme, wenn es (entgegen allen Erwartungen) heil zurückkommt. Während des Umgangs ruft der andere Elternteil ständig "dort" an, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Das Kind befindet sich damit in einer unlösbaren Lage: es soll dem Anrufer vermitteln, daß es ihm zwar gut geht, es sich ab er nicht wirklich gut fühlt, aber der anwesende Elternteil soll davon nichts merken.

    8. Auch diese Manipulationen dienen dazu, sich und anderen (häufig mit Erfolg) einzureden, das Kind brauche seine Ruhe vor dem Vater/der Mutter, obwohl mittlerweile bekannt ist und dies auch viele manipulierende Eltern noch erkennen können, daß es Ruhe braucht vor dem Elternstreit. Eine vergleichbare Argumentation ist die Angst vor dem Vater, wo es sich bei dem Kind um die Angst vor dem Verlust des Vaters handelt.

    9. Obwohl beide Eltern wissen können, wenn sie noch einen minimalen Zugang zu den Bedürfnissen ihrer Kinder haben, daß jedes Kind von seinen Eltern geliebt werden und sie beide lieben will - wird damit argumentiert "Das Kind darf von mir aus zum anderen, es will aber nicht." Nichts wird im ganzen Prozeß bereitwilliger respektiert, als dieser Kindeswille.

    10. Großeltern, Tanten, Onkel und Freunde des anderen Elternteils sind plötzlich auch kein Umgang mehr für das Kind. Ein Kind, das nicht bereit ist, seiner bettlägerigen Großmutter ein Photo zu schicken, hat eine Lektion in menschenverachtendem Verhalten gelernt, die Grundlage ist für antisoziales Verhalten auf seinem weiteren Lebensweg.

    11. Die unabgesprochene Inanspruchnahme des neuen Namensrechts kann einen wichtigen Hinweis darauf geben, daß der Name des Vaters samt seiner Person eliminiert werden soll.

    12. Ein Elternteil wird von Familienfeiern, wie Einschulung, Schulabschlußfeier, Konfirmation, Kommunion, Großelterngeburtstage etc. ab der Trennung prinzipiell ausgeschlossen. Auf diese Weise wird ihm und den erweiterten Familien signalisiert, daß er nicht mehr dazu gehört.

    13. Dem abgelehnten Elternteil wird der Zugang zu Informationen über die schulische Entwicklung verwehrt, ebenso zu Informationen über die Gesundheit der Kinder und ihr Befinden während eines stationären Aufenthalts in einer Klinik. Drastischer kann die elterliche Wertlosigkeit dem nichtbetreuenden Elternteil kaum demonstriert werden: selbst wenn sein Kind im Sterben liegt hat er keinen Zugang zu ihm.

    Den Kindern wird die eigene Version der Ehe- und Trennungsgeschichte verbal und non-verbal, direkt und indirekt, bewußt und unbewußt vermittelt. Sie verstehen die Botschaft und nehmen den Auftrag an, sich die Gefühle von Enttäuschung, Wut, Mißtrauen, Rache und Ablehnung zu eigen zu machen, die ihnen vorgelebt und vorgelitten werden.

    Die lebensfeindliche Koalition mit dem ein Elternteil gegen den anderen wirkt bei denjenigen Kindern am schnellsten und am nachhaltigsten, die spüren, daß ihnen die Liebe und Zuwendung des betreuenden Elternteils nur solange sicher ist, wie sie dessen Abneigung gegen den anderen Elternteil übernehmen. Damit hat die Parentifizierung ihren Lauf genommen, der Rollentausch, bei dem sich die Kinder ganz auf die Bedürfnisse des betreuenden Elternteils konzentrieren, diese zur Gänze übernehmen und ihre eigenen Wünsche verdrängen. Sie haben die Aufgabe, den schwachen, depressiven und/oder aggressiven Elternteil zu schützen, sie stellen sich ganz auf seine Bedürfnisse ein, reagieren übersensibel auf Störungen und trauen sich nicht, ihn zu verlassen Es stellt sich häufig ein Gefühl von Omnipotenz ein, denn das Wohl des betreuenden Elternteils liegt jetzt in der Hand des "Bündnispartners Kind". Dieses Hochgefühl geht jedoch mit einem Gefühl tiefer Einsamkeit und Überforderung einher, das in die kindliche Depression und bis zur Suizidalität führen kann.

    Was können betroffene Eltern tun?

    In Fällen mittlerer Ausprägung wird der zurückgewiesene Elternteil dem Kind seine gleichbleibende Zuneigung und Liebe versichern: "Ich bin immer für Dich da, wenn Du mich brauchst". Respektloses Verhalten sollte jedoch nicht aus Angst hingenommen werden, das Kind ganz zu verlieren, sondern ruhig und sicher Grenzen gesetzt und gegenseitige Achtung eingefordert werden. "Ich beschimpfe Dich nicht und ich möchte auch nicht, daß Du so mit mir sprichst". Tolerierte Respektlosigkeit vertieft die aufgebaute Verachtung des Kindes eher, ebenso wie unangebrachte Strenge. Bedrängen der Kinder führt eher zu einer unheilvollen Spirale verstärkter Ablehnung. Verständnisvolle Angebote lassen mehr Möglichkeiten offen: "Ich weiß, Du kannst (nicht: Du willst!) jetzt nicht, ich warte bis zum nächsten Wochenende auf Dich und freue mich, wenn wir dann zusammen etwas unternehmen können."

    Wichtig ist, die Kinder selbst einzubeziehen und sie nach ihren eigenen Bedürfnissen zu fragen: "Was kann ich tun, damit wir zusammen Spaß haben können? ... damit Du Lust hast, mit mir etwas zu unternehmen? Was brauchst Du von mir?"

    Älteren Kindern kann vermittelt werden, daß sie eigene Rechte haben und daß es für sie die Möglichkeit gibt, sich bei Beratungsstellen darüber zu informieren. Eltern, die entschlossen sind, den Kontakt zu ihren Kindern nicht aufzugeben, sollten dies den Kindern klar und deutlich sagen: "Ich liebe Dich, ich bin Dein Vater/Deine Mutter. Es ist mir wichtig, für Dich da zu sein und Dich aufwachsen zu sehen. Das ist mein Recht und meine Pflicht und beides lasse ich mir nicht so einfach nehmen. Auch wenn Du das jetzt noch nicht verstehst."

    Für vorpubertäre Kinder und Jugendliche ist es schmerzlich und unerträglich, von einem Elternteil immer wieder zu hören, alles was sie sagen käme vom anderen Elternteil. Bei Befragungen ist ihrem Autonomiestreben daher unbedingt Rechnung zu tragen, sonst wird die "eigene Meinung" mit Klauen und Zähnen verteidigt und der darunterliegende Konflikt bleibt unberührt. 

    In den krassen Fällen, in denen Kinder über Jahre hinweg bis ins Jugendlichenalter den Umgang mit dem nichtbetreuenden Elternteil mit Unterstützung des betreuenden Elternteils auf aggressive, respektlose und feindliche Art verweigern, bleibt dem abgelehnten Elternteil nicht viel mehr, als abzuwarten. Abzuwarten auf die Zeit, wenn ihre erwachsen gewordenen Kinder beginnen, aus der Distanz zum betreuenden Elternteil dessen Verhalten zu durchschauen.

    Aus dem Kontakt mit betroffenen Vätern und Müttern wurde die Notwendigkeit deutlich, das Konstrukt "PAS" abzugrenzen gegen andere Formen der Kontaktverweigerung.

    Was versteht man NICHT unter Parental Alienation Syndrome?

    1. Umgangsverweigerung als Flucht aus der Unerträglichkeit des Loyalitätskonflikts

    Die resignative, hilflose Zurückweisung eines Elternteils durch ein Kind aus Loyalität zu dem als bedürftig, hilflos, traurig oder vereinsamt erlebten betreuenden Elternteil. Hier lehnt das Kind zwar den Kontakt ab, nicht jedoch die Person des nichtbetreuenden Elternteils. Es ist nicht offen feindselig, sondern ohnmächtig und überfordert vom Konflikt der Eltern.

    Bei sporadischen Kontakten fühlt sich das Kind dem anderen Elternteil gegenüber als Verräter. Hier hat eine Rollenumkehr (Parentifizierung) stattgefunden, das Kind orientiert sich an der Bedürftigkeit und den Bedürfnissen desjenigen Elternteils, mit dem es zusammenlebt und den es glaubt, unterstützen zu müssen.

    Es dominiert die unerträgliche Angst, auch von diesem Elternteil verlassen zu werden und damit die Existenzgrundlage endgültig zu verlieren.

    2. Umgangsverweigerung von Kindern und Jugendlichen, die dafür aus ihrer Sicht wichtige und ernstzunehmende Gründe angeben

    • Hierbei kann es sich um Konkurrenz zwischen Geschwistern handeln, wie bei Paulina, 4 Jahre: "Der Papa bastelt viel lieber mit Peter, mit mir macht er gar nichts, mich hat er nicht richtig lieb". Oder um Probleme mit neuen Partnern der Eltern, die plötzlich einen hervorragenden Stellenwert bekommen. Die Kinder können schmerzlichen Gefühle von Zurücksetzung, Vernachlässigung und tatsächlichem oder auch nur vermeintlichem Liebesentzug mit einer Verweigerungshaltung begegnen.
    • Unsicherheit des nichtbetreuenden Elternteils, wie mit dem Kind umzugehen ist: zu viele (Disneyland-Daddy) oder zu wenig gemeinsame Aktivitäten (Langeweile, Abliefern bei Großeltern, Dauerfernsehen etc.) bedeuten Streß, dem sich Kinder einfach dadurch entziehen, daß sie nicht mehr hingehen wollen.
    • Belastungen durch ausgefragt oder "zugetextet" werden während des Umgangs sind für Kinder besonders schwer zu ertragen. Zitat einer 14-jährigen: "Er textet mich immer noch mit dem Scheidungsscheiß zu, ich kann das nicht mehr hören". Das anhaltende Bedürfnis des gegangenen Elternteils nach Rechtfertigungen für die initiierte Trennung ("Es war für uns alle das Beste, daß wir weggezogen sind, es ging nicht mehr, weil Dein Vater ...") oder fortgesetzte unterschwellige Schuldzuweisungen des verlassenen Elternteils dem Kind gegenüber ("Wenn Deine Mutter nicht ... getan hätte, dann wären wir noch alle zusammen.") können zur Weigerung führen, sich dem weiterhin auszusetzen.
    • In der Pubertät besteht eine gesteigerte Notwendigkeit für flexible Umgangszeiten. Die Gleichaltrigen gewinnen an Bedeutung, Eltern-Kind-Interessen können kollidieren: Sportarten, die die regelmäßige Teilnahme am Training und an Wochenendturnieren erfordern, sind z.B. schwer vereinbar mit dem Festhalten an einmal beschlossenen Umgangszeiten, wenn der nichtbetreuende Elternteil nicht aktiv einbezogen sein kann oder will.

    3. Normale Trennungs- und Verlassenheitsängste bei Kindern unter 4 Jahren, die noch keinen Zeitbegriff haben, auch nicht für die Besuchsregelung, die den anderen Elternteil zurücklassen und nicht wissen, wann sie ihn wiedersehen, die beim Übergang keine Unterstützung, keine Hilfe und keine Beruhigung von beiden Eltern erhalten.

    4. Normale, entwicklungsbedingte Präferenz des gegengeschlechtlichen Elternteils zwischen 3 und 6 Jahren in der Phase, in der Mädchen und Jungen ihre Geschlechtsidentität entdecken und ausprobieren und die Präferenz des gleichgeschlechtlichen Elternteils in der darauffolgenden Latenzphase, in der die eigene Identität konsolidiert wird im Umgang mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil und mit gleichgeschlechtlichen Freunden.

    Die normale kognitive Entwicklung von der egozentrischen Weltsicht des Kleinkindes zum Erfassen eines anderen Standpunktes, sie können nun die Sichtweise eines Elternteils verstehen, nicht aber die gegensätzliche Sichtweise beider Eltern. Hier sind die Geschichten angesiedelt, die Eltern verzweifeln lassen: "Sie hat zu mir gesagt, bei dir ist es am schönsten, Papi - zur Mutter hat sie gesagt ich will immer nur bei dir sein, Mami." Beides stimmt, nur die Eltern haben Probleme damit, solche auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinende Botschaften als Ganzheit der kindlichen Sehnsucht zu begreifen.

    Bei vielen der PAS Kinder wurde die Entwicklungsaufgabe der Individuation nicht erfüllt: sie konnten bis zum 3. Lebensjahr die "kleine Pubertät" nicht bewältigen, ihre eigenen "guten" und "bösen" Seiten nicht in ein starken Selbst, in das Gefühl einer eigenen wertvollen und liebenswerten Persönlichkeit integrieren. Überbehütung und die symbiotische Bindung an einen Elternteil begünstigen zusammen mit dessen Bedürftigkeit in der Familienkrise die Bereitschaft zur Allianz mit dem einen und die Ablehnung das Anderen. Jedoch wird das Selbst durch die aktive Zurückweisung eines Elternteils noch erheblich tiefer geschädigt als durch den Verlust, da beides, die Schuldgefühle und der Elternanteil an der eigenen Person verdrängt werden müssen. Die Ablösung vom idealisierten wie vom dämonisierten Elternteil während der Pubertät wird dadurch erschwert bis unmöglich gemacht.

    Aus Gesprächen mit betroffenen Eltern entstanden für mich zwei Fragen, die ich an Sie weitergeben, mit Ihnen teilen möchte:

    Wie beginnt (the very beginning) der Prozeß, der im Kontaktabbruch endet? Was genau passiert am Anfang? Wer verwehrt das erstemal den Kontakt mit den Kindern?

    Auf welcher kognitiven Grundlage? Gibt es eine Art Gewohnheitsrecht, einfach weil es die normale Praxis ist? Ist es das "gute Recht", die Kinder mitzunehmen? Ist es die Verteidigung des eigenen Terrains, das den anderen nicht mehr zu den Kindern läßt?

    Liegt hier der Schlüssel dazu, die ganze nachfolgende unheilvolle Entwicklung abzuwenden? Für die Jugendhilfe, die Anwälte, den Richter?

    Ist die Zeit einer der Hauptfaktoren?

    Ist die Einschüchterung durch Autoritäten ein anderer der Hauptfaktoren? (Fallbeispiel von B. Kinder leben 500 m vom Haus weg – hat sie 6 Jahre nicht gesehen: ich habe mich ferngehalten, um nicht gegen die Auflagen zu verstoßen ... Was sind das für Auflagen?)

    Was geschieht mit den abgelehnten, zurückgebliebenen, "verwaisten" Eltern von lebendigen Kindern, die in erreichbarer Nähe sind und doch unerreichbar? (Vergleich Kübler-Ross) Warum gesteht man diesen Eltern keine psychischen und physischen Reaktionen zu? "Es ist eine jahrelange, vielleicht lebenslange Folter."

    Wie geht ein Mensch damit um, daß man auch noch seine psychischen Verstörungen zur Argumentation gegen ihn mißbraucht? Nicht: der Vater erträgt das nicht mehr, hält das nicht mehr aus, er ist schwer depressiv geworden – sondern: man sieht ja heute, daß der Vater depressiv ist, daher konnte auch kein Umgang stattfinden.

     


     

    Für besonders lang andauernde und gravierende Umgangskonflikte bietet ein Beschluß des AG Ettlingen, Familiengericht, Az: 1 F 5/98) vom 25. Mai 1998 eine konstruktive Lösungsmöglichkeit. Der Beschluß lautet:

    "1. Das Umgangsrecht des Vaters wird vorläufig wie folgt geregelt:

    a) Zur Durchführung des Umgangs wird auf die Dauer von 6 Monaten Pflegschaft angeordnet. Insoweit wird das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter eingeschränkt und der Pflegerin übertragen.

    b) Zur Pflegerin wird bestimmt: Frau ...

    c) Die Pflegerin erhält das Recht, Art, Dauer und Orte des Umgangs für die Dauer ihrer Bestellung in eigener Verantwortung zu bestimmen. Sie ist an Weisungen der Eltern nicht gebunden.

    2. Für den Ersatz von Aufwendungen und die Vergütung der Pflegerin gelten die Vorschriften der §§ 1835, 1836 BGB.

    3. Eine endgültige Entscheidung auch zu den Kosten des Verfahrens ergeht spätestens in einem im November 1998 zu bestimmenden Termin."

    Hier wird das "Bestimmungsrecht" auf einen Dritten übertragen, der damit den Eltern kreative Gestaltungsmöglichkeiten auf (zeitlich befristeter, probeweiser) partnerschaftlicher Basis eröffnen und sie im besten Fall zu ihren eigenen Ressourcen und ihrer Elternautonomie zurückbegleiten kann.

    Einzufügen wäre allenfalls:

    ad 1. d) Die Eltern haben den Vorgaben der Pflegerin Folge zu leisten. Im Fall der Zuwiderhandlung wird ein Zwangsgeld festgesetzt in Höhe von....

    Dies könnte in einem gewissen Rahmen die Herausgabe des Kindes durch den betreuenden Elternteil und die Rückgabe des Kindes durch den nichtbetreuenden Elternteil gewährleisten und damit die Arbeit der Umgangspflegerin überhaupt erst ermöglichen.

    Ursula Kodjoe, Dipl.-Psych., Soz.-Arb., Mediatorin, Fichtenstr. 29, 79194 Gundelfingen