Werner
Krämer
Richter am
Oberlandesgericht
Elterliche
Sorge bei Getrenntleben und Scheidung der Eltern
nach
dem im Juli 1998 in Kraft getretenen
neuen
Kindschaftsrecht
1.
Überblick über die Rechtsentwicklung in Deutschland
Das deutsche
Kindschaftsrecht, wozu auch das Recht der elterlichen Sorge zu zählen
ist, ist nach wie vor im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt, das am
18. August 1896 im Reichsgesetzblatt veröffentlicht worden ist und
am 1. Januar 1900 in Kraft trat. Seinerzeit entsprach es der in der Gesellschaft
vorherrschenden Auffassung, das Erziehungsrecht allein dem Vater des Kindes
zuzubilligen. Dies passte im übrigen auch in den Kontext, der auch
sonst als selbstverständlich vorausgesetzten gesellschaftlichen und
rechtlichen Beschränkungen der Ehefrau sowohl in persönlicher
als auch in vermögensrechtlicher Hinsicht.
Eine wesentliche Änderung trat erst mit Inkrafttreten des Grundgesetztes für die Bundesrepublik Deutschland mit Ablauf des 23. Mai 1949 ein. Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Art. 117 Abs. 1 Grundgesetz sah allerdings die Geltung des früheren mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht mehr vereinbaren Rechtes bis längstens 31. März 1953 vor.
In Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz wurde der Grundsatz aufgestellt, dass Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht ist. Eine Differenzierung zwischen Vater und Mutter wurde bewusst nicht vorgenommen.
Allerdings verstrich der 31. März 1953, ohne dass der Gesetzgeber den Auftrag des Grundgesetzes erfüllt hatte, so dass es zunächst Aufgabe der Gerichte war, den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz unmittelbar auch im Bereich des Familienrechtes durchzusetzen. Erst im Jahre 1957 trat das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechtes in Kraft.
Die elterliche Sorge für eheliche Kinder wurde von den Eltern gemeinsam ausgeübt, allerdings musste das Gericht im Falle der Scheidung die elterliche Sorge auf einen der beiden Ehegatten, der ausschließlich unter Berücksichtigung des Kindeswohles zu bestimmen war, übertragen.
Mit Urteil
vom 3. November 1982 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass
die zwingend angeordnete Übertragung der elterlichen Sorge auf einen
Elternteil gegen das Grundgesetz und das in Art. 6 Abs. 2 S. 1 niedergelegte
Elternrecht verstoße. Seitdem war es den Gerichten möglich,
auf Beibehaltung der gemeinsamen Sorge zu erkennen.
Mit Beschluss
vom 7. Mai 1991 hat das Bundesverfassungsgericht diese Rechtsprechung auch
auf nicht miteinander verheiratete Eltern ausgedehnt, sofern es um gemeinsame
Kinder geht, die mit beiden Elternteilen zusammenleben; diesmal hat es
allerdings die konkrete Ausgestaltung der gemeinsamen Sorge dem Gesetzgeber
überlassen.
Dieser hat
erst im Jahre 1998 die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes Gesetz werden
lassen.
Mit Inkrafttreten
des Reformgesetzes am 1. Juli 1998 sind darüber hinaus auch noch (von
einer Ausnahme abgesehen, die noch er erörtern sein wird) die letzten
verbliebenen Differenzierungen zwischen ehelichen und nicht-ehelichen Kindern
im Familienrecht, im Erbrecht wie auch im Verfahrensrecht beseitigt worden.
Die folgende
Darstellung wird sich daher in erster Linie mit dem seit dem 1. Juli 1998
in Deutschland geltenden Recht befassen. Hierbei wird auch die in der deutlichen
Literatur und Rechtsprechung seitdem vorherrschende Diskussion über
einzelne Bestimmungen zu erörtern sein.
2.
Die materiell-rechtlichen Neuregelungen im einzelnen:
1.
Der Begriff der elterlichen Sorge umfasst die Sorge für die Person
des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge)
- § 1626 Abs. 1 BGB. Zu letzterem gehört auch die gesetzliche
Vertretungsbefugnis nach § 1629 BGB.
Kern der Vermögenssorge
sind die Verwaltung des Kindesvermögens, sofern ein solches überhaupt
vorhanden ist, und vor allem aber die Vertretung des Minderjährigen
gegenüber Dritten, insbesondere die Abgabe von Willenserklärungen.
Die Frage der Vermögenssorge spielt in der familiengerichtlichen Praxis
eine untergeordnete Rolle, vor allem deshalb, weil statistisch gesehen
nur wenige Minderjährige über nennenswertes Vermögen verfügen
dürften, und im übrigen die Eltern in ihrer Vertretungsmacht
bei bestimmten Geschäften wie Grundstücksgeschäften ohnehin
gerichtlicher Kontrolle unterliegen. Eine wesentliche Neuerung besteht
darin, dass der Gesetzgeber in § 1629 a BGB zwar nicht die Vertretungsbefugnis
der Eltern weiter eingeschränkt hat, jedoch zum Schutz des Minderjährigen
die Haftung gegenüber Dritten auf den Bestand des bei Eintritt der
Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes beschränkt
hat.
Im Vordergrund
steht in der gerichtlichen Praxis die Personensorge, also die Pflicht und
das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen
Aufenthalt zu bestimmen.
Zu unterscheiden
ist grundsätzlich zwischen der elterlichen Sorge während des
Zusammenlebens der Eltern und nach ihrer Trennung; insoweit ist weiterhin
zwischen Kindern von miteinander verheirateten und solcher unverheirateter
Eltern, wobei der Gesetzgeber in den Neuregelungen darauf achtet, den als
negativ verstandenen Begriff des nicht ehelichen Kindes zu vermeiden. Es
ist damit nur noch die Unterscheidung zwischen Kindern, deren Eltern verheiratet
sind oder waren, und solchen, die es nicht sind oder waren, gerechtfertigt.
Der Einfachheit der begrifflichen Unterscheidung wegen soll im Folgenden
weiterhin zwischen „ehelichen“ und „nicht-ehelichen“ Kindern gesprochen
werden.
2.
§ 1626 BGB stellt den Grundsatz auf, dass die elterliche Sorge beiden
Elternteilen zusteht; eine Ausnahme findet sich in § 1625 a BGB nur
für das nicht ehelich geborene Kind. Hier ist nämlich die gemeinsame
Sorge von einer Sorgeerklärung beider Eltern abhängig (oder der
nachfolgenden Eheschließung, früher Legimitation), während
im übrigen die Mutter die elterliche Sorge hat.
Im Gegensatz zum früheren Rechtszustand, bei dem im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens,
das als Verbundverfahren ausgestattet ist, immer auch über das Sorgerecht
entschieden werden musste, ohne dass es eines Antrages der Eltern bedurfte,
trifft das Familiengericht eine Entscheidung nur noch auf Antrag der Eltern,
es sei denn, dass ein Eingreifen nach § 1666 BGB zur Gefahrabwendung
erforderlich ist, worauf noch einzugehen sein wird. Verfahrensrechtlich
ist der frühere Zwangsverbund dadurch gelöst worden, dass gemäß
§ 623 Abs. 2 S 2 ZPO ein Verfahren über das Sorgerecht (das ohnehin
in der Regel nur auf Antrag eines Elternteils eingeleitet worden ist),
auf besonderen Antrag hin zwingend abzutrennen und dann als selbständige
Familiensache fortzuführen ist.
Das Familiengericht hat nach § 1671 BGB die Möglichkeit, die
Alleinsorge eines Elternteils oder auch die gemeinsame elterliche Sorge
anzuordnen bzw. letztere aufrechtzuerhalten. Gem. § 1671 Abs. 1 BGB
kann sich das Gericht auch darauf beschränken, Teilausschnitte des
Sorgerechtes auf einen Einzelelternteil zu übertragen.
Der Teilbereich, der am häufigsten betroffen ist, ist das sogenannte
Aufenthaltsbestimmungsrecht. In der veröffentlichen Rechtsprechung
finden sich häufig, man kann fast sagen überwiegend, Entscheidungen,
welche auf den ersten Blick die Übertragung des Sorgerechts betreffen,
in Wahrheit aber eigentlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht zum Gegenstand
haben. Insofern fällt auf, dass § 1687 BGB nur selten erwähnt,
geschweige denn erörtert wird. Nach dieser Vorschrift, welche die
Alleinentscheidungsbefugnis bei gemeinsamer Sorge regelt, hat das Gericht
die Möglichkeit, anstelle der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes
anzuordnen, dass das Kind in die Obhut eines Elternteiles gegeben wird.
Nach 3 1687 Abs. 1 S. 2 BGB hat nämlich der Elternteil, bei dem sich
das Kind mit Einwilligung des anderen oder aufgrund einer gerichtlichen
Entscheidung gewöhnlich aufhält, die Befugnis zur alleinigen
Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens. Dies hat mit
dem Aufenthaltsbestimmungsrecht nichts zu tun, weil es sich bei der Bestimmung
des Wohnsitzes eines Kindes nicht um eine Alltagsentscheidung handelt.
Denn Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind in
der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden
Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben (§ 1687 Abs. 1 S.
3 BGB). Es liegt auf der Hand, dass die Entscheidung, ob ein Kind etwa
mit der Mutter zusammen von München nach Hamburg verzieht, keine alltägliche
Entscheidung ist. Deshalb halte ich es (zusammen mit dem 2. Familiensenat
des Oberlandesgerichtes Frankfurt am Main in Kassel) für verfehlt,
in Fällen der Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge das Aufenthaltsbestimmungsrecht
zu übertragen (abgesehen von Notmaßnahmen nach § 1666 BGB,
wenn das Jugendamt darüber entscheiden soll, wo das Kind zu leben
hat).
Spätestens seit Inkrafttreten des geänderten § 1671 BGB
ist eine umfangreiche Diskussion vorwiegend rechtstheoretischer Art ausgelöst
worden, ob denn nun ein Regel-Ausnahmeverhältnis zwischen der gemeinsamen
elterlichen Sorge und der Alleinsorge bestehe und deshalb im Regelfall,
von besonderen Umständen abgesehen, ein Antrag auf Alleinsorge nach
§ 1671 BGB abgelehnt werden müsste. Auch ist die Rechtsprechung
zu dieser Frage, die in den letzten knapp zwei Jahren veröffentlicht
worden ist, außerordentlich vielfältig und vor allem uneinheitlich.
Einige meinen, dass sich über die Auflösung des Zwangsverbundes
hinaus eigentlich für die von den Familiengerichten zu treffenden
Entscheidungen nichts geändert habe, insbesondere lasse sich eine
gesetzgeberische Bevorzugung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach Trennung
nicht feststellen. Andere hingegen sehen – m. E. wohl zutreffend – die
gemeinsame elterliche Sorge jedenfalls als Ausgangsposition an, also als
Grundlage, auf der die zu treffende Sorgerechtsentscheidung aufzubauen
hat.
Meines Erachtens ist dieser im wesentlichen dogmatisch an der Entstehungsgeschichte des Gesetzes orientierte Streit weitgehend müßig.
Dass der Gesetzgeber, auch wenn er sich in der amtlichen Begründung
zum Regierungsentwurf nicht näher festlegen wollte, jedenfalls für
den weitaus größten Teil der Trennungsfamilien den Fortbestand
der gemeinsamen elterlichen Sorge als normal und vor allem wünschenswert
ansieht, hat er allein schon durch die Einführung des Antragsverfahrens
und die Auflösung des Zwangsverbundes deutlich gemacht.
Es wird daher in der Rechtspraxis nur in Ausnahmefällen von der gemeinsamen
Sorge abgewichen werden können, zumal der Gesetzgeber gegenüber
dem früheren ungeregelten Rechtszustand die Möglichkeit eröffnet
hat, die gemeinsame Sorge auch gegen den Willen der Eltern aufrechtzuerhalten.
Durch die Vielzahl der hierzu veröffentlichen Entscheidungen geistern
im wesentlichen zwei Begriffe, die sich irgendwann und irgendwie herausgebildet
haben und die nunmehr zur Begründung der vielfältigsten Entscheidungen
herangezogen werden, nämlich die „Konsensfähigkeit“ und die „Kooperationsbereitschaft“
der Eltern. Darunter wird im Allgemeinen die Fähigkeit verstanden,
miteinander über die Belange des Kindes zu reden und (Kooperationsfähigkeit)
auch gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Die Mehrzahl der Entscheidungen,
die veröffentlicht sind, stellt insoweit auf die tatsächlichen
Verhältnisse zwischen den beteiligten Eltern ab, ohne in die Zukunft
orientiert von den Eltern im Rahmen ihrer Verantwortung gegenüber
den Kindern zu fordern, eigene Interessen hintanzustellen und sich, wenn
es um das Wohl des Kindes geht, „zusammen zu raufen“. Wenn die zum Ausdruck
gekommene Absicht des Gesetzgebers, im Interesse des Kindes und auch der
(faktisch in 90 % der Fälle) bisher ausgegrenzten Väter eine
gemeinsame Sorge zu forcieren, kann dem ebenfalls nicht dadurch Rechnung
getragen werden, dass jede tatsächlich in der Trennungssituation und
im zeitlichen Zusammenhang mit der Scheidung bestehende Konfliktsituation
zwischen den Eltern zum Anlass genommen wird, das Modell der gemeinsamen
Sorge zu verwerfen und im Einzelfall die Alleinsorge anzuordnen. Denn ansonsten
würde bei intakter emotionaler Beziehung des Kindes zu beiden Elternteilen
im Zeitpunkt der Trennung letztlich der Trennungskonflikt, der zu der mangelnden
Kommunikationsfähigkeit geführt hat, zu Lasten des Kindes, das
ein Recht auf beide Eltern hat, in die Zukunft projiziert. Dies kann nicht
dem Wohle des Kindes dienen. Es werden daher, wenn von einer echten Reform
gesprochen werden soll, an die Eltern erhöhte Anforderungen zu stellen
sein, ihre trennungs- und scheidungsbedingten Streitigkeiten im Interesse
des Kindes untereinander auszutragen, das Kind jedoch herauszuhalten.
In der gesamten bisherigen Diskussion und in den veröffentlichten
Entscheidungen ist ein Gesichtspunkt zu kurz gekommen, der meines Erachtens
von wesentlicher Bedeutung ist. Der Familienrichter, der die elterliche
Sorge regelt, wird nicht nur im Interesse des Kindes tätig, sondern
greift auch in die Elternrechte ein. Nach dem allgemein die Rechtsordnung
beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der im übrigen
seinen Niederschlag in § 1666 a BGB gefunden hat, darf auch in dieses
Elternrecht nur insoweit eingegriffen werden, als dies zum Wohle des Kindes
erforderlich ist. Seine Auffassung hat der 2. Familiensenat in Kassel des
Oberlandesgerichtes in Frankfurt am Main, dessen Mitglied ich bin, in seinem
Beschluss im Verfahren 2 UF 128/98, der nicht veröffentlich worden
ist, wie folgt zusammengefasst:
Bei der Sorgerechtsregelung hat der Senat nunmehr die am 1. Juli 1998
in Kraft getretene Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge zu berücksichtigen.
Nach § 1671 BGB n. F. kommt die Sorgerechtsübertragung auf einen
Elternteil nur noch auf Antrag oder im Rahmen einer Schutzmaßnahme
nach § 1666 BGB n. F. in Betracht. Zunächst bedeutet dies zwar
nur die Abschaffung des Zwangsverbundes zwischen Ehescheidung und Sorgerechtsentscheidung.
Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, das Abweichen von der gemeinsamen
Sorge von dem Vorliegen besonderer Voraussetzungen abhängig zu machen,
sondern erhebt allein wie schon im bisher geltenden Recht das Kindeswohl
zum Maßstab der gerichtlichen Entscheidung. Allerdings muss auch
im Rahmen der Sorgerechtsentscheidung, die bei Übertragung des alleinigen
Sorgerechts auf einen Elternteil immer auch in die Rechtsposition des anderen
eingreift, der allgemein die Rechtsordnung beherrschende Grundsatz berücksichtigt
werden, dass Rechte einzelner nur insoweit beschränkt werden dürfen,
als eine Güterabwägung dies zugunsten anderer, hier des Kindes,
gebietet. In Anwendung dieses allgemein zu beachtenden Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit eines staatlichen Eingriffs hat das
Gericht daher immer zu prüfen, ob im Einzelfall unter Würdigung
aller Umstände auch weniger einschneidende Maßnahmen für
die Erreichung des angestrebten Zieles ausreichen.
Diesen generellen Erwägungen, die auch Verfassungsrang haben, hat
der Gesetzgeber mit der Neuregelung Rechnung tragen wollen. Der Senat leitet
daraus her, dass es im allgemeinen genügen wird, das Kind in die Obhut
eines Elternteils zu geben, das Sorgerecht aber beiden Eltern zu belassen.
§ 1687 Abs. 1 S. 2 BGB n. F. bietet die Gewähr dafür, dass
dem Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen oder
aufgrund gerichtlicher Entscheidung aufhält, die alleinige Befugnis
zu Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens zukommt.
Hierbei handelt es sich um Angelegenheiten, die häufig vorkommen und
keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes
haben sowie die tatsächliche Betreuung betreffen. Die Abgrenzung mag
im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Zu den Angelegenheiten, die der
gemeinsamen Entscheidung vorbehalten bleiben, dürften im Regelfall
jedenfalls Schulwahl, Ausbildungsverträge, Übersiedlung ins Ausland,
Zustimmung zu einer lebensgefährlichen Operation und ähnlich
schwerwiegende Entscheidungen mit weitereichenden und nur schwer umkehrbaren
Folgen gehören (vgl. die Zusammenstellung bei Schwab FamRZ 1998, 457,
469). Im allgemeinen erscheint es, auch im Interesse des Kindes, geboten,
beide Elternteile an diesen Entscheidungsvorgängen zu beteiligen,
weil dem Kind auf diese Weise vermittelt wird, dass der andere Elternteil
nicht nur im Rahmen der Umgangsregelung am Leben des Kindes teilnimmt,
sondern in wichtigen Fragen mitverantwortlich ist. Die Übertragung
des Sorgerechts auf einen Elternteil allein kann deshalb im Ergebnis nur
noch in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Insofern genügen Streitigkeiten
zwischen den Eltern, aus denen das Kind herausgehalten wird, nicht. Dies
gilt vor allem für solche, die durch die Trennungssituation der Eltern
gekennzeichnet sind. Insofern erwartet der Gesetzgeber von den Eltern,
Streitigkeiten nicht auf dem Rücken der Kinder auszutragen.
Wollte man an die Eltern geringere Anforderungen stellen, so würde
dies einer bereits jetzt zu beobachtenden Tendenz Vorschub leisten, als
Elternteil, in dessen Obhut sich die Kinder tatsächlich befinden,
jegliche Kooperation mit dem anderen Elternteil zu hintertreiben, um sich
dann darauf berufen zu können, die andere Seite sei nicht kommunikations-
oder kooperationsfähig.
Dass es bei gemeinsamem Sorgerecht ohnehin immer wieder zu Konfliktsituationen
kommt, auch wenn sich die Wogen von Trennung und Scheidung geglättet
haben, liegt in den meisten Fällen auch daran, dass – was eigentlich
viel schwieriger zu organisieren ist als das gemeinsame Sorgerecht in der
Praxis – die Eltern sich anlässlich der Durchführung des Umgangsrechts
immer wieder begegnen und es gerade bei der praktischen Durchführung
der Besuche mit all den immer wieder zu beobachtenden Schikanen, die zur
Verschiebung der Besuche führen, zu manchmal heftigen Auseinandersetzungen
kommt. Deshalb erweist es sich praktisch als Illusion, man könne Streitigkeiten
zwischen streitbereiten Eltern zu Lasten der Kinder dadurch vermeiden,
dass man das Sorgerecht, das von den Eltern wegen § 1687 BGB ohnehin
nur noch wenige gemeinsame Entscheidungen Jahres abverlangt, verhindern.
Die im Rahmen eines Sorgerechtsverfahrens gemeinhin (wenn man die veröffentliche
Rechtsprechung bewertet) herangezogenen Kriterien lassen sich grob in drei
Kategorien einteilen, nämlich objektive Umstände wie Wohnverhältnisse
und Betreuungsmöglichkeiten sowie Streitigkeiten und Gewalttätigkeiten
in der Vergangenheit, persönliche oder subjektive Umstände wie
Erziehungsfähigkeit, Fähigkeit, das Kind zu fördern, Kooperationsbereitschaft
und persönliche Bindungen zwischen Eltern und Kind und Beziehungen
der Geschwister untereinander und schließlich noch der Kindeswille,
dem, mit dem Alter wachsend, mehr Bedeutung zukommt.
Hinsichtlich der genannten objektiven Umstände gilt folgendes:
Da sich jede Sorgerechtsentscheidung allein am Kindeswohl auszurichten hat, wird immer auch zu prüfen sein, ob der Elternteil, dem Obhut über das Kind zuerkannt werden soll, über angemessene Wohnverhältnisse verfügt, denn jedes Kind hat ein Recht auf eine kindgerechte Unterbringung. Dieses Kriterium birgt aber zugleich die Gefahr in sich, dass der wirtschaftlich stärkere Ehegatte bevorzugt wird. Oftmals verlässt die Mutter mit den Kindern das Familienheim, um in einer bescheidenen Mietwohnung unterzukommen; mehr kann sie sich, weil sie nicht erwerbstätig ist, nicht leisten.
Nicht minder vorsichtig ist die Frage der Betreuungsmöglichkeiten zu beurteilen. Denn in der sozialen Wirklichkeit, in der die Mutter oftmals nicht oder nur geringfügig erwerbstätig ist, um die Kinder während des Zusammenlebens mit ihrem Ehegatten betreuen zu können, wird die Mutter die besseren Betreuungsmöglichkeiten haben als der Vater. Dies gilt umso mehr, als berufstätige Elternteile vielfach auf Familienangehörige zur Betreuung zurückgreifen müssen, insbesondere Großeltern; gerade dies ist im allgemeinen im Hinblick auf eine gedeihliche Entwicklung der Kinder nicht wünschenswert.
Ein weniger problematisches Kriterium ist sicherlich ein in der Vergangenheit zu beobachtendes und für die Zukunft zu befürchtendes gewalttätiges Verhalten der Eltern gegenüber dem Kind.
Insofern hat in der Vergangenheit zunehmen auch das Argument eine rolle
gespielt, das Kind, vor allem wenn es sich um ein Mädchen handelt,
sei vom Vater sexuell belästigt oder missbraucht worden. Solche Vorwürfe
werden regelmäßig durch Einholung psychologischer Gutachten
aufzuklären sein.
Für die
personenbezogenen Umstände gilt folgendes:
Es ist bei der Beurteilung der Frage, wo das Kind leben soll, in der Regel
unvermeidlich, die Frage nach der Erziehungsfähigkeit zu stellen,
die sich allerdings in der Praxis als besonders problematisch erweist;
auch familienpsychologische Gutachten vermögen hier im allgemeinen
letzte Zweifel nicht auszuräumen. Insofern ist vielfach zu beobachten,
dass die an einem Sorgerechtsverfahren Beteiligten davon ausgehen, jedes
Kind müsste ideale Eltern haben. Solchen hohen Anforderungen werden
sicherlich 95 % der Eltern nicht gerecht, ohne dass deshalb irgendjemand
auf die Idee käme, ihnen das Sorgerecht zu entziehen oder ihnen die
Kinder wegzunehmen. An die Erziehungsfähigkeit können damit nur
durchschnittliche Anforderungen gestellt werden, die im allgemeinen von
beiden Elternteilen erfüllt werden. Damit kann allenfalls in Ausnahmefällen
(permanente Vernachlässigung der Kinder, hoffnungsloser Alkoholismus,
verwerflicher Lebenswandel) wesentlich auf die Erziehungsfähigkeit
abgestellt werden.
Besonders gefährlich ist die Argumentation, die sich bis in die neuere
Rechtsprechung hinein wiederfindet, wenn es um binationale Ehen geht, insbesondere
um Ehen, in denen ein Partner aus einem völlig anderen Kulturkreis
stammt. Hierbei ist insbesondere das Problem gerichtlicher Alltag, inwieweit
etwa eine des Deutschen kaum mächtige afrikanische oder asiatische
Mutter im Trennungsfalle den Kindern die bei dem von beiden Seiten angestrebten
Verbleib in Deutschlang nötigen Sprachkenntnisse vermitteln und daran
anknüpfend für angemessene schulische Leistungen sorgen kann.
Hier wird vielfach übersehen, dass auch von dem deutschen Elternteil,
der sich für eine binationale Ehe entschieden hat, erwartet werden
muss, dass er sich mit einer zweisprachigen Erziehung des Kindes einverstanden
erklärt; gerade dies bedeutet für das Kind keinen Nachteil, sondern
in Zeiten der Globalisierung sogar einen Vorteil. In der Praxis unseres
Senats haben wir besonders häufig Fälle von polnischen Frauen,
die mit deutschen Männern verheiratet sind, und in denen immer wieder
damit argumentiert wird, die Mutter könne dem Kind bei den Hausaufgaben
nicht helfen. Deswegen halte ich es auch für sehr problematisch, wen
in einer neueren Entscheidung des Oberlandesgerichtes Hamm, die das Sorgerecht
für Kinder eines Deutschen und einer Kenianerin (der Deutsche war
Zahnarzt) auf den Vater überträgt und hierzu in der Begründung
wörtlich ausführt: „Zar verhalten sich nach den Feststellungen
der Sachverständigen beide Elternteile in Kontakt mit den Kindern
fürsorglich, liebevoll und zugewandt. Der Antragsteller ist aber in
größerem Umfang als die Antragsgegnerin in der Lage, die Erziehung
im erforderlichen Umgang zu strukturieren und die Kinder zu fördern.
Demgegenüber ist die Fähigkeit der Antragsgegnerin, die in ihrer
kenianischen Heimat lediglich eine sechsjährige Schulausbildung absolviert
hat und im hiesigen Sprach- und Kulturkreis nicht heimisch ist, die Kinder
angemessen zu fördern, eingeschränkt. Der Vorwurf der Antragsgegnerin,
mit dieser Argumentation werde sie unterschwellig ihrer afrikanischen Herkunft
wegen abqualifiziert, ist ungerechtfertigt. Da – was unstreitig ist – die
Kinder der Parteien in Deutschland aufwachsen und zur Schule gehen sollen,
ergibt sich, ohne dass damit ein Werturteil über die kulturelle Prägung
und den Erziehungsstil verbunden ist, aus sachlichen Gründen eine
Präferenz für denjenigen Elternteil, der die Kinder am besten
auf diejenigen Anforderungen vorbereiten kann, mit denen sie hier konfrontiert
werden.“ Dass durch diese Entscheidung den Kindern die Chance genommen
wird, zweisprachig aufzuwachsen, liegt auf der Hand. Argumentationen dieser
Art haben gerade in jüngerer Zeit den deutschen Gerichten den Vorwurf
eingetragen, dass sie ausländische Elternteile unangemessen benachteiligen
würden.
Schließlich spielen auch die persönlichen Bindungen zwischen
Eltern und Kind eine entscheidende Rolle. Gerade hier bieten sich aber
für den Familiengericht besondere Schwierigkeiten, weil es bei kleineren
Kindern, die sich noch nicht so artikulieren können, nicht einfach
ist, zwischen dem zu unterscheiden, was auf Beeinflussung durch den Elternteil
zurückgeht, bei dem sie gerade leben, und was Ausdruck ihrer wirklichen
Befindlichkeit ist. Vielfach greifen die Gerichte hier zu der Möglichkeit
(die übrigens sehr kostenträchtig ist – Gutachterkosten bis 8.000
DM), ein familienpsychologisches Gutachten einzuholen. Dieses kann in besonders
schwierigen Fällen, die „auf der Kippe“ stehen, hilfreich sein, wird
aber nach unserer Erfahrung vielfach eingeholt, um in der Situation eigener
Entscheidungsschwäche die Verantwortung Dritten zuzuweisen.
Schließlich darf auch der echte Wunsch eines Kindes, der bei der
in der Regel vorzunehmenden Anhörung als solcher erkannt worden ist,
nicht unberücksichtigt bleiben, weil sonst Enttäuschungen dazu
führen können, dass die Entwicklung des Kindes nachhaltig beeinträchtigt
wird. In der Regel ist gerade bei kleineren Kindern zu beobachten, dass
sie am liebsten möchten, die Eltern würden wieder zusammenleben
und sich vertragen. Wenn ihnen dann eröffnet wird, dass dies nicht
möglich sei, geraten sie in einen Loyalitätskonflikt, mit dem
sie überfordert sind. Deswegen ist bei kleineren Kindern dem geäußerten
Willen weniger Bedeutung beizumessen, als bei älteren, vor allem,
wenn sie sich bereits in der Pubertät oder nahe an der Volljährigkeit
befinden.
Es würde den Rahmen sprengen, nunmehr noch auf weitere Einzelheiten
einzugehen. Auch dürfte verfahrensrechtlich der Hinweis genügen,
dass in Deutschland für das Sorgerechtsverfahren das Amtsermittlungsprinzip
gilt, das Familiengericht also nicht an die Tatsachenbehauptungen der Parteien
gebunden ist. Darüber hinaus sind auch die Jugendämter an den
Verfahren zu beteiligen, wobei einige Jugendämter dazu übergehen,
das Familiengericht nicht mehr bei der Aufklärung des für die
Sorgerechtsentscheidung maßgeblichen Sachverhalten zu unterstützen,
sondern ihre Rolle eher in einer Beratungsfunktion, also ergebnisorientiert,
sehen.
Zum Abschluss ist noch kurz darauf einzugehen, dass all dies für nicht
eheliche Kinder nur eingeschränkt gilt. Nach geltendem Recht kann
ein nicht ehelicher Vater das Sorgerecht für sein Kind nur mit Einverständnis
der Mutter erhalten, abgesehen von den Fällen, in denen Nach §
1666 BGB eine Notmaßnahme angezeigt ist. Ihm stehen hierfür
zwei Möglichkeiten zu Gebote, zum einen eine Sorgerechtserklärung
hinsichtlich der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1626 a Abs.
1 Nr. 1 BGB zusammen mit der Mutter abzugeben. In diesem Fall hat der nicht
eheliche Vater die gleiche Stellung wie ein ehelicher Vater nach §
1671 BGB. Ist ihm dies nicht gelungen, so kann er die Sorgerechtsübertragung
nur noch nach § 1672 BGB (oder im Extremfall § 1666 BGB) erreichen.
Die Übertragung des Sorgerechts auf sich kann der Vater allerdings
hiernach nur mit Zustimmung der Mutter beantragen; eine gerichtliche Ersetzung
dieser Erklärung ist nicht möglich. Diese Regelung wird in der
Literatur in zunehmendem Maße als nicht vereinbar mit dem Gleichstellungsgebot
von ehelichen und nicht ehelichen Kindern sowie dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz
angesehen, vor allem für die Fälle einer länger andauernden
nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft ist, und in der die Eltern mit den Kindern
gemeinsam gelebt haben. Das nicht-eheliche Kind hat nämlich nur dann
eine Aussicht, in die elterliche Sorge des Vaters gegeben zu werden, wenn
die Mutter zustimmt, oder wenn der extreme Fall des § 1666 BGB vorliegt.
Es ist damit deutlich hinter den ehelichen Kindern zurückgesetzt,
bei dem allein das Kindeswohl entscheidend ist, eine Notlage aber nicht
vorliegen muss.
Es wird daher damit zu rechnen sein, dass das Bundesverfassungsgericht
in naher Zukunft diese Regelung als verfassungswidrig zu Fall bringen wird.
Inwieweit bereits Verfahren anhängig sind, ist mir nicht bekannt.
Der Senat, dem ich angehöre, hat in diesen Tagen in einem solchen
Fall entschieden, allerdings keinen Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht
erlassen. Allerdings wird die weitere Beschwerde an den Bundesgerichtshof
zugelassen.
Insgesamt kann diese Darstellung nur einen groben Überblick über
die Rechtslage und die Wirklichkeit in Deutschland nach dem Inkrafttreten
der Reformgesetze bieten. Im Großen und Ganzen wird man das Reformwerk
als weitgehend gelungen ansehen können, wird allerdings auch noch
in den kommenden Jahren zu beobachten haben, ob es sich in der Praxis bewähren
wird und inwieweit sich die noch recht uneinheitliche Rechtspraxis angleichen
wird.