Dr Eduard Bakalar, Prag

 

Das »Parental Alienation Syndrome« (PAS) 
in der Tschechischen Republik

Bis zum Jahr 1996 wußte in der Tschechischen Republik nur eine kleine Zahl von Kinderpsychologen und Kinderpsychiatern, welche regelmäßig die meistenteils englische wissenschaftliche Fachliteratur lasen, etwas von der Existenz des »Parental Alienation Syndrome« (PAS)

In der tschechischen Fachliteratur hingegen war die Aufwiegelung (Beeinflussung) des Kindes durch einen Elternteil gegen den anderen seit vielen Jahrzehnten bekannt Ein in vielen Einzelheiten durchgeführtes Forschungsprojekt (Trnka, 1974) zeigt eine hohe Korrelation zwischen kindlichen Störungen und dem Grad seiner Aufwiegelung. Dieses Phänomen der Aufwiegelung oder Beeinflussung eines Kindes ist im westlichen Kulturkreis seit langem bekannt, seine erste fachliche Beschreibung stammt aus dem Beginn des Jahrhunderts

Der amerikanische Psychiater R A Gardner war der erste, der wesentliche Begleiterscheinungen des Phänomens und seiner Folgen herausfand und beschrieb. Er bezeichnete sie als »Parental Alienation Syndrome« oder PAS. Gardner befand, daß ein voll von einem Elternteil abhängiges und von diesem gegen den anderen Elternteil beeinflußtes Kind seinen eigenen Komplex von Einstellungen gegen den abwesenden Elternteil entwickelt und diesen schließlich ablehnt. Sodann muß der beeinflussende Elternteil gar nicht länger auf das Kind einwirken Denn das Kind entwickelt seine eigene Psychodynamik und verbindet seine Erfahrungen mit den Eltern zu einem Schwarz-Weiß-Bild »guter Elternteil - schlechter Elternteil«. Ein wichtiges Diagnose-Merkmal von PAS ist die Intensität der Vorwürfe und des Hasses, den das Kind dem abgelehnten Elternteil entgegenbringt und die in keiner Relation zu dessen tatsächlichem Fehlverhalten oder Defiziten stehen Gardner hat diese Feststellungen in seinem grundlegenden Werk »The Parental Alienation Syndrome« (1992) zusammengefaßt Dort finden wir eine ausführliche Beschreibung der Abläufe - eine genugende Zahl von Fallbeschreibungen, die Geschichte verschiedener Arten von Konfliktlösungen in europaischen und anderen Kulturen sowie Vorschläge für Psychotherapeuten und Empfehlungen für Gerichtsverfahren.

Das tschechische Ministerium für Soziale Angelegenheiten übernahm 1994 die Initiative zur Veröffentlichung einer Übersetzung ausgewählter Teile des Werkes von Gardner im Rahmen eines Projektes des »Jahres der Familie 1994« Diese Übersetzung wurde hauptsächlich für die Sozialabteilungen der Kreisbehörden vorbereitet, welche der Aufsicht dieses Ministeriums unterstehen Es gibt in Tschechien einige hundert solche Sozialabteilungen mit etwa 500 Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen, deren Aufgabe es u. a. ist, Kinder in Scheidungs und Sorgerechtsverfahren vor Gericht zu schützen Seit 1996 befassen sie sich mit Gardners wissenschaftlichen Erkenntnissen über PAS, versuchen diese zu verstehen und danach zu handeln.

Seit dem Jahr 1996 hat PAS das Interesse auch anderer Fachleute, wie Psychologen, Ehe- und Famihenberater, Psychiater, Gerichtssachverständige, Rechtsanwälte u. a. gefunden. So war PAS ein Schwerpunkt auf Tagungen und Seminaren, sowohl als Ursache wie auch Erklärung bei auftretenden Kontaktproblemen zwischen nicht sorgeberechtigten Elternteilen und ihren Kindern. In Famihengenchtsverfahren finden wir PAS in Sachverständigen- gutachten und in deren Folge auch in Gerichtsbeschlüssen, welche Sorgerecht und Umgang betreffen In jüngster Zeit ist PAS auch zu einem Thema für Dissertationen geworden.

Eine Absolventenarbeit an der Evangelischen Akademie in Prag (spezialisiert auf Sozialarbeit und Recht) beispielsweise hat es sich zur Aufgabe gestellt, die Häufigkeit von PAS in der Tschechischen Republik herauszufinden. In Schulen, welche im Hinblick auf die Bevölkerung, d h Stadt Land und jüngere altere Schüler ausgewählt wurden, werden wichtige Charakteristika familiärer Beziehungen von Kindern, welche in nichttraditionellen Familienstrukturen leben, erfaßt und klassifiziert. Neben anderen Kriterien wird das Hauptaugenmerk der Entwicklung der Beziehung des Kindes zum nichtsorgeberechtigten Elternteil geschenkt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen eine wesentliche Verschlechterung der Beziehung des Kindes zum nichtsorgeberechtigten Elternteil, seitdem dieser den Haushalt verließ. Die Verschlechterung der Beziehung kann als PAS bezeichnet werden.

Wir beginnen in der Tschechischen Republik zu verstehen, daß viele Menschen, die wegen emotionaler Entwicklungsstörungen in psychologischen und psychiatrischen Praxen behandelt werden, Opfer von PAS sind. Als Fachleute ist es unsere Aufgabe, das Ausmaß dieser Leiden zu vermindern und auf die Quelle des Übels hinzuweisen, wer auch immer daran Schuld trägt

Vgl. a.  S. Ward.& Kopatsch

Literaturverzeichnis

Bakalár, E, Nováková, M , Novák, D Prûvodce rozvodem pro vsechny zucastnene Praha, Lidove noviny 1996 Kapitola Popouzem ditete proti druhemu rodici str 133-142 

Gardner, R A The Parental Alienation Syndrome Cresskill, New Jersey, USA, Creative Therapeutics 1992 

Gardner, R A Syndrom zavrzeneho rodice Zkraceny preklad puvodni Gardnerovy publikace Praha, MPSV CR, 1996 

Kozakova, P Syndrom zavrzeneho rodice Diplomova prace. Praha, Evangelicka akademie 1998 

Matejcek, Z Dite a rodma v psychologickem poradenstvi Praha. SPN 1992 

Trnka, V.: Vliv popouzeni proti nekteremu z rodicu na adaptovanost den z rozvedenych manzelstvi Cs. Pediatrie, 22,1967,c 6, s 468-481 

Trnka V.: Deti a rozvody Praha, Avicenum, 1974, s. 127-141.